Brigitte Schnegg (1953–2014): Eine kämpferische Wissenschaftlerin

Nr. 16 –

Brigitte Schnegg erforschte die Geschichte der Frauenbewegung, dann wurde sie Teil von ihr. Ein Nachruf von ihrer Freundin, der Historikerin Elisabeth Joris.

Als ideenreich und humorvoll in lebendiger Erinnerung: Die feministische Historikerin Brigitte Schnegg. Foto: Manu Friederich

Die Berner Historikerin Brigitte Schnegg, Leiterin des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung der Universität Bern, ist Ende März erst sechzigjährig völlig überraschend an einem Herzversagen gestorben. Zusammen mit der Basler Professorin Regina Wecker organisierte sie 1983 die erste Schweizerische Historikerinnentagung. Seitdem war ich mit ihr befreundet. Leben – so habe ich sie über alle diese Jahre erfahren – implizierte für sie immer Stellung beziehen, sich engagieren: für eine gerechtere Gesellschaft, für den Abbau von Diskriminierungen, für den Zugang zu Rechten, den Zugang zu Wissen.

Dieses Engagement war fast immer durchdrungen von einer feministischen Positionierung und Weltsicht. Denn Brigitte Schnegg verstand sich als Teil der Frauenbewegung, die sie in Bern mitgeprägt hat und die sie im universitären Umfeld verankerte. Gesellschaftspolitisches, wissenspolitisches, feministisches und berufliches Engagement waren bei ihr verflochten und nicht zu trennen. Es war eingebunden in einen intensiven personenbezogenen Austausch: während ihres Studiums und ihrer Zeit als Assistentin eingebunden in den Austausch mit anderen StudentInnen oder MitarbeiterInnen am Historischen Seminar, seit den siebziger Jahren eingebunden in den Austausch mit Freundinnen aus der neuen Frauenbewegung, mit weltoffenen BürgerInnen, mit VertreterInnen von NGOs, mit Intellektuellen auch, und weit über die Grenzen der Schweiz hinaus mit HistorikerInnen, mit WissenschaftlerInnen verschiedener Fachrichtungen.

So erweiterte Brigitte Schnegg ihr Netzwerk über Jahrzehnte und pflegte es mit Sorgfalt, trennte – ganz entsprechend der Devise der neuen Frauenbewegung – das Private nicht vom Politischen. Immer wieder schuf sie ebenso auf informeller Ebene wie in etablierten Institutionen Räume zum intellektuellen Austausch, Orte auch der Begegnung für Frauen und feministische Aktivistinnen.

Weil Feminismus als Herrschaftskritik für sie Kritik an den Schwerpunkten wissenschaftlicher Fragestellungen und der lange ungenügenden Förderung von Frauen implizierte, war ihr die Mitgliedschaft in «FemWiss», der Organisation der feministischen Wissenschaft, selbstverständlich. Als Denkerin voller Esprit und Kreativität folgte sie nicht dem Mainstream. Unermüdlich liess sie sich auf Debatten ein, wusste anzuregen und sich anregen zu lassen. Sie disputierte mit scharfem Verstand und paarte ihre klare Argumentation mit kämpferischem Geist. So hat ihr Engagement über die Jahre vielfache Spuren hinterlassen. Mit der Organisation der ersten Historikerinnentagung zum Thema Arbeit hat sie sich in die feministische Historiografie eingeschrieben. Ebenso zeigte sich ihr Sensorium für aktuelle wissenschaftliche Fragestellungen in der Thematik der verschiedenen Tagungen der Schweizerischen Gesellschaft für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, in deren Vorstand sie über Jahre mitarbeitete. Nachhaltigste Spuren hinterlässt sie als Leiterin des 2001 gegründeten Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung (IZFG).

Brigitte Schnegg verlieh dem IZFG im Kontext der sich auf universitärer Ebene etablierenden Genderstudies ein einzigartiges Profil. Es entwickelte sich unter ihrer Führung zu einer Schnittstelle von Wissenschaft, Zivilgesellschaft, politischen, staatlichen und internationalen Institutionen: Im Rahmen des feministischen Netzwerks Wide (Women in Development), das im Verbund mit NGOs die schweizerische Entwicklungspolitik sowie die Wirtschafts- und Aussenpolitik mit Fokus auf die Geschlechterverhältnisse in den Blick nimmt, ist das IZFG zuständig für den Bereich Wissenschaft, Forschung und Weiterbildung. Als Teil des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Menschenrechte befasst es sich mit Fragen des Menschenhandels, der Gewalt gegen Frauen und der Rechte von Migrantinnen. Im Bereich Geschlecht und nachhaltige Entwicklung kooperiert es eng mit der Deza und übernahm 2007 im Rahmen des nationalen Forschungsschwerpunkts North-South die Aufgabe, die Forschenden in Bezug auf die Implementierung der Geschlechterperspektive in der Entwicklungsforschung zu beraten.

Diese Kooperationen sind ein eigentliches Vermächtnis von Brigitte Schnegg. Darüber hinaus gelang es ihr über all die Jahre, eine Vielzahl von Personen für ein gesellschaftspolitisches Engagement zu begeistern. Auch bei jüngeren Frauen weckte sie Interesse für Fragen geschlechterspezifischer Zuordnungen. So stärkte sie bei ihren Mitarbeiterinnen, aber auch bei angehenden Forscherinnen den Glauben an die eigenen Fähigkeiten, eröffnete ihnen Möglichkeiten intellektueller Entfaltung und zeigte Wege, eigene Ressourcen produktiv umzusetzen.

Mit ihrem Wirken trug Brigitte Schnegg zur Geschichte der Frauenbewegung bei, die sie selbst als junge Historikerin analysiert hatte. Zugleich bleibt sie mir und vielen anderen als liebenswerte, humorvolle, gesprächsbereite und ideenreiche Wissenschaftlerin und Freundin in lebendiger Erinnerung.