Kommentar zu Polizeigewalt in den USA: Hände hoch gegen die Besatzung im eigenen Land

Nr. 50 –

Staatlich sanktionierte Gewaltübergriffe haben in den USA System – und eine lange rassistisch motivierte Geschichte. Gefordert ist eine Entmilitarisierung und Entkriminalisierung der Gesellschaft.

Der Protest gegen Polizeigewalt ist in den USA im eher politikfernen Sportstadion angelangt. Beim Abspielen der Nationalhymne liess sich kürzlich eine afroamerikanische Basketballerin auf den Boden fallen. Viereinhalb Minuten lang blockierte die mutige Studentin den Spielbeginn. Sie erinnerte an Michael Brown, einen unbewaffneten Schwarzen, der im August in Ferguson, einem Vorort von St. Louis im Süden der USA, von einem weissen Polizisten erschossen und dann viereinhalb Stunden auf der Strasse liegen gelassen wurde.

Am Wochenende darauf betraten fünf Profi-Football-Spieler der St. Louis Rams das Feld mit hoch erhobenen Armen. «Hände hoch, nicht schiessen» – diese Geste ist zum Erkennungszeichen einer neuen Bürgerrechtsbewegung geworden, der sich viele, vorab afroamerikanische AthletInnen anschliessen. Manche tragen zum Aufwärmen T-Shirts mit der Aufschrift «I can’t breathe». Denn «Ich bekomme keine Luft» waren die letzten Worte von Eric Garner, der im Juli in New York wegen des Verkaufs loser Zigaretten festgenommen und dabei von einem Polizisten zu Tode gewürgt worden war. Von Detroit bis San Diego schreiben sich nun StarathletInnen die Namen von Opfern der Polizeigewalt auf ihre Turnschuhe und Leibchen – und sie erreichen Millionen von Fans.

Das stört die Polizeigewerkschaften, die sich als stramme weisse Standesorganisationen gebärden und manche Polizeidepartemente gesellschaftspolitisch rechts überholen. Die Polizeiverbände verurteilten die Aktion der St.-Louis-Rams-Spieler prompt als «geschmacklos, widerlich und aufrührerisch». Vergeblich verlangten sie, dass der Football-Verband NFL diese «Solidarität mit einem Kriminellen» streng bestraft.

Währenddessen fordert die landesweite Polizeigewalt laufend weitere Opfer. Am 20. November wurde Akai Gurley in New York «versehentlich» von einem Polizeineuling im Treppenhaus erschossen, als dieser mit der Waffe in der Hand eine Tür öffnen wollte. Am 22. November traf es in Cleveland, Ohio, den zwölfjährigen Tamir Rice mit seiner Spielzeugpistole; hier war der schiessfreudige Polizist den Vorgesetzten als emotional auffällig und gefährlich bekannt. In beiden Fällen unterliessen es die Todesschützen, Erste Hilfe für ihre Opfer anzufordern. In New York rief der Polizist nach dem «Unfall» statt der Notrufnummer als Erstes seine Gewerkschaft an.

Mindestens hundert schwarze Personen im Jahr werden in den USA durch weisse Ordnungskräfte «rechtmässig» getötet. Genauer weiss man es nicht, denn die Regierung erstellt keine nationale Statistik. Doch gibt es private Organisationen, die versuchen, diese Informationslücke durch den Aufbau allgemein zugänglicher Datenbanken über Polizeigewalt zu schliessen. Auf seiner Website fatalencounters.org etwa schätzt der Journalist D. Brian Burghart, dass je nach Bundesstaat zwischen drei und neun Prozent aller Tötungsdelikte auf das Konto der Polizei gehen. Wie die jüngsten Ereignisse zeigen, gelangen die wenigsten dieser Fälle vor Gericht. Noch seltener kommt es zu einer Verurteilung von Polizeigewalt.

Doch nun, da Ferguson brennt und in vielen Städten der USA die Glut zumindest schwelt, soll das Strafverfolgungssystem auf einmal reformiert werden. Gefordert werden wirksame Kontrollmechanismen: eine übergeordnete Polizeijustiz statt der lokalen, mit der Polizei eng verbandelten Gerichtsbarkeit, ja sogar eine internationale Oberaufsicht. Eine diversifizierte, weniger weisse Zusammensetzung des Polizeicorps. Schluss mit dem Bundesprogramm, das überzählige Waffen und Fahrzeuge der Armee an Polizeidepartemente verscherbelt. Ein Rassismus-Sensibilisierungstraining für Polizeikräfte …

Anfang Dezember präsentierte dann auch Präsident Barack Obama sein Geheimrezept für bessere Cops: Körperkameras für 50 000 PolizistInnen im ganzen Land. Unmittelbar danach wurde bekannt, dass der Würgepolizist von New York nicht vor Gericht gestellt wird – obwohl dessen gewalttätiges Vorgehen auf Video klar dokumentiert ist.

Das beweist: Die besten Kameras, Aufsichtsgremien, Gerichte oder Psychologiekurse nützen wenig, solange das bestehende Recht den Vertretern der staatlichen Gewalt einen fast unbeschränkten Handlungsspielraum gewährt. In der Praxis sind die Ordnungshüter in den USA nämlich nicht Bürger, die sich ebenfalls vor dem Gesetz zu verantworten haben, sondern bewaffnete Streitkräfte, die das eigene Land besetzen. Und im Krieg gegen den Feind ist, wie der eben veröffentlichte Bericht über CIA-Foltermethoden belegt, bekanntlich jedes Mittel recht. Selbst wenn es den Zweck nicht erfüllt.

Die einzig sinnvolle Alternative ist eine Entmilitarisierung und Entkriminalisierung der US-Gesellschaft. Das ist ein Langzeitprojekt, jedoch kein weltfremdes Hirngespinst. Die zu zwei Dritteln afroamerikanische Bevölkerung von Ferguson jedenfalls, wo es jedes Jahr drei Haftbefehle pro Haushalt gibt und wo sich der Service public zu einem schönen Teil mit Bussengeldern aus Bagatelldelikten finanziert, hat diese zwei Ziele ganz zuoberst auf ihre Liste politischer Forderungen gesetzt.