«Jakobs Ross»: Nah am Mist im Stall

Nr. 21 –

Silvia Tschui debütiert mit einem lesenswerten düsteren Schweizer Märchen, das manchmal an seiner bemüht lustigen Kunstsprache leidet.

Er ist schon stark, dieser erste Satz: «Ja, wenn das Elsie das Lied vom Blüemlitaler Bauern, wo vor Heimweh in der Fremde verräblet, nur wieder einmal in einem Salong singen und fidlen könnte, anstatt in diesem Finsterseer Chuestall nur das Rösli und das Klärli mit je einer Hampflen Heu in der Schnörre als Publikum zu haben!» So beginnt der erste Roman von Silvia Tschui. Die Journalistin, Grafikdesignerin, Animationsfilmerin und Absolventin des Bieler Literaturinstituts hat eine Kunstsprache geschaffen, ganz nahe am Dialekt. Das passt auf den ersten Blick gut zu der Geschichte, die in der Schweiz des 19. Jahrhunderts angesiedelt ist und von der musikalisch hochbegabten Magd Elsie erzählt, die auf einem kleinen Pachthof verkümmert.

Spiel mit dem Dialekt

Genau besehen ist es aber keine schlichte Sprache, die wie Rollenprosa dem Blickwinkel und dem Horizont der Romanfiguren entspricht. Es handelt sich um eine raffinierte, ironische Sprache der darüberstehenden Erzählerin mit musikalischen langen Sätzen, deren Dialekteinsprengsel oft witzige, ironische Pointen setzen. Dieser Stil ist durchaus gekonnt, aber er schafft auch ein Problem bei der Lektüre: Jeder Satz spreizt sich und scheint einem zuzurufen: Schau her, wie originell ich bin!

Hat man sich aber in den Roman eingelesen, folgt man gerne der traurigen Geschichte, die Tschui im Ton des magischen Realismus erzählt. Vom Frölein Sophie mit dem «butterweichen Herzen» hat Elsie eine Geige geschenkt bekommen; wenn sie auf dem Instrument spielt, geschehen im Herrenhaus in Wädenswil die seltsamsten Dinge: Der Fabrikdirektor wird ganz melancholisch, die Pferde bekommen Koliken, in der alten Jungfer erwachen erotische Gefühle. Schon glaubt Elsie, dass ihr eine wunderbare Karriere bevorsteht, als alles schiefläuft und ihre Träume zerbrechen: Sie wird vom Hausherrn geschwängert, an den Rossknecht verschachert, und beide verbittern auf ihrem mageren Pachthof bei Finstersee oberhalb der Sihl. Bis eines Tages ein Jenischer auftaucht, dem Elsies Herz entgegenfliegt. So weit, so melodramatisch.

Augenzwinkernder Gotthelf

Diese Groschenromanstory ist deswegen lesenswert, weil sie mit vielen anschaulichen Details gesättigt ist. Silvia Tschui führt die LeserInnen ganz nahe heran an den Mist im Stall und den Schweiss der Bauern, an die Bäume, das Feld, den Finstersee, an die Fehlgeburt von Elsie und auch an das verwesende Pferd, das Jakob einfach liegen lässt, weil er zuerst die giftigen Eiben fällen will, die schuld sind am Tod seines so lange ersehnten Rosses.

In einem Gespräch auf der Leipziger Buchmesse störte sich Silvia Tschui daran, dass so oft das Brutale ihres Romans betont werde, er sei doch auch lustig. Aber seine Stärke liegt (neben dem Erfindungsreichtum in Sachen Magie) gerade in der detaillierten Schilderung der gewaltgesättigten Atmosphäre des 19. Jahrhunderts mit seinem unerbittlichen Patriarchat. Der Witz wirkt hingegen eher aufgesetzt: Er liegt vor allem in der ironisierenden Sprache, die dazu führt, dass der Roman wie eine augenzwinkernd überschriebene Gotthelf-Geschichte daherkommt.

Die Autorin diskutiert mit Matto Kämpf (vgl. «Höherer Blödsinn» ) am Freitag, 30. Mai 2014, um 13 Uhr über das «Idiom als Kunstsprache» und liest am Samstag, 31. Mai 2014, um 14 Uhr in Solothurn.

Silvia Tschui: Jakobs Ross. Nagel & Kimche. Zürich 2014. 206 Seiten. Fr. 18.90