Kultour

Nr. 37 –

Konzert

Furman brüllt, wenn Ferguson brennt

Seine Maschine tötet vielleicht keine FaschistInnen, aber er schlägt die akustische Gitarre durchaus mit der Wut des Protestsängers an. Wir sind auf Youtube, wo Ezra Furman im August den Song «Ferguson’s Burning» ins Netz gestellt hat: nur er selbst mit Gitarre, irgendwo in einer Absteige. Das Protestlied ist seine gellende Reaktion auf den Tod jenes unbewaffneten jungen Schwarzen, der am 9. August in der US-Kleinstadt Ferguson von einem Polizisten erschossen wurde. «The message was clear, broadcast over the nation», schreit Furman, «kill a young black man and win a vacation.» (Die Botschaft war klar und wurde landesweit ausgestrahlt: Töte einen jungen Schwarzen, und gewinne Ferien.) Dann kommt der Refrain, und Furmans Stimme überschlägt sich vor Zorn.

Zwischen Prag und Köln macht der junge Mann jetzt halt in Zürich. Und mit seinem aktuellen Album «Day of the Dog» (2013) hat er einen Korb voll mit fröhlich schlingerndem Rumpelrock dabei. Das beginnt mit Punk, nämlich mit Furmans Befund, dass ihm die Welt hochkommt wie Kotze und dass er gern seinen Augapfel herausschneiden würde, um den Schmerz zu tilgen («I Wanna Destroy Myself»). Aber der Mann aus Chicago kann auch anders. «My Zero» zum Beispiel ist der perfekte verhinderte Sommerhit zu diesem verhinderten Sommer: Pop, der ungeniert drauflosrollt, und mittendrin heulen die Saxofone zweistimmig, dass es eine helle Freude ist. Das alles kommt wahnsinnig lässig daher, ist aber auch in den lärmigsten Songs auf den Punkt genau arrangiert, samt furzendem Tenorsax und obligaten Handclaps. Klingt manchmal so, als habe Pete Doherty mit seinen Babyshambles die kalifornische Sonne erblickt.

Ezra Furman & The Boyfriends in: Zürich Stall 6, Gessnerallee, Di, 16. September 2014, 20 Uhr. 
www.stall6.ch, www.ezrafurman.com

Florian Keller

Festival

Bern schaut zwischen die Räume

Wie klingen Räume? Wie riecht die Stadt? Und wem gehört die Stadt? Die diesjährige Biennale Bern, das Festival für zeitgenössische Künste, beschäftigt sich mit dem Thema «Zwischen Räumen». Während zehn Tagen werden in der Stadt Bern Räume geschaffen, fiktive wie reale. Darin wird Musik gemacht, gesungen, getanzt, gespielt und diskutiert. «Zeitfugen, Umzonungen. Widerständige Raumproduktion heute?» lautet der Titel der Gesprächsreihe von Tim Zulauf und KMU-Produktionen, an der ExpertInnen aus den Bereichen Kunst, Aktivismus, Wissenschaft und soziale Arbeit zum Thema diskutieren und Beispiele aus ihrem Alltag erzählen. Der Stadtraum wird ja zusehends durchökonomisiert; wer nicht konsumiert, wird weggewiesen.

Aus dem Alltag von Verdrängten erzählt auch «Striche durch Rechnungen», ebenfalls von Tim Zulauf und KMU-Produktionen. Das Projekt fragt, was es für Sexarbeiterinnen bedeutet, dass sie aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden und ihr Arbeitsraum in Sexboxen verlegt wird. Mit in die Stadt nimmt einen die Stadtführung «Urban Scent Walk». Hier geht es immer der Nase nach, denn im Zentrum stehen die Gerüche und Düfte und die Erinnerungen, die sie in uns auslösen. Auch «Unterland» der Künstlergruppe Surround lädt das Publikum ein, den städtischen Raum neu zu entdecken und neu zu hören – wo genau, wird nicht verraten.

Zu hören sind im Spätprogramm auch diverse Musiker wie Reverend Beat-Man, Jurczok 1001 und Simon Ho mit Michael Fehr oder die Slampoetin Hazel Brugger – und der Künstler Christian Marclay (vgl. «Kino im Fotomuseum» weiter unten) zeigt seine musikalisch-visuelle Performance «Everyday».

Biennale Bern Festival für zeitgenössische Künste in: Bern verschiedene Orte. Festivalzentrum: Schlachthaus Bern, Do, 11., bis Sa, 20. September 2014. www.biennale-bern.ch

Silvia Süess

Film

Expo 64 Reloaded

Zwölf Millionen BesucherInnen lockte die Expo 64 in Lausanne von April bis November 1964 an. Die Landesaustellung war eine Leistungs- und Nabelschau, und in den Zeiten des Kalten Kriegs betonte sie, wo immer möglich, die Schweizer Werte.

