«Rendite machen und Gutes tun?»: Mikrokredite als boomendes Geschäft

Nr. 26 –

Seit drei Jahrzehnten werden Mikrokredite als Wundermittel gegen Armut gepriesen. Doch bekämpft man Armut wirklich mit der Verschuldung der Armen? Ein Sammelband geht dieser Frage nach, bleibt aber bei den konkreten Alternativen zu vage.

Hartnäckig hält sich das in den Hochglanzbroschüren der Mikrokreditinstitute gepriesene Bild: glückliche Frauen aus dem Globalen Süden, die sich durch die Vergabe kleiner Kredite eine unternehmerische Existenz aufbauen konnten und so der Armut entkamen. 2006 wurde dieses «Heilsversprechen der Mikrofinanz» mit der Verleihung des Friedensnobelpreises an die Grameen Bank des Mikrokreditpioniers Muhammad Yunus gekrönt. Vier Jahre später erschütterte eine Selbstmordwelle unter KreditnehmerInnen im indischen Bundesstaat Andra Pradesh die globale Öffentlichkeit. Die Kritik an Mikrokrediten wurde lauter. Gehört wird sie dennoch selten.

Vor allem im deutschsprachigen Raum bestehe Aufklärungsbedarf über Mikrofinanz, konstatieren der WOZ-Autor Gerhard Klas und der Soziologe Philip Mader. Im August 2013 haben sie die erste kritische Fachtagung zu Mikrokrediten im deutschsprachigen Raum organisiert, aus der das jetzt erschienene Buch «Rendite machen und Gutes tun?» entstanden ist. Den Grundtenor des Sammelbands fassen sie in der Einleitung zusammen: «Es ist an der Zeit, die Mikrofinanz sicherheitshalber vom Markt zu nehmen und die frei werdenden Ressourcen in die Suche nach neuen, besseren Mitteln der Armutsbekämpfung zu legen.»

Entwicklung durch Verschuldung

Die zahlreichen quantitativen Studien könnten insgesamt keinerlei Wirkung von Mikrokrediten (weder positive noch negative) auf den Erfolg der Armutsbekämpfung nachweisen, schreibt die Ökonomin Maren Duvendack in ihrem Beitrag. Doch das ist nicht mehr entscheidend: Mag Armutsbekämpfung einst hehre Absicht der MikrokreditpionierInnen gewesen sein, so geht es heute längst um anderes. Die Mikrokredite sind ein boomendes Geschäft. Von 2001 bis 2011 ist das weltweite Volumen von drei auf neunzig Milliarden US-Dollar gestiegen; derzeit haben über 200 Millionen Menschen einen Kleinstkreditvertrag unterschrieben.

Die Kritik, die sich durch das Buch zieht, konzentriert sich auf die Verbindung von Mikrokrediten mit der neoliberalen Entwicklungspolitik: Nicht der Staat, sondern der freie Markt soll die Armutsbekämpfung übernehmen, die Verantwortung soll das Individuum tragen – über Verschuldung. Während also die Entwicklungsländer mit Strukturanpassungsprogrammen in den globalen Markt integriert werden, dienen Mikrokredite als marktförmige Alternative zur sozialstaatlichen Grundversorgung. Es erstaunt so nicht, dass mittlerweile die Weltbank selbst an vorderster Front für die Weiterentwicklung und Verbreitung der Mikrofinanz sorgt.

Als «Finanzialisierung der Armut» bezeichnet Philip Mader die Effekte der Mikrokredite. Unter dem Deckmantel der Entwicklungspolitik wird selbst die mittellose Bevölkerung den Finanzmärkten als Anlagemöglichkeit erschlossen. Für die Armen selbst wirken die Kredite als «Kolonialisierung der Lebenswelt»: Um die Schulden zurückzahlen zu können, werden sie gezwungen, unternehmerisch zu handeln. Funktioniert diese Selbstdisziplinierung nicht, wenden SchuldeintreiberInnen vielfach Methoden wie Kollektivhaftung, soziale Ächtung und handfeste Bedrohung an. Fallbeispiele aus Indien, Bangladesch oder dem Sudan zeigen die Auswirkungen auf lokale Gemeinschaften: Genossenschaftliche Sicherungssysteme werden durch Finanzinstitute, Solidarität durch Konkurrenz, Vertrauen durch Missgunst abgelöst.

Globale Kritik, lokale Alternativen

Die Leistung des Buchs ist es, dass die verschiedenen Beiträge (darunter einer von Christa Wichterich, vgl. Interview in der aktuellen Ausgabe ) einen Bogen von Fallstudien über lokale Effekte bis hin zu einer grundsätzlichen Kritik an der Neoliberalisierung spannen. Eine solche Verknüpfung läuft jedoch Gefahr, die Macht und Kohärenz neoliberaler Ideologie zu überhöhen. Dass es gerade auf lokaler Ebene sehr wohl Alternativen gibt, um solidarische Strukturen und gemeinschaftliche Hilfe zu fördern, wird an einigen Stellen des Buchs erwähnt. Diese bleiben jedoch, auch durch die Kürze der Texte, stark anekdotisch. Spannend wäre gewesen, darüber noch mehr zu erfahren. Denn das Thema ist auch über die Entwicklungspolitik hinaus aktuell und brisant: Bereits werden Mikrokredite etwa in Osteuropa angewendet. Und die Austeritätspolitik im Süden Europas weist auf neue solche «Anlagemöglichkeiten» hin.

Gerhard Klas (Hrsg.) und Philip Mader (Hrsg.): Rendite machen und Gutes tun? Mikrokredite und die Folgen neoliberaler Entwicklungspolitik. Campus Verlag. Berlin 2014. 217 Seiten. Fr. 32.90