LP der Gruppe Sein: Zirkusmusik im Holzerhurd

Nr. 39 –

Sie dreht sich 33 Mal in der Minute, die schwarze Scheibe. Nach sechs bittersüssen Songs wird sie umgedreht, und acht weitere folgen. In «Holzerhurd», einem Stück, das der aktuellen LP der Zürcher Gruppe Sein den Titel leiht, gönnt sich die Sängerin eine Pause. Holzerhurd bezeichnet die Endschleife der Buslinie 32 in Zürich Affoltern. Die 32 ist eine der buntesten Linien der Stadt und führt von den neuen Wohngebieten in der Nähe des Katzensees über die Langstrasse ins Albisgüetli.

Holzerhurd ist auch ein Ort, wo auf einer versteckten Wiese ein schäbiger Kleinzirkus stehen könnte. Die Zirkuskapelle spielt schon vor der Vorstellung ihre melancholische Weisen. Ihre Musik lässt Erinnerungen an Fellini-Filme und Songs und Moritaten von Bert Brecht, Kurt Weill und Hanns Eisler erwachen. Musu Meyer, die Sängerin von Sein, singt mit sinnlich-rauchiger Stimme eigene Texte. Sie künden von den Erbärmlichkeiten und Hoffnungen des Daseins, von Einsamkeit und der Sehnsucht nach Liebe. Das Schicksal von heissblütigen Strandgigolos mit Waschbrettbauch, die es in «Herbst» wieder in den grauen Büroalltag zurückverschlägt, beschäftigt sie wie die Erinnerung an den «allerersten Mann».

Meyer, mit einem Faible für Endstationen, hat sich schon «einen Platz reserviert in der Höll, nah beim Grill / wo’s wohlig warm ist …». Dort möchte sie ihre Lieder bei einem kräftigen Glas Laphroaig weitersingen. Einstweilen spielt und singt sie mit der achtköpfigen Band hier für uns. Es ist entspannte, manchmal beschwingte und immer sehnsuchtsvolle Musik mit Akkordeon (Barbara Karpf), Gitarre (Pattu Jeggli), Klavier und Harmonium (Michi Reimann). Alles ist gut unterfüttert von Fab Hofmann und Weather Eye an Bass und Schlagzeug. Man trifft Sein überall dort, wo ein Klavier steht – und seis im «Hafenpuff».

Sein: Holzerhurd. Pschyrembel/Irascible