Standpunkt von Franco Cavalli: SP in die Opposition!

Nr. 11 –

Der ehemalige SP-Fraktionschef Franco Cavalli über die Forderung der Juso, die SP solle den Bundesrat verlassen.

Will in die Opposition: Ex-SP-Nationalrat Franco Cavalli. Foto: Didier Ruef

Im Herbst 2010 hat der SP-Parteitag einmal mehr bestätigt, dass das Ziel der Partei die Überwindung des Kapitalismus bleibt. Lässt sich eine solche Zielsetzung aber auch noch heute, nach dem Desaster vom 9. Februar, mit der Teilnahme an einem tiefbürgerlichen Bundesrat vereinbaren? Diese grundsätzliche Frage erhebt jetzt in aller Schärfe die Juso. Genau davor hat sich die SP-Spitze von jeher gefürchtet. Die letzte ernsthafte Diskussion über diese Frage fand vor drei Jahrzehnten statt, nach der von den Bürgerlichen erzwungenen Wahl von Otto Stich in den Bundesrat. Danach hat man ein paarmal so getan, als ob man darüber diskutiere, wobei es sich mehr um eine Belehrung der Basis durch die amtierenden Bundesräte als um eine richtige Debatte handelte. Eine bereits am erwähnten Parteitag 2010 für die Wochen nach den Wahlen 2011 beschlossene Diskussion wurde dann «vergessen». Von jeher meine ich, dass die Antwort auf die Frage nach der Bundesratsteilnahme kein pauschales Ja oder Nein sein kann, sondern dass sie von den historischen und politischen Rahmenbedingungen abhängt.

Mitte-links und asozial

Während der «goldenen dreissig Jahre» nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen auch bei uns ein historischer Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital herrschte, konnten die SP-Bundesräte Entscheidendes zum Ausbau des Sozialstaats beitragen. Aber wie ist es heute, nachdem die neoliberale Konterrevolution, die kaum noch Kompromisse zugunsten der weniger bemittelten Volksschichten zulässt, durchmarschiert ist?

Unter diesen Rahmenbedingungen sieht man überall in Europa kaum mehr einen Unterschied zwischen Mitte-rechts- und Mitte-links-Regierungen. Häufig sind es sogar diese Letzteren, die die asozialsten Massnahmen durchboxen wie Rot-Grün unter dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder mit Hartz IV. Nur naive Seelen können behaupten, dies sei bei uns anders. Ein Beispiel: Kein SP-Bundesrat und keine SP-Bundesrätin der letzten fünfzig Jahre stand so links wie Ruth Dreifuss. Trotzdem musste sie die entscheidende Anfangsphase der letzten Revision des Krankenversicherungsgesetzes mitmachen. Als Folge kommen jetzt die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals und die öffentlichen Spitäler unter die Räder, während die Privatkliniken immer mehr Terrain besetzen. Wäre die SP nicht im Bundesrat gewesen, hätte sie gegen diese unselige Revision sicher das Referendum ergriffen und mit grösster Wahrscheinlichkeit auch gewonnen.

Wir leben in einer Gesellschaft, die sozioökonomisch immer mehr auseinanderdriftet, was zur Frustration ganzer Bevölkerungsschichten führt. Will man die Überwindung dieses Systems ernsthaft vorbereiten, muss man beginnen, diese Frustrationen zu einer sozialen, schlagkräftigen Oppositionsbewegung zu organisieren. Eine weitere SP-Bundesratsteilnahme liesse sich nur rechtfertigen, wenn dafür klare Bedingungen definiert werden und vor allem wenn die SP fähig wird, gleichzeitig Regierungs- und Oppositionspartei zu sein: wie es etwa die SVP vorgemacht hat, aber natürlich im umgekehrten Sinn.

In die Kur!

Dadurch sollte der Klassenkampf wieder von unten nach oben und nicht wie heute immer nur von oben nach unten ausgetragen werden. Ich glaube aber kaum, dass die heutige SP, in der der grösste Teil des politischen Personals aus TrägerInnen lokaler und kantonaler «Jöbli» besteht, fähig ist, eine solche Rolle zu spielen. Die Juso hat deswegen recht: In dieser Situation kann der SP eine Oppositionskur nur guttun.