Dies tat auch «Wehrhafte Schweiz», der offizielle Film zur Expo, der zu einem Publikumsmagneten wurde. Ausschnitte aus dem Werk, das – ganz im Sinn Ueli Maurers – eine schlagkräftige, gefährliche Armee zeigt, sind nun in restaurierter Fassung vor dem Bundeshaus zu sehen. Memoriav, das nationale Netzwerk für die Erhaltung des audiovisuellen Kulturguts, präsentiert ausserdem Ausschnitte aus «Die Schweiz im Spiegel» und «Rund um Rad und Schiene». Die grosse Sensation vor fünfzig Jahren war die neue Technologie, mit der man erstmals in der Schweiz Filme in einem 360-Grad-Panoramaformat zeigen konnte.

Memoriav hat die Filme restauriert und digitalisiert und ermöglicht so einen Einblick in die mit allen möglichen Mitteln geführte Geistige Landesverteidigung.

«Expo 64» im 360-Grad-Panoramakino in: Bern Bundesplatz, Fr, 12. September 2014, 10–18.30 Uhr, 
Sa, 13. September 2014, 10–22 Uhr. www.memoriav.ch

Silvia Süess

Schaffen, schaffen, schaffen

Arbeit ist bekanntlich das halbe Leben. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit, denn für viele Menschen ist Arbeit sogar das ganze Leben. Sie arbeiten Tag und Nacht, weil ihr Einkommen sonst zu tief wäre, um eine Familie zu ernähren. Weil sie zu viel zu tun haben, um eine Pause zu machen. Weil sie ununterbrochen erreichbar sein müssen. Oder weil sie einfach nicht sein können ohne Arbeit. Das Neue Kino Basel zeigt im September eine Filmreihe mit dem Titel «Arbeit, Leben, Kino» und gibt filmische Einblicke in unterschiedlichste Arbeitswelten.

Wie im Spielfilm «Workers» (2013) des mexikanischen Regisseurs José Luis Valle. Rafael und Lidia sind beide hart arbeitende Menschen: Er schuftet in einer Glühbirnenfabrik, sie als Angestellte im Haus einer sehr wohlhabenden Dame. Als er eigentlich pensioniert werden sollte, erfährt er, dass er doch noch weiterarbeiten muss. Und auch Lidia wird nach dem Tod ihrer Chefin nicht arbeitslos, sondern muss sich weiterhin um deren Hund kümmern. Valle erzählt in seinem Erstling von unserer Abhängigkeit von der Arbeitswelt, aber auch von der Begegnung zweier einfacher Menschen.

Einen Einblick in einen Arbeitsalltag, der normalerweise hinter verschlossenen Türen stattfindet, gibt der Berner Regisseur Mischa Hedinger in seinem Dokumentarfilm «Assessment» (2013). Seine fix installierten Kameras zeigen die VertreterInnen der Sozialversicherungen, der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren und des Sozialdiensts bei Sitzungen mit stellenlosen Menschen. Das Ziel dieser Assessments ist, diese wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Denn wie gesagt: Arbeit ist das halbe Leben.

«Arbeit, Leben, Kino» in: Basel Neues Kino, «Workers»: Do/Fr, 11./12. September 2014, 21 Uhr. «Assessment»: Do/Fr, 18./19. September 2014, 21 Uhr, am Do in Anwesenheit des Regisseurs. Weitere Vorführungen siehe www.neueskinobasel.ch.

Silvia Süess

Ausstellung

Kino im Fotomuseum

Für einmal wird das Winterthurer Fotomuseum gewissermassen zum Standbildkino: «Blow-Up» heisst die neue Schau, die sich in allen Facetten um den gleichnamigen Film von Michelangelo Antonioni dreht, in dem David Hemmings im London der Swinging Sixties die Schönen und die Armen fotografiert – bis er dem Glauben verfällt, er habe mit der Kamera im Park zufällig einen Mord eingefangen. Doch wie stark er die Abzüge auch vergrössert, die Fotografie ergibt keinen letztgültigen Beweis. Die Ausstellung in Winterthur zeigt dabei nicht nur Filmstills und fotografische Werke, die in dem Film von 1966 vorkommen, sondern bildet das ganze kulturelle Umfeld von Antonionis Klassiker ab, von der Modefotografie jener Zeit bis hin zur Sozialreportage aus dem East End. Fürs filmische Begleitprogramm sorgt das Filmfoyer im Kino Loge mit einer Reihe zum «Voyeuristischen Blick». Und in einer einmaligen Matinee samt Künstlergespräch zeigt dort der Künstler Christian Marclay seinen Film «Up and Out», in dem er Antonionis Film mit der Tonspur aus Brian De Palmas Hommage «Blow Out» unterlegt.

«Blow-Up. Antonionis Filmklassiker und die Fotografie» in: Winterthur Fotomuseum. 
Sa, 13. September 2014, bis So, 30. November 2014. 
«Up and Out» von Christian Marclay: 
So, 14. September 2014, 11 Uhr, Kino Loge, 
anschliessend Gespräch mit dem Künstler. 
www.fotomuseum.ch

Silvia Süess