Überwachung: Ohne Verdacht und Einschränkung

Nr. 41 –

Das neue Überwachungsgesetz Büpf sieht vor, sämtliche Kommunikationsdaten ein Jahr lang zu speichern. Dabei ist unter JuristInnen umstritten, ob die verdachtsunabhängige Generalüberwachung überhaupt rechtmässig ist.

Sechs Monate, so lange müssen die Telekommunikationsanbieter heute speichern, wer wo wann mit wem wie lange kommuniziert. Ohne Anfangsverdacht und ohne Einschränkung. Selbst die Daten sensibler Berufsgruppen werden erfasst und gespeichert: Anwälte, Journalistinnen, Ärzte – das Gesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) kennt keine Ausnahme.

In den nächsten Wochen diskutiert die Rechtskommission des Nationalrats die Totalrevision des Büpf. Der Entwurf von Justizministerin Simonetta Sommaruga sieht eine Ausweitung der Überwachung vor: Die auf Vorrat angelegten Daten sollen künftig zwölf statt sechs Monate gespeichert werden. Allerdings ist unklar, ob diese Vorratsdatenspeicherung rechtmässig ist. Die Digitale Gesellschaft, ein Zusammenschluss netzpolitischer Organisationen und AktivistInnen, hat deshalb Anfang September eine Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht: Sie verlangt, dass die «grundrechtswidrige und unverhältnismässige» Vorratsdatenspeicherung aufgehoben wird. Unter den Beschwerdeführern finden sich unter anderem der grüne Nationalrat Balthasar Glättli und der Journalist Dominique Strebel, Leiter der Schweizer Journalistenschule Maz.

Indirekte Unterstützung erhält die Digitale Gesellschaft nun von zwei Juristen. Die beiden auf Technologie- und Informationsrecht spezialisierten Anwälte Simon Schlauri und Daniel Ronzani haben im September einen Aufsatz in der juristischen Fachzeitschrift «sic!» veröffentlicht und kommen zu einem eindeutigen Schluss: «Der schweizerische Gesetzgeber täte gut daran, die Frage nach der Verfassungsmässigkeit der Vorratsdatenspeicherung noch einmal ganz grundsätzlich zu stellen.»

Ein Urteil mit Folgen

Die Schweiz kennt die anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten schon seit rund einem Jahrzehnt. Lange blieb sie ohne grösseren öffentlichen Widerspruch. Spätestens seit vergangenem Frühling ist das aber vorbei: Anfang April befand der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für unzulässig. Das oberste EU-Gericht hatte sich nach Klagen aus Irland und Österreich mit der Verfassungsmässigkeit der Richtlinie befassen müssen. Der Gerichtshof urteilte, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht mit den verfassungsmässig garantierten Grundrechten vereinbar sei. Konkret werde das Recht auf Achtung des Privatlebens sowie der Schutz personenbezogener Daten zu stark eingeschränkt.

Das Urteil ist für die Schweiz rechtlich nicht bindend. Dennoch könnte der Entscheid auf die Schweizer Debatte ausstrahlen – gerade auch, weil sich der Bundesrat in seiner Botschaft zum Büpf unter anderem auf die für ungültig erklärte EU-Richtlinie beruft. Mittlerweile sind zudem verschiedene EU-Staaten in der Frage der verdachtsunabhängigen Massenspeicherung von Kommunikationsdaten zurückgekrebst: Deutschland beispielsweise hat die Bestrebungen für ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung eingestellt, auch Österreich hob ein entsprechendes Gesetz auf.

In den letzten Tagen waren aus der EU unterschiedliche Töne zu vernehmen. Während der designierte Innenkommissar Dimitris Avramopoulos ankündigte, einen neuen Anlauf für ein EU-Gesetz zu nehmen, äusserte sich der künftig für Digitales zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger gegenteilig: Er werde gegen jene Staaten vorgehen, die entgegen dem Urteil des Gerichtshofs an der Vorratsdatenspeicherung festhalten.

Was bedeuten also die europäischen Diskussionen für die Schweizer Gesetzgebung? Die beiden Anwälte Simon Schlauri und Daniel Ronzani haben das Urteil des EuGH analysiert. Der Gerichtshof hält die Vorratsdatenspeicherung für unverhältnismässig: Der Eingriff in die Grundrechte beschränke sich nicht auf das absolut Notwendige, es fehle an präzisen Regeln. Zudem seien keine Ausnahmen für BerufsgeheimnisträgerInnen vorgesehen.

Zwar ist die Schweizer Gesetzgebung präziser und detaillierter als die naturgemäss allgemein gehaltene EU-Richtlinie. Nach Schlauri und Ronzani ist das Urteil des EuGH aber auch auf die Schweiz übertragbar: «Die Überwachung betrifft eine vergleichbar breite Palette von Kommunikationsmitteln, und sie betrifft fast die gesamte schweizerische Bevölkerung», schreiben die beiden. Denn auch das Schweizer Überwachungsgesetz nimmt keine Differenzierung vor, sondern stellt alle von vornherein unter Generalverdacht. Selbst TrägerInnen eines Berufsgeheimnisses seien nicht von der Vorratsdatenspeicherung ausgenommen, schreiben Schlauri und Ronzani weiter, die Lage hierzulande sei also «mit der im EuGH-Entscheid beurteilten Situation vergleichbar».

Der Anwalt Martin Steiger, der sich bei der Digitalen Gesellschaft engagiert, begrüsst die Einschätzung von Schlauri und Ronzani: «Die Vorratsdatenspeicherung kann gar nicht verhältnismässig sein, da alle von ihr betroffen sind.» Das Gegenargument, nach dem die Differenzierung schliesslich beim Beantragen der gesammelten Daten erfolgt, lässt er nicht gelten: «Die Überwachung beginnt beim Sammeln der Daten, nicht erst beim Auswerten.»

Erfassung erst auf Antrag?

Die laufende Revision des Büpf ist umstritten. Vor allem die Grünen bekämpfen die Vorratsdatenspeicherung grundsätzlich. Der grüne Nationalrat Daniel Vischer fordert deshalb, sie ganz abzuschaffen. «Ich werde in der Kommission die Aufhebung fordern», sagt er. Sollte sein Antrag abgelehnt werden, müsse die Speicherung wenigstens auf drei Monate, lieber noch auf einen, beschränkt werden.

Eine Alternative zur bisherigen Praxis könnte das Quick-Freeze-Modell bieten. Danach würden die Kommunikationsdaten von Verdächtigen erst auf Antrag der Strafverfolgungsbehörden erfasst. Eine Möglichkeit, die auch Schlauri und Ronzani als praktikabel erachten. In ihrem Aufsatz schreiben sie, die Schweiz käme damit «den Vorgaben der Menschenrechtskonvention jedenfalls deutlich näher».