Werkstattbesuch: Unberechenbare Frequenzen

Nr. 11 –

Nach langer Pause ist die Bieler Band Puts Marie zurück. Die ehemalige Strassenmusiktruppe ist an einem dunklen, androgyn-verführerischen Ort gelandet. Ein Besuch in Biel.

Gestandene Männer mit seltsamen Namen: Max Usata, Igor Stepniewski, Beni 06, Sirup Gagavil und Nick Porsche beim Warten auf den Haarschnitt. Foto: Jenna Calderari

Diese Freude. Sie scheint so gar nicht zu den dunklen Motiven der Songs zu passen: ein Mann, der für seine Verehrte statt eines Liebesbriefs einen Nachruf schreibt. Ein Verirrter in einer Schneewüste. Nackte, feindselige Männer in einem unterirdischen Badehaus. Unerwiderte Liebe, immer wieder.

Die Songs beginnen oft verhalten, mit Max Usatas zerbrechlichem Gesang, enden aber in heftigen Ausbrüchen, Max tanzt abgehackt, wie neben sich, schreit oder hämmert auf das zweite Schlagzeug ein, das mitten auf der Bühne steht. Das Ganze wirkt dramatisch, existenziell, aber gleichzeitig ist da diese Freude. Das Strahlen von Drummer Nick Porsche, wenn er ein Stück einzählt. Liebevoll-ironische Bemerkungen von Max über die Kleidung seiner Mitmusiker. Die zweite Zugabe, ein euphorisches Hip-Hop-Stück, klingt, als wäre plötzlich eine andere Band auf der Bühne. Nichts passt ganz zusammen bei Puts Marie aus Biel. Und gerade deshalb geht es auf.

Auch die absurden Künstlernamen scheinen nicht ganz zu diesen fünf Männern über dreissig zu passen: Max Usata, Gesang; Sirup Gagavil, Gitarre; Igor Stepniewski, Bass; Nick Porsche, Drums; Beni 06, Farfisa-Orgel. Die Namen stammen aus einer anderen Zeit, aus Puts Maries erstem Leben vor zwölf, dreizehn Jahren. «Sie gehörten einfach zur Verkleidung», sagt Max.

Kunstpunks beim Paartanz

Und verkleidet waren Max, Igor, Nick und Sirup damals oft. In frühen Videoaufnahmen sieht man sie als Adlige aus vergangenen Jahrhunderten, Kunstpunks beim Paartanz, der Lippenstift so dick aufgetragen, dass er wie Blut wirkt. «Am Anfang konnte es uns nicht schräg genug sein, musikalisch wie visuell», sagt Igor. Sie spielten überdrehten Jazzpunk, aber auch alles andere, was ihnen in den Sinn kam. Beni, Igors grosser Bruder, hatte manchmal Gastauftritte.

An einem warmen Februarsonntag treffen sich die fünf samt dem uralten Bandhund auf dem Juraplatz in der Bieler Altstadt. «One day I will leave and never come back», hat jemand an das denkmalgeschützte Bushäuschen geschrieben. Puts Marie sind gegangen und zurückgekommen – Biel ist gut für den Rock ’n’ Roll. Die gar nicht herausgeputzte Innenstadt, ein Hang zum Anarchismus, das AJZ-Netz, zu dem unter anderem das Kulturzentrum Chessu/Coupole und die Notschlafstelle gehören, wo Beni arbeitet. Und immer noch gibt es bezahlbare Wohnungen und Proberäume, die Atmosphäre unter den Bands ist freundschaftlich: «Ohne Konkurrenz», sagt Nick.

«Wir verkaufen ausschliesslich Musikinstrumente und Zubehör», steht auf einem Zettel im Schaufenster des Downtone-Ladens beim Juraplatz, wo Sirup Gitarren verkauft und repariert. Denn es gibt immer noch Leute, die glauben, hier verkaufe jeder Laden Gras. Ja, auch das ist in Biel noch möglich: in der Altstadt einen Laden zu eröffnen fast ohne Geld. Und selber Gitarren bauen, egal wie lange es dauert. Eine elektrische hat Sirup bereits fertig, jetzt wagt er sich an eine akustische.

