Fussball und andere Randsportarten: Sékou Junior Sanogo und der Kuchen

Nr. 5 –

Pedro Lenz über die Ankunft eines Fussballprofis in der Schweiz

Der Afrikaner Sékou Junior Sanogo kam 2011 erstmals in die Schweiz. Er war damals erst 21, hatte ein paar Saisons als Profi in seiner Heimatstadt Abidjan in Côte d’Ivoire Fussball gespielt und wollte sein Glück auf dem europäischen Kontinent versuchen. Seine Eltern fanden den Plan nicht so gut, weil sie der Ansicht waren, Fussball sei kein rechter Beruf.

Aber Sékou Junior Sanogo wollte seinem Traum folgen. Die ersten Tage verbrachte er in einem Hotel. Er erinnert sich noch genau an das Abendessen am Tag seiner Ankunft. «Sie brachten Reis. Reis ist gut, dachte ich, Reis mag ich. Aber auf dem Reis war eine weisse Sauce. Wonach riecht die?, fragte ich mich und nahm eine Gabel voll. Nur mit Mühe konnte ich den Bissen runterschlucken. Die Sauce bestand aus Käse! Ich hatte noch nie Käse gegessen, der nicht hart war. Käse hatte ich nur mit Brot gekannt. Wenn die hier mit Käse kochen, kann ich die warmen Mahlzeiten nicht essen, dachte ich. Also habe ich drei Tage lang nur Kuchen gegessen. Am vierten Tag kam mein Berater und fragte, warum ich nur immer Kuchen esse. ‹Sie kochten hier den Reis im flüssigen Käse!›, sagte ich. Da erklärte mir der Berater, dass es auch andere Menüs gibt, italienische zum Beispiel oder asiatische. Da habe ich aufgehört, nur Kuchen zu essen.»

Sékou Junior Sanogo erzählt die Geschichte auf Französisch und lacht dazu, aber es ist ein trauriges Lachen, ein Lachen, das erklären möchte, dass er die Anfangsschwierigkeiten hinter sich gelassen hat.

Heute spielt Sanogo bei den Berner Young Boys eine wichtige Rolle im defensiven Mittelfeld. Er hat in der Mannschaft Kollegen aus der Romandie und aus Frankreich, die sich in seiner Sprache mit ihm unterhalten. Sanogo hat viele Leute um sich, die ihm bei der Integration behilflich sind. Und er sagt, es gefalle ihm sehr gut in Bern. Aber die Geschichte mit dem Kuchen, die vergisst Sanogo nicht.

Er erinnert sich auch noch an die Geschichte mit der Kleidung. «Bevor ich in die Schweiz fliegen konnte, war ich ein paar Tage in Italien. Schön, dachte ich, Europa ist warm. Aber auf der andern Seite der Alpen war es nicht mehr warm. Ich wusste ja nicht, dass die Alpen hier den Süden vom Norden trennen. Ich wusste nur, dass ich zu leicht angezogen war. Mein Berater hat mir dann noch am Flughafen eine warme Jacke kaufen müssen.»

Auch an sein erstes Spiel in der Schweiz erinnert er sich: «Wir spielten mit Thun gegen Basel. Ich wollte zeigen, wie gut ich bin, und ging mit vollem Elan ins Spiel. Nach wenigen Minuten hatte ich einen Zweikampf mit einem Gegenspieler. Ich traf ihn mit der Hand an der Brust, nichts Schlimmes. Aber er ging zu Boden und hielt sich das Gesicht. ‹Was hast du mit dem Gesicht? Ich habe dich doch an der Brust getroffen›, wollte ich ihn noch fragen, aber da zeigte mir der Schiedsrichter schon die rote Karte. Es ist hart, wenn du dich präsentieren willst und nach wenigen Minuten schon vom Platz fliegst. Aber noch viel schlimmer ist es, wenn du merkst, dass du reingelegt worden bist.»

Sékou Junior Sanogo weiss noch eine Menge solcher und ähnlicher Episoden zu erzählen. Die Episoden lassen einen erahnen, wie mannigfaltig die Anfangsprobleme der Migration selbst für Fussballstars sein können.

Vielleicht müsste man Fussballprofis aus fernen Ländern vermehrt dazu ermutigen, ihre Geschichten zu erzählen, ging es mir durch den Kopf, als ich Sanogo zuhörte. Sie könnten zum besseren Verständnis unter den Kulturen beitragen.

Beim nächsten Spiel werde ich jedenfalls einen anderen Sanogo spielen sehen als vor der Winterpause. Er wird nicht mehr einfach nur der zweikampfstarke Spieler im defensiven Mittelfeld sein, sondern beispielsweise auch der junge Mann, der einst tagelang Kuchen ass, weil er den Geschmack von Käsesaucen nicht ertragen konnte.

Pedro Lenz ist Schriftsteller und lebt in Olten. Er isst den Reis ebenfalls am liebsten ohne Käsesauce.