Kommentar zu den US-Kongresswahlen: Die grosse Unzufriedenheit

Nr. 45 –

Viele US-BürgerInnen haben von beiden grossen Parteien des Landes eine schlechte Meinung. Doch bei den Kongresswahlen ist das nicht zum Ausdruck gekommen.

Trotz der neuen Mehrheitsverhältnisse im US-Senat ist nach den Parlamentswahlen in den USA vom Dienstag nicht mit grossen Änderungen zu rechnen. Zwar verfügen die RepublikanerInnen jetzt auch im Senat, wie schon zuvor im Repräsentantenhaus, über eine Mehrheit. Doch der demokratische Präsident Barack Obama kann neu beschlossene Gesetze des Parlaments jederzeit mit einem Veto blockieren.

Es war während des Wahlkampfs die Standarderzählung vieler Medien: Die US-WählerInnen würden voraussichtlich mehrheitlich RepublikanerInnen wählen, weil sie mit Barack Obama so unzufrieden seien. Man wische damit Obama indirekt eins aus. Diese Erklärung ist so einfach wie falsch. Denn während laut einer aktuellen Gallup-Umfrage tatsächlich nur 43 Prozent der Wahlberechtigten zufrieden mit Obama sind, stösst die Arbeit des Parlaments noch viel weniger auf Zustimmung – bei nur gerade 20 Prozent der Wählenden. Diese Umfrage wird auch durch Nachwahlbefragungen bestätigt: Die Mehrheit der WählerInnen ist mit allen politischen Führungsfiguren unzufrieden, egal ob es sich um DemokratInnen oder RepublikanerInnen handelt. Zwei Drittel der Befragten sehen das Land auf dem falschen Weg, und nur 22 Prozent glauben, dass es der nächsten Generation besser gehen wird.

Trotz des aktuellen Wirtschaftswachstums herrscht also ein weitverbreiteter Pessimismus. Kein Wunder: Über 45 Millionen Menschen in den USA leben laut offiziellen Zahlen in Armut, das ist jedeR siebte EinwohnerIn. Im Vergleich zur Zeit vor der Finanzkrise von 2008 sind das rund 5,5 Millionen Menschen mehr. Und das mittlere Realeinkommen ist seit 2008 um rund fünf Prozent gesunken. Trotz sinkender Arbeitslosenzahlen haben nicht mehr Menschen einen Job, sondern weniger. Noch nie seit 1978 war der Anteil der Bevölkerung, der eine Arbeit hat, so tief wie derzeit; bei den über Sechzehnjährigen sind es nur 62,7 Prozent. Viele haben die Hoffnung aufgegeben, eine passende Arbeitsstelle zu finden, und melden sich deshalb auch nicht mehr als arbeitslos. Wo Jobs entstehen, werden oft nur Minimallöhne bezahlt. Gleichzeitig sind die Profite der Unternehmen auf eine neue Rekordmarke gestiegen.

Es erstaunt also nicht, dass bei den parallel zu den Wahlen stattfindenden Referendumsabstimmungen in den vier republikanisch dominierten Bundesstaaten Alaska, South Dakota, Arkansas und Nebraska die Minimallöhne mit zum Teil überwältigenden Mehrheiten heraufgesetzt wurden. Die Referenden waren von Gewerkschaften und Hilfs- und Bürgerrechtsorganisationen angestrengt worden.

Der Unmut mit der Politik wird sich wohl kaum legen. Demokraten wie Republikaner fehlt es am Willen, die US-Wirtschaft nach sozialen und ökologischen Kriterien umzubauen. Schon zaghafte Reformvorhaben der Regierung können die RepublikanerInnen in der kommenden Legislaturperiode noch einfacher blockieren. Der Druck auf die Regierung, die Ausgaben im Sozialbereich zu kürzen, wird zunehmen.

Die republikanische Mehrheit in beiden Kammern wird auch versuchen, die Aussenpolitik mehr zu beeinflussen. So dürften neue Sanktionen gegen den Iran gefordert werden. Gegen unpopuläre kriegerische Interventionen des US-Militärs wird es dagegen eher weniger Widerstand geben. Freuen kann sich die Wall Street: Der neue Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, will die nach der Finanzkrise von 2008 eingeführten zusätzlichen Bankenregulierungen wieder rückgängig machen.

Weder DemokratInnen noch RepublikanerInnen haben eine Vision, wie es wieder aufwärtsgehen könnte. Andere Parteien haben infolge des Mehrheitswahlrechts kaum eine Chance, je ins Parlament einzuziehen und bekannter zu werden. Kommt noch dazu, dass in verschiedenen Staaten immer wieder versucht wird, ärmere Schichten von der Wahl abzuhalten. So haben diesmal mehrere Staaten neue Gesetze angewandt, die von den Wahlberechtigten einen gültigen Identitätsausweis verlangen, damit sie ihre Stimme abgeben können. Doch solche Ausweise fehlen zumeist denen, die wenig Einkommen haben. Auch sind in vielen Staaten aufgrund fragwürdiger Daten Listen von insgesamt sieben Millionen Wahlberechtigten erstellt worden, die angeblich an zwei verschiedenen Orten als WählerInnen registriert sind; ihnen wurde das Wählen je nach Staat stark erschwert. Auf den Listen finden sich überproportional viele AfroamerikanerInnen und Latinos, wie der Journalist Greg Palast herausgefunden hat.

Die Wahlen werden zudem immer stärker von anonymen SpenderInnen beeinflusst, die etwa über politische Aktionskomitees Millionen in Schlüsselwahlkämpfe in einzelne Bundesstaaten und Wahlbezirke pumpen. Der diesjährige Wahlkampf war denn auch mit Kosten von 3,67 Milliarden US-Dollar der teuerste in der Geschichte der Parlamentswahlen.

Das heisst nichts anderes, als dass die Reichen und Superreichen immer mehr Einfluss auf die Politik nehmen; sowohl auf diejenige der Republikaner wie auch auf jene der Demokraten. Kein Wunder, bezeichnen laut Gallup vierzig Prozent der Wahlberechtigten es als unerheblich, ob das Parlament von DemokratInnen oder RepublikanerInnen dominiert wird.