Der Proberaum samt Studio liegt stadtauswärts, eine Höhle voller Musikinstrumente: auseinandergeschraubte Schlagzeugteile, ein fast hundertjähriges Klavier, Gitarren, Mandolinen, ein mexikanisches Cuatro. Und das Instrument, das Puts Marie immer stärker prägt: die Farfisa von Beni. Er schwärmt von der italienischen Analogorgel, die auch die frühen Pink Floyd verwendeten: «Am schönsten ist es, sie ganz laut zu spielen, dann bekommt sie diese Wucht, und man hört unberechenbare Frequenzen.»

Schweizer im Ausland

«Mit dem Sound, den wir am Anfang machten, hätten wir auf der Strasse keinen Rappen verdient», sagt Nick. Sie wollten aber auf die Strasse. 2004 zogen sie los, und das zweite Leben der Band begann: zwei Jahre in einem alten Bus durch Europa, im Sommer nach Norden, im Winter nach Süden. In Rom war das Publikum spendabel, in Berlin gab es dagegen kaum mehr als ein paar Zigaretten, in Montpellier regnete es ununterbrochen, in Barcelona wurde die ganze Band verhaftet. Sie spielten auf der Strasse, blieben meist so lange in einer Stadt, bis sie Kontakte geknüpft hatten, um ein Clubkonzert zu organisieren. Versoffen am letzten Abend das ganze Geld, um woanders von vorne anzufangen. «So haben wir uns zum Spielen gezwungen», sagt Igor.

Sie hassen es, auf jene Zeit reduziert zu werden, und können sich den romantischen Erinnerungen doch nicht entziehen. Wie schafft man das, monatelang zu viert im Auto zu leben? «Es war erstaunlich easy», sagt Sirup, und alle stimmen ein: Streng, aber «huere geil» sei es gewesen. Beni, damals noch der grosse Bruder, der hin und wieder auf Besuch kam, kommentiert trocken: «Eine Portion Homosexualität, dann geht das.»

Auf der Strasse veränderte sich die Musik, wurde zugänglicher. Puts Marie begannen Chansons zu spielen, «Bella Ciao», Paolo Conte. Aber immer mit eigenwilligen Elementen, seltsamem mehrstimmigem Chorgesang. Nick: «Es gab schon Engpässe. Dann assen wir eben nichts oder klauten etwas. Wir haben uns durchgebissen, nicht gleich das Mami angerufen. Aber wenn ich es nachträglich betrachte, sind wir halt doch Schweizer.» Verglichen mit den RomamusikerInnen, denen sie begegneten und die zwölf Stunden pro Tag durchspielten, war ihr Leben locker.

Nach drei selbst produzierten Platten landeten Puts Marie für das Album «Dandy Riot» (2007) beim Frankfurter Label Hazelwood. Man verstand sich von Anfang an nicht besonders gut. Sirup: «Wir hatten die Schnauze voll von unserem Akustikset, aber das Label wollte genau das, dieses Strassending. Wir standen nie wirklich hinter diesem Album.»

Doch jetzt wurden die Medien aufmerksam. Eine Schweizer Band mit Label im Ausland – allein das besserte das Image auf. Stilistisch extrem vielfältig, reicht «Dandy Riot» von Rock-’n’-Roll-Punk-Krachern wie «Camping Car» bis zur Falsetttraurigkeit von «Brush Air» und einer Aufnahme mit Flöte und Hund. Igors Bruder Beni wurde als Gastorganist angeheuert und blieb. Zurück in der Schweiz, verabschiedete sich die Band von der Strassenmusik, vermutlich begann damals das kurze dritte Leben von Puts Marie. Sie wurden härter, legten sich ein Hip-Hop-Repertoire zu, dann tourten sie durch Mexiko. Es lief gerade sehr gut, als Max 2009 beschloss, nach New York auszuwandern.

