Medientagebuch zum Papstbesuch auf den Philippinen: Er lebt aber noch

Nr. 4 –

Annette Hug sah den Papstbesuch auf den Philippinen

Am Anfang schien es, als könne man übers Netz direkt dabei sein: Der Papstbesuch auf den Philippinen wurde fast pausenlos übertragen, lokale TV-Sender, Tageszeitungen und Newsportale boten Livestreams. Kleine und grosse Events wurden – in Extrafilmchen verwandelt – in allen sozialen Netzen gepostet. Private Bilder folgten mit Verspätung: Aus Sicherheitsgründen waren im Grossraum Manila nämlich die Mobilfunknetze abgeschaltet, damit niemand per Telefon eine Bombe zünden konnte. Die Tabloids und Smartphones, die dem Papst zu Tausenden entgegengestreckt wurden, durften Fotos zwar aufnehmen, aber (zunächst) nicht posten.

Wackelbilder und Reportagen von privater Hand machten dann deutlich, wie designt die Wirklichkeit der offiziellen Kanäle war. Da sagt eine Mutter: «Nach einigen Stunden Warten hat mein Kind gefragt, was das eigentlich sei, der Papst. Ich habe es ihm erklärt: Er ist eine Art Heiliger, er lebt aber noch.» Ein rührender Moment. Als die Episode jedoch herausgeschnitten und immer wieder eingespielt wurde, wirkte sie plötzlich gestellt. Fast wie ein Werbespot.

Auf einer privaten Facebook-Seite waren einfache, gute Fotos von Leuten zu sehen, die mit dem Souvenirverkauf Geld verdienten. In kurzen Statements sagten sie, was sie sich finanziell und spirituell erhofften. Solchen Realismus und dazu Berichte über Protestmärsche, die jedoch nicht in die Reichweite der offiziellen Kameras kamen, gab es auch auf der Social-Media-Plattform rappler.com – wenn man die Seiten weit genug hinunterscrollte. Und wenn man die Frage nicht scheute: «Was fühlen Sie bei dieser Geschichte?»; denn das Stimmungsbarometer sollte ständig aktualisiert werden.

In Manila selber hatten viele Leute den Eindruck, vor lauter Liveübertragung wenig vom Papstbesuch zu erfahren. Besonderen Ärger weckte der staatliche Sender, weil den Kommentatoren persönliche Glaubensbekenntnisse wichtiger erschienen als Hintergrundinformation: «Die Verfassung fordert einen säkularen staatlichen Sender!», schrieb eine Freundin. Schnell wurde nun auf Facebook die nicht existierende, kritische Berichterstattung skizziert, vielstimmig, wie sie eben hätte sein können. Aus Übersee trug jemand Berichte über die Entwicklung der neusten PR-Strategie des Vatikans bei (salon.com). Der Hashtag Charliehebdo verknüpfte sich mit dem philippinischen Kosenamen «Lolo Kiko» (übersetzt: Opa Franzl). Ein Bekannter wagte es, eine Karikatur zu posten, auf der ein traditioneller Politiker zu sehen war – ein «Trapo», sagen die Filipinos –, wie er vor dem Papst niederkniet und ihm die Hand küsst. Der Papst blickt verdutzt auf seine Hand. «Kann ich bitte den Ring wiederhaben», sagt er. Schon zeigt sich das Schmuckstück zwischen den Lippen des grinsenden Trapo.

Es hagelte Kritik wegen dieser Karikatur. FreundInnen fühlten sich in ihren nationalen Gefühlen verletzt. Satire dürfe nicht alles! Gerade jetzt wolle man sich für einmal nicht schämen.

In den internationalen Medien machten vor allem die Überraschungen Schlagzeilen. Der Besuch in einem Heim für Strassenkinder: Weil nicht angekündigt, fiel er in eine Livestream-Pause. Der Tropensturm in Tacloban: Wie dort ein Gerüst eine Helferin erschlug. Und wie der Papst den Vater dieser Helferin traf. Als sechs Millionen Menschen die Messe in Manila hörten und 5000 Priester Hostien verteilten, war deutlich zu sehen, wie Lolo Kiko vor Erschöpfung einschlief. Ganz unkommentiert.

Annette Hug lebte drei Jahre auf den Philippinen und ist freie Autorin in Zürich.