Kommentar von Bernhard Pötter: Das Endspiel um das Weltklima beginnt

Nr. 48 –

Die UN-Klimaverhandlungen sind derzeit ausserordentlich erfolgreich. Ein vollkommener Kurswechsel gelingt jedoch nur mit Druck von der wachsenden Klimabewegung.

Zwischen Drama und Hoffnung liegt manchmal nur eine Woche. Als am 2. November der Weltklimarat IPCC in Kopenhagen eine Zusammenfassung seines 5. Sachstandsberichts präsentierte, schrillten die Alarmglocken so laut wie schon lange nicht mehr. Bis 2050 müssen die globalen Emissionen der Treibhausgase um vierzig bis siebzig Prozent sinken, um die Klimaerwärmung unter zwei Grad zu halten. Das erfordert einen radikalen Umbau der Energieversorgung. «Wenn wir weitermachen wie bisher, entgleiten uns die Möglichkeiten, den Klimawandel zu begrenzen», warnte UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon.

Eine Woche später traten US-Präsident Barack Obama und Chinas Präsident Xi Jinping in Beijing vor die Kameras und verkündeten überraschend einen Klimadeal zwischen den beiden Kohlenstoff-Supermächten: Die USA planen, bis 2025 etwa 27 Prozent weniger CO2 auszustossen als 2005, China will seine CO2-Emissionen spätestens ab 2030 senken. Zwar sind die Zahlen wenig ambitioniert (das US-Ziel ist etwa halb so hoch wie das Versprechen der EU beim Klimaschutz), aber die Freude war gross.

So schwankt die internationale Klimapolitik derzeit zwischen Entsetzen und freudiger Erwartung. Einerseits gibt es in der realen Welt des Klimawandels nichts zu feiern: Weltweit nimmt die Verbrennung von Kohle, Gas und Öl immer schneller zu, was vor allem auf die wirtschaftliche Aufholjagd der Schwellenländer zurückgeht. Die Temperaturen klettern nach oben, ein Hitzerekord jagt den nächsten. Um das Klima zu schützen, müssten jedes Jahr zehn Milliarden Tonnen CO2 weniger produziert werden – das entspricht etwa 250 Mal der Menge, die die Schweiz ausstösst.

Andererseits herrscht bei den KlimadiplomatInnen Optimismus. Ein Jahr vor der grossen Klimakonferenz in Paris, bei der alle Staaten ein umfassendes Klimaabkommen schliessen sollen, macht ihre Karawane in Lima eine letzte Zwischenstation. Die Umrisse für ein solches Abkommen zeichnen sich bereits ab: ein verpflichtender Kern mit freiwilligen Reduktionsvorschlägen. Eine ausgeklügelte Choreografie soll den nötigen Druck aufbauen: Seit einem Jahr legt der IPCC regelmässig die Klimabilanzen des Schreckens vor, im September redete UN-Chef Ban Ki-Moon den Staatschefs bei einem ausserplanmässigen Klimatreffen in New York ins Gewissen; weltweit meldete sich die Umweltbewegung lautstark zu Wort. ÖkonomInnen legen Studien vor, nach denen sich Wachstum und Klimaschutz gut vereinbaren lassen. «Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten», heisst es immer wieder. Dann erhöhte im Oktober die EU ihr Klimaziel bis 2030 auf eine CO2-Reduktion von vierzig Prozent. Und schliesslich legten die Industrieländer auch noch 9,3 Milliarden US-Dollar für den «Grünen Klimafonds» der Uno auf den Tisch, um erneuerbare Energien und die Anpassung an den Klimawandel in den armen Staaten zu finanzieren.

Es ist absurd: Die Klimakonferenzen sind, ebenso wie das viel geschmähte Kyoto-Protokoll, sehr erfolgreich. Sie haben Ziele formuliert, Institutionen geschaffen, neue Techniken gefördert und Geld zusammengebracht. Das Kyoto-Protokoll hat sein Klimaschutzziel deutlich erfüllt. Gleichzeitig steht der Klimawandel kurz davor, ausser Kontrolle zu geraten.

Es wird ein Jahr harten Verhandelns brauchen, um diesen Widerspruch in Paris wenigstens halbwegs zu lösen. Entschieden werden diese Fragen aber in Beijing, Washington, Brüssel, Brasilia und New Delhi. Regierungen bewegen sich, wenn sie unter Druck geraten: durch eine weltweit wieder wachsende Klimabewegung, durch die öffentliche Meinung und durch eine Industrie, die die Risiken der Zukunft realistisch einschätzt. US-Präsident Obama wird eine sehr laute Umweltbewegung im Rücken brauchen, um gegen die mächtige Koalition aus RepublikanerInnen und Ölkonzernen zu bestehen. Auch die neu gebildete EU-Kommission muss erst durch Druck von den Bewegungen und über die Mitgliedstaaten dazu gebracht werden, gegenüber den Kohlebaronen nicht einzuknicken. Und in China entscheiden der Kohlesmog und der Protest in den grossen Städten darüber, wie schnell der KP beim Klimaschutz der Atem ausgeht.

Letztlich braucht es allerdings auch ökonomischen Druck. In Europa müssen sich die Firmen, die von einem funktionierenden Emissionshandel profitieren, endlich offen gegen die Bremser in der eigenen Branche stellen. In den USA muss die Wirtschaft realisieren, dass die Zukunft in grünen Technologien und nicht bei Fracking-Energie liegt. Und in China wird entscheidend sein, wie schnell das Land den Abschied von der dreckigen Kohle schafft. Die nötige technische Hilfe wird die Regierung bekommen, wenn sie Innovationen belohnt und das Urheberrecht besser schützt.

Aber selbst wenn Lima und Paris erfolgreich sind: Die Arbeit geht danach erst richtig los. Eine weltweite Energiewende wird Jahrzehnte dauern, die Anpassung an den Klimawandel wird die Menschheit ewig begleiten. Das wird eine lange und teure Angelegenheit, die Uno schätzt die Kosten auf etwa 400 Milliarden US-Dollar im Jahr. Aber das Geld wäre eigentlich da: Allein die jährlichen Subventionen für fossile Energien liegen bei 550 Milliarden US-Dollar.