«Psychopolitik»: Mit dem Sonnengruss gegen das Kapital

Nr. 39 –

Der Philosoph Byung-Chul Han gilt als Zeitdiagnostiker der Stunde. Sein neustes Buch «Psychopolitik» bietet wohlfeiles Gruseln und seichte Lebensratschläge – aber sicher nicht die versprochene Kritik am Neoliberalismus.

Er ist der Mann für umfassende Gesellschaftskritik und philosophische Überraschungseffekte: Spätestens mit seinem Buch «Transparenzgesellschaft» (2012) ist Byung-Chul Han zum neuen Star der deutschen Philosophie aufgestiegen. Han wurde als Denker des digitalen Zeitalters gefeiert, der die NSA-Affäre vorausgesehen hatte. Doch in seinem neusten Werk vollendet der in Berlin lehrende südkoreanische Philosoph nun den Weg, der bereits in seinem Büchlein zur «Müdigkeitsgesellschaft» (2010) vorgespurt war: Er verwandelt seine Kapitalismuskritik endgültig in Burn-out-Prävention.

Im Untertitel zu «Psychopolitik» verspricht Han eine Analyse neoliberaler «Machttechniken», die die Menschen dazu bringen, sich freiwillig auszubeuten. Die Ausbeutung, von der er spricht, hat jedoch wenig mit Arbeitsverhältnissen, sondern vor allem mit Prokrastination an Bildschirmen zu tun. Laut Han findet die Unterdrückung im «neoliberalen Regime» nämlich nicht mehr am Arbeitsplatz statt: Es existiere kein Proletariat mehr, das von Fabrikeigentümern gegängelt wird, denn «in der immateriellen Produktion besitzt jeder ohnehin sein Produktionsmittel selbst». Der Kreis der Unterdrückten, von denen Han spricht, ist exklusiv: Es sind Menschen, die an Laptops kommunizieren. Wäre er auch der Frage nachgegangen, wo und wie diese Geräte produziert werden, wäre daraus vielleicht ein Buch mit einem breiteren Horizont geworden. Doch Han interessiert sich in seiner Analyse nur für seine eigene Lebenswelt – erlebt er doch diese neoliberalen «Machttechniken» am eigenen Leib: «Ich bin auch ein Opfer», antwortete der Philosoph, als er in einem Interview mit der «Zeit» auf sein Smartphone angesprochen wurde.

Elend als digitale Angelegenheit

Diese Geräte sind es, über die Hans Neoliberalismus auf unsere Seelen zugreift: Die sozialen Medien verführen uns zur täglichen Selbstdarstellung, für die wir dann ins Fitnesscenter oder zum Schönheitschirurgen rennen, um auf den Selfies besser auszusehen. Der Facebook-Account ist für Han der Inbegriff der freiwilligen Selbstauslieferung an die Macht, er ist ein Beitritt zur Kirche des Bösen: «Like ist digitales Amen. Während wir Like drücken, unterwerfen wir uns dem Herrschaftszusammenhang.» Denn hinter dem «freundlichen Big Brother», dem wir täglich freiwillig unser Leben protokollieren, lauert «Big Data». Datenhändler sammeln unsere Wünsche und erfassen uns als «digitale Klassengesellschaft».

Der Höhepunkt von Hans ehrlicher Empörung über die Welt ist da erreicht, wo er in einem seiner spärlichen konkreten Beispiele erwähnt, wie die Datenfirma Acxiom die erfassten Kundendaten kategorisiert: Während vermögende Kunden als «Shooting Stars» rangieren, werden jene mit niedrigen ökonomischen Werten als «Waste», also Abfall, bezeichnet. Gleichzeitig schert sich Han aber wenig um die Auswirkungen von Privatisierung, flexibilisierten Arbeitsverhältnissen oder dem Abbau der Sozialsysteme. Diese Hard Skills der neoliberalen Regierungsform erzeugen eine permanente Unsicherheit und prägen so die Psyche der Menschen mindestens so stark wie ein paar Klicks – doch bei Han findet sich nichts von alledem. Elend ist bei ihm vor allem eine digitale Angelegenheit.

Mit seiner Darstellung der «neuen Machttechniken» schenkt uns Han einerseits ein sanftes kulturpessimistisches Gruseln: Wir alle verdaddeln unsere Zeit am Computer und lassen uns dabei auch noch freiwillig überwachen – und schuld daran ist der Neoliberalismus. Andererseits lädt sein Buch geradezu zur Verharmlosung ein: So schlimm sind diese Machttechniken also auch wieder nicht. Wenn sich die Durchschlagskraft des Neoliberalismus tatsächlich auf die von Han beschriebene «Psychopolitik» beschränken würde, wäre Widerstand nämlich relativ einfach: Kauf dir halt kein Smartphone, und kündige deinen Facebook-Account.

So fallen auch die «Gegenmodelle», mit denen das Buch angepriesen wird, eher flach aus. Der Philosoph rät zu mehr «kontemplativem Verweilen» und empfiehlt uns, ab und zu die Augen zu schliessen. Nur als «Nicht-Vernetzter», als «Nicht-Informierter» sei es möglich, dem Druck zu entkommen und eine «Lebenskunst» zu entwickeln, die Han vage damit umreisst, dass man sich «entleert» und als «Blumenexistenz» zu einer «Öffnung zum Licht» werde.

Fokussierter und konzentrierter

So erweist sich die beissende Fundamentalkritik in «Psychopolitik» als reine Maskerade: Dahinter steckt ein weiteres halb esoterisches Traktätchen für alle, die damit hadern, dass sie zu viel Zeit vor ihren teuren Geräten verschwenden. Han drückt sich um eine politische Analyse und wird mit seiner platten Kapitalismuskritik seinerseits zum Anbieter eines Selbstoptimierungsprogramms für leistungswillige Individuen: Sein Buch ist letztlich ein Ratgeber, der dem gestressten, vernetzten Unternehmer seiner selbst zeigt, wie er fokussierter und konzentrierter arbeiten kann.

Byung-Chul Hans vermeintlich kritische Philosophie ist letztlich nichts als Motivationsplanung: Fang doch den Tag mit Yoga an, statt immer gleich deine Mails zu checken.

Byung-Chul Han: Psychopolitik. Neoliberalismus und die neuen Machttechniken. S. Fischer. Frankfurt am Main 2014. 128 Seiten. Fr. 29.90