Porträt: Aus Liebe zu Bern – und zur Welt

Nr. 3 –

Die Berner Stadtparlamentarierinnen Katharina Gallizzi und Regula Bühlmann wehren sich gegen die Privatisierung von öffentlichen Gütern. Ihre Forderung, die Stadt Bern zur «Tisa-freien Zone» zu erklären, hat gute Chancen durchzukommen.

Ein Tandem mit zwei Velos: Katharina Gallizzi und Regula Bühlmann engagieren sich gegen das Dienstleistungsabkommen Tisa.

Wie sie mit ihren Velos an der Berner Postautohaltestelle Forsthaus aufkreuzen, spürt man: Die beiden sind ein eingespieltes Duo.

Regula Bühlmann und Katharina Gallizzi wirken an diesem Nachmittag auffallend synchron: die Germanistin Bühlmann (37), die vor wenigen Tagen ihre Stelle als Zentralsekretärin (Dossier Gleichstellung) beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund angetreten hat und seit vergangenem Juni als Mitglied des Grünen Bündnisses im Berner Stadtrat sitzt, und ihre Parteikollegin, die Biologin Gallizzi (38), die im Bundesamt für Statistik in Neuenburg arbeitet und ihre parlamentarische Arbeit eben erst aufgenommen hat.

Hinter verschlossenen Türen

Nach Jahren, in denen sie sich aus den Augen verloren hatten, führte sie die Politik nun wieder zusammen. Am Erscheinungstag dieser WOZ fordern Gallizzi und Bühlmann im Berner Stadtparlament in einer Motion vom Gemeinderat, die Stadt zur «Tisa-freien Zone» zu erklären. In einem Postulat wollen sie ihn zudem beauftragen, die Möglichkeit zu überprüfen, gegen den Bundesrat eine Beschwerde zu erheben – und in einem Bericht aufzuzeigen, «welche Auswirkungen das Tisa-Abkommen für die Gemeinde Bern haben würde».

Tisa steht für Trade in Services Agreement. Führt man sich die Ziele der geheimen Verhandlungen für dieses internationale Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen vor Augen, erstaunt es, dass auf kommunaler Ebene noch keine Vorstösse dazu gemacht wurden – zumindest nicht in der Deutschschweiz. Das Ziel des Abkommens besteht nämlich darin, den Handel mit Dienstleistungen weitgehend von staatlichen Einschränkungen zu befreien und dafür zu sorgen, dass private Unternehmen Zugang zu allen Dienstleistungsmärkten aller beteiligten Länder erhalten und gleich wie öffentliche Institutionen behandelt werden. Immerhin: Seit einem Jahr formiert sich in der Schweiz unter der Federführung des VPOD erster Widerstand. Verschiedene Gruppierungen haben die Petition «Stop Tisa» lanciert.

Seit drei Jahren wird in Genf verhandelt, ohne dass den Parlamenten der betroffenen Staaten je Einblick gewährt worden wäre. Fünfzig Nationen, darunter alle EU-Staaten, nehmen teil. So auch die Schweiz, für die das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) mit einem Mandat des Bundesrats verhandelt, das laut Bühlmann und Gallizzi ein ungenügendes Mandat ist. «Der Kern einer Gesellschaft wird verhandelt, ohne dass man etwas davon mitbekommt», sagt Gallizzi. Kommt hinzu, so Bühlmann: «Tisa fördert den Diskurs, dass der Staat möglichst schmal sein soll, was massive Auswirkungen auf die Gesellschaft hat. Wenn zum Beispiel Gesundheit plötzlich verhandelbar wird und nicht mehr für alle verfügbar ist, werden insbesondere Frauen die Lücke füllen, indem sie die Care-Arbeit unentgeltlich oder zu prekären Bedingungen übernehmen.»

Der globale Kontext

Tisa kann als Radikalisierung des Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (Gats) betrachtet werden. Hatte der Widerstand bei Gats immerhin noch dazu geführt, dass das Abkommen bis heute Ausnahme- und Schutzklauseln enthält, so würde Tisa auch diese Hürden über den Haufen werfen: Staatliche, kantonale oder kommunale Verwaltungen hätten kaum mehr die Möglichkeit, privatisierte Dienstleistungen wieder in die öffentliche Hand zu nehmen.