Rückblickend, das sagen alle, war der Bruch das Beste, was der Band passieren konnte. Igor: «Vielleicht hätten wir uns sonst aufgelöst. Nachdem wir jahrelang fast Tag und Nacht zusammen gewesen waren, kam der Punkt, wo jeder sein eigenes Zeug anfangen musste.» Sie gründeten Bands mit anderen MusikerInnen, zeugten Kinder, Max begann ernsthaft Theater zu spielen, Nick Porsche startete ein Soloprojekt als souliger, tieftrauriger Sänger.

Das vierte Leben von Puts Marie begann im Sommer 2011 in einer abgelegenen Mühle beim Bündner Dorf Ruschein. Ein unsicherer Start, denn Max war nur zu Besuch. Beni: «Wir kamen zusammen, und jeder hatte Zeug im Gepäck. Total dogmalos. Und dann kam dieser Jammerrock raus, das war super.» – «Ja, wir waren alle irgendwie am Jammern», ergänzt sein Bruder. Nach einer Woche hatten sie die Songs beisammen, nahmen sie auf, und Max reiste wieder ab.

Heteros im Schwulenclub

Die Aufnahmen blieben liegen, bis Max 2013 definitiv zurückkam. «Gar nicht selbstverständlich, aber sie gefielen uns immer noch», sagt Sirup. Die Band beschloss, die besten Lieder als Mini-LP mit dem Titel «Masoch» zu veröffentlichen. Und ein Video zu «Pornstar» zu drehen, dem eingängigsten Stück. Die Idee dazu kam offenbar von Beni, obwohl der relativiert. Max, der die Hauptrolle spielt, war es jedenfalls nicht: «Ich bekam in den Ferien ein E-Mail: Du spielst Freddie Mercury, du bist schwul, und du tanzt an der Stange!» Das Video wurde in einem als Schwulenclub verkleideten Bieler Vereinslokal gedreht – mit Bekannten, lauter Heteros, sagt Beni. Max half bei der Regie: «Man ist dauernd am Warten, wie immer beim Film. Aber die Leute waren geduldig, haben einfach den ganzen Tag geredet und getrunken – zum Glück, sonst wäre es gar nicht gegangen.» Der Dreh dauerte von zehn Uhr morgens bis in die Nacht, Leute von der Strasse hielten das Ganze für eine Party, kamen und blieben; die Nebelmaschine erhöhte die Kohlendioxidwerte bedenklich, am Ende kam es zu Eifersuchtsszenen unter betrunkenen Statisten.

Auf der Bühne ziehe jeder an, was er wolle, sagt Max, doch das Androgyne zieht sich durch Puts Maries Geschichte: die viele Schminke am Anfang, später trat Sirup im Hochzeitskleid und Max im Paillettenanzug auf, es gab Röcke, Kniestrümpfe, Blumenkränze, Fuchsfell … Dahinter steht kein Konzept, keine Theorie, es hat etwas Selbstverständliches. Beiläufig zeigen sie dem Rest der (Männer-)Welt, wie fliessend die Grenzen zwischen Freundschaft und Erotik, wie unsicher die Definitionen des Mannseins sein können. Beni: «Einer der Darsteller merkte plötzlich: ‹Oh, Shit, das Video ist auf Tele Bielingue, darin küsse ich einen Mann, dabei bin ich doch der Rocker von Biel!› Das ist super, das verändert die Leute.» – «Ja», sagt Max. «Das ist wunderschön.»

Puts Marie spielen am 21. März 2014 im Mokka in Thun und am 29. Mai 2014 an der Bad Bonn Kilbi in Düdingen. Die Mini-LP «Masoch» ist beim Lausanner Label Two Gentlemen erschienen.