Medientagebuch: Der traurige Minister

Nr. 36 –

Ungarische Zensur mit deutscher Hilfe

«Janos Lazar ist traurig.» Diese lapidare Mitteilung an die Chefredaktion der ungarischen Onlineplattform Origo.hu signalisierte in der Vergangenheit, dass Premier Viktor Orbans Stabschef mit der Berichterstattung nicht einverstanden war. Zuletzt war Lazar nicht nur traurig, sondern wütend. Der Kanzleramtsminister und Vertraute des Ministerpräsidenten soll Anfang Juni die Kündigung von «Origo»-Chefredaktor Gergö Saling erwirkt haben. Die von offizieller Seite heftig bestrittenen Interventionen wurden jetzt von einem Zeugen dokumentiert.

Andras Pethö, ehemaliger stellvertretender Chefredaktor von «Origo», löste mit einem Brief an die Beschwerdekommission der ungarischen Telekom eine Untersuchung aus. Sein Vorwurf: Die Entlassung von Gergö Saling sei auf Druck der Regierung erfolgt. Das Nachrichtenportal hatte im Frühjahr öffentlich gemacht, dass Lazar auf einer angeblichen Dienstreise nach Westeuropa in fünf Tagen über 6000 Euro allein für die Unterkunft ausgegeben hatte. Damit nicht genug: «Origo» zwang den Minister per Gerichtsbeschluss, die Details seiner Abrechnung offenzulegen. Lazar behauptete zwar, alles habe seine Richtigkeit und er sei in offizieller «nicht militärischer Geheimdienstmission» unterwegs gewesen. Gleichzeitig untergrub er aber seine Glaubwürdigkeit, indem er die fragliche Summe an den Staat zurücküberwies. So ersparte er sich die Offenlegung. Gerüchte, dass der Politiker auf Staatskosten einen Luxusurlaub mit einer Geliebten hatte finanzieren wollen, machten schnell die Runde.

Er habe Kenntnis davon, dass dem Chefredaktor mehrmals mitgeteilt worden sei, dass «einige Mitglieder des Telekom-Managements verstört» über die Berichterstattung seien, schrieb Andras Pethö, der wie die meisten Redaktionsmitglieder aus Solidarität mit dem entlassenen Chef gekündigt hat. Ursache der Verstörung sei der Prozess gegen Lazar gewesen. Man möge die erste Anhörung zumindest auf die Zeit nach den Wahlen verschieben, sei verlangt worden. Dann sei gefordert worden, dass ein Bericht über den Prozess vom Netz genommen werde. In beiden Fällen hatte Chefredaktor Saling dem Druck widerstanden.

Origo.hu gehört der ungarischen Telekom-Tochter, die wiederum im Mehrheitseigentum der Deutschen Telekom steht. Streng genommen hat der ungarische Staat daher keinen Einfluss auf die Personalpolitik des Portals, das sich in achtzehn Jahren den Ruf eines seriösen Mediums erworben hat. Gergö Saling war erst im vergangenen November engagiert worden und journalistisch wie wirtschaftlich offenbar erfolgreich. Die Begründung, seine Entlassung sei Folge einer «integrierten Content-Produktionsstrategie», überzeugte daher niemanden. Vielmehr wird vermutet, die Deutsche Telekom habe Gergö Saling im Rahmen eines lukrativen Deals zum Abschuss freigegeben. Die zeitliche Nähe zur Unterzeichnung eines «partnership agreement» zum Breitbandausbau in Ungarn durch Telekom-Chef Timotheus Höttges und Premierminister Viktor Orban macht diesen Zusammenhang plausibel. Selbstverständlich wies die Deutsche Telekom aber jeden Verdacht, sie habe die Pressefreiheit verkauft, von sich.

Origo.hu hütet sich bereits seit Jahren davor, durch allzu kritische Kommentare ins Visier der strengen Medienbehörde zu geraten. Trotzdem wurden die Werbeschaltungen von regierungsnahen Institutionen auf der Plattform spürbar seltener. Mit der ausgewechselten Redaktion hat Janos Lazar nun keinen Grund mehr, traurig zu sein.

Ralf Leonhard schreibt für die WOZ aus Wien und Budapest.