Durch den Monat mit Ruth Weiss (Teil 3): «Werden Sie sich nun zur Ruhe setzen?»

Nr. 29 –

Ruth Weiss gehört zu jenen tausend Frauen, die 2005 kollektiv für den Friedensnobelpreis nominiert wurden. Wegen ihrer kritischen Haltung lebte die Journalistin und Schriftstellerin jahrzehntelang im Exil.

Ruth Weiss in der ihr gewidmeten Ausstellung in Basel vor einem Poster von Kapstadt: «Eine territoriale Heimat habe ich nicht. Heimat ist, wo Freunde sind.»

WOZ: Frau Weiss, immer wieder wurden Sie zur Persona non grata erklärt. Wie kam das?
Ruth Weiss: Zuerst musste ich 1936 Deutschland verlassen, weil ich Jüdin war. Die südafrikanische Regierung wollte mich dreissig Jahre später nicht mehr, weil ich mich im Befreiungskampf der Schwarzen gegen das Apartheidregime engagierte, und Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, musste ich wenige Jahre später den Rücken kehren, weil ich dem Regime als Journalistin zu unbequem wurde. Das war manchmal schon schwierig. Aber anderen ging es ja genauso.

Erst 1990, also nach der Befreiung Nelson Mandelas, kehrten Sie nach Südafrika zurück. Wie denken Sie über den ersten schwarzen Präsidenten des Landes, den Sie seit den sechziger Jahren kannten?
Im Befreiungskampf war er eine entscheidende Figur. Seine unerwartete Leistung im neuen Südafrika war die sofortige Versöhnung mit den herrschenden Weissen. Dafür mussten andere Probleme aufgeschoben werden, insbesondere die bittere Armut der jahrzehntelang entmündigten Schwarzen und der innerschwarze Konflikt, den das Apartheidregime stets geschürt hatte. In den Kämpfen zwischen den Anhängern des African National Congress (ANC) von Mandela und rivalisierenden Gruppen kamen zwischen 1990 und 1994 mehr Menschen um als in den 45 Jahren Apartheid.

Sie haben in so vielen Ländern in Afrika und Europa gelebt. Wo sind Sie zu Hause?
Eine territoriale Heimat habe ich nicht. Heimat ist, wo Freunde sind. Meine Identität finde ich am ehesten im Judentum. An meinem heutigen Wohnort in Deutschland bin ich vor einigen Jahren der jüdischen Gemeinde beigetreten. Meinem Sohn geht es ähnlich: Er wurde in England geboren und hat deshalb einen englischen Pass. Er fühlt sich aber nicht als Engländer, auch nicht als Südafrikaner oder Deutscher und auch nicht als Däne, obwohl er in Dänemark lebt. So versteht er sich am ehesten als Jude.

Als Journalistin und später als Schriftstellerin haben Sie rund dreissig Sachbücher und Romane geschrieben. Wie kamen Sie zum Schreiben?
Ich schreibe, seit ich mich erinnern kann. Als ganz junge Frau verfasste ich Gedichte und Kurzgeschichten. Einmal versuchte ich es mit einem Roman, den mein damaliger Ehemann, Hans Weiss, nicht gut fand. Er landete im Papierkorb. Später hatte ich vor lauter Arbeit kaum mehr Zeit, mich als Schriftstellerin zu versuchen. Erst im Alter fand ich Lust und Musse, es nochmals zu probieren. Anfangs zum Spass schrieb ich die Geschichte eines Freundes auf, den ich aus den Augen verloren hatte. Später wurde daraus die Fiktion «Meine Schwester Sara». Der Roman schildert das Schicksal der kleinen Sara in der Zeit der Apartheid in Südafrika; 1948 wurde sie als vierjähriges Waisenkind von einer Burenfamilie adoptiert, erfuhr viel Ablehnung und beteiligte sich dann aktiv am Widerstand gegen die Apartheid.

Woran arbeiten Sie gerade?
Derzeit an einer Sammlung von Geschichten über die jüdische Familie Löw nach dem Dreissigjährigen Krieg. Aber ich habe noch viele unveröffentlichte Manuskripte über Südafrika, über die Landreform in Simbabwe, über Robert Mugabe. Es gibt Themen, die begleiten mich, seit ich denken kann. Andere Themen kommen hinzu. Ich will aktuell bleiben.

Nächste Woche feiern Sie Ihren 90. Geburtstag. Werden Sie sich nun zur Ruhe setzen?
Wohl kaum. Einerseits habe ich nur eine kleine Rente, andererseits schreibe ich einfach gern. Ich bin neugierig. Recherchieren und arbeiten erweitern meinen Horizont. Dank Internet und E-Mails kann ich mich informieren, was in der Welt passiert. Ich kann ja nicht so tun, als ob das Ende schon da wäre, nur weil ich alt bin und mich mit dem Rollator vorwärtsbewege. Ich nehme am Leben teil, bis das Ende kommt, und höre nicht vorher auf.

Was freut Sie in Ihrem Leben am meisten?
Ich bin glücklich, dass ich noch arbeiten kann und sich Menschen für mein Berufsleben interessieren. Aber mein Herz schlägt für meinen Sohn und mein Enkelkind.

Welchen Geburtstagswunsch haben Sie?
Seit ich ein Kind bin, erhoffe ich mir eine bessere Welt, in der dieses unerträgliche Unrecht beseitigt wird, das sich leider immer vergrössert: die Spaltung zwischen Arm und Reich. Milliarden von Menschen leben in unerträglicher Armut, andere sind unermesslich reich. Aber die menschlichen Bedürfnisse sind gleich; der Überfluss ist nicht nötig und nicht gut für die Menschen. Das grösste Problem vieler Menschen ist ihre Gier. Von ganzem Herzen wünsche ich mir, dass diese Gier nach Reichtum und Macht auf der Welt kleiner wird, dass die Klassenunterschiede verschwinden.

Sie haben viel Elend erlebt. Sind Sie darüber manchmal verzweifelt?
Nein, das nicht. Eher enttäuscht. Aber nichts ist statisch, alles fliesst. Ich denke, der Zufall bestimmt die Richtung. Aber was die Menschen daraus machen, ist nicht Schicksal. Wir können und müssen Einfluss nehmen.

Soeben ist «A Path through Hard Grass. 
A Journalist’s Memories of Exile and Apartheid» von Ruth Weiss mit einem Vorwort von Nadine Gordimer erschienen. Noch bis am 23. August 2014 zeigen die Basler Afrika-Bibliographien eine Ausstellung über ihr Leben unter dem Titel «My Very First Question to You».