Umso wichtiger, so Bühlmann, sei es, mögliche Konsequenzen von Tisa in die öffentliche Diskussion zu bringen: «Je mehr die Privatisierung des Service public der Bevölkerung als unausweichliche Normalität verkauft wird, desto kleiner droht die Gegenwehr zu werden.» Gallizzi erwähnt als Beispiel die Strommarktliberalisierung: «Vor Jahren noch sagte die Bevölkerung sehr deutlich Nein – jetzt steht sie wieder zur Debatte, der Bundesrat hat ja erst kürzlich eine entsprechende Vorlage in die Vernehmlassung geschickt.»

Katharina Gallizzi und Regula Bühlmann rechnen sich gute Chancen aus, ihre Anliegen im Parlament durchzubringen. «In der Stadt Bern haben wir immer noch eine rot-grüne Mehrheit», sagt Gallizzi. «Ausserdem ist der Widerstand gegen Tisa ein Kampf, der in Bern die Leute weit über die rot-grüne Mehrheit hinaus bewegen wird.» Wie Bühlmann erhofft sie sich – ähnlich wie schon bei den Gats-freien Zonen – eine Signalwirkung auf Städte wie Zürich oder Basel. Darüber hinaus verstehen sie ihren lokalen Vorstoss auch in einem globalen Kontext. «Je mehr Gemeinden sich in Europa zu Tisa-freien Zonen erklären, desto stärker wird auch die Verhandlungsposition des globalen Südens», so Gallizzi.

Beide kämpfen sie aber auch für die Gemeinde, in die sie vor Jahren gezogen sind, um zu studieren – Bühlmann aus dem oberaargauischen Huttwil, Gallizzi aus Zürich. Beide lieben sie Bern, die kulturelle Vielfalt der Stadt, die Aare und die Nähe zur Natur.

Tisa: Angriff auf das Gesundheitswesen

Nachtrag vom 12. Februar 2015

Seit drei Jahren verhandeln in Genf 55 Staaten, darunter die Schweiz, über ein internationales Freihandelsabkommen für Dienstleistungen. Die Ziele des Abkommens – bekannt unter dem Kürzel Tisa (Trade in Services Agreement) – sind geheim. Doch gelangen periodisch immer wieder Unterlagen an die Öffentlichkeit, die zeigen, wie sehr damit die demokratische Kontrolle über den Service public zugunsten privater Unternehmen ausgehebelt werden soll.

Neuste Enthüllungen der Associated Whistleblowing Press dokumentieren, dass weitreichende Reformen der staatlichen Gesundheitssysteme diskutiert werden. In einem (angeblich von der Türkei eingebrachten) Konzeptpapier ist davon die Rede, dass das Potenzial für die Globalisierung von Gesundheitsdienstleistungen bei weitem nicht ausgeschöpft sei – was in erster Linie daran liege, dass «die Gesundheitsversorgung von staatlichen Institutionen oder Wohlfahrtsorganisationen finanziert und übernommen wird und für ausländische Wettbewerber aufgrund des Mangels an marktorientierten Betätigungsfeldern praktisch nicht von Interesse» sei.

Public Services International (PSI), die Internationale der öffentlichen Dienste, zu der auch die Schweizer Gewerkschaft VPOD gehört, nimmt in einer Medienmitteilung zu den neusten Enthüllungen Stellung. Nach Ansicht von PSI würde das Vorhaben «die Gesundheitskosten in den Entwicklungsländern in die Höhe treiben und zu einem Qualitätsverlust in den entwickelten Ländern führen». Während wohlhabende VerbraucherInnen und private Gesundheitsdienstleister davon profitieren würden, würden finanzielle Mittel aus den staatlichen Gesundheitssystemen abgezogen werden. Das wäre umso verheerender, als das Abkommen auch vorsieht, dass gescheiterte Privatisierungen nicht wieder in die öffentliche Hand überführt werden können.

Der Widerstand in der Schweiz, der vor einem Jahr vom VPOD mit der Petition «Stop Tisa» lanciert wurde, ist nun auch in den kommunalen Parlamenten angekommen: Nach Bern haben VertreterInnen der Grünen auch in Zürich Vorstösse für eine «Tisa-freie» Stadt eingereicht.

Adrian Riklin