Porträt von Lisetta Rodoni: «Resistere, resistere, resistere!»

Nr. 5 –

Lisetta Rodoni verkauft an der Hohlstrasse in Zürich italienische Literatur. Die Antifaschistin erzählt aus ihrem Leben und wieso in ihrer Libreria Italiana italienische AkademikerInnen arbeiten wollen.

Lisetta Rodoni: «Ein Kunde hat mir erzählt, er habe Angst vor Kreditkartenbetrug, er gehe lieber auf Nummer sicher und bestelle bei mir.»

Ein schwarzes Schild, ein kleines Schaufenster, zwei beladene Bücherständer, eine Theke, zwei braune Stühle und ein Tisch voll mit Büchern. Mittendrin steht Signora Rodoni. Den grünen Schal perfekt über die linke Schulter gelegt, begrüsst sie Kundinnen, Freunde und Neugierige. Aus einem weissen Taschenradio tönt Rete Uno, sie spielen gerade Paul Youngs «Love of the Common People».

Die Libreria Italiana im Kreis 4 ist seit 1961 ein Zufluchtsort für in Zürich lebende ItalienerInnen. Sie kamen und kommen immer noch in die Schweiz – hauptsächlich wegen der Arbeit. «Zwanzig Jahre Berlusconismo gingen nicht spurlos an Italien vorbei», sagt Signora Rodoni. Zürich – «questa città internationale» – gefalle ihr und vielen anderen ItalienerInnen. Das heutige Italien beschreibt sie als «un paese strano», ein merkwürdiges Land.

Wie ein Leben erzählen?

Lisetta Rodoni kam in den fünfziger Jahren nach Zürich und hat sich den Colonie Libere Italiane angeschlossen. Diese Migrationsorganisation wurde von geflüchteten italienischen AntifaschistInnen um 1925 in der Schweiz gegründet und machte sich in den siebziger Jahren für sozialpolitische Themen stark. In Italien war Rodoni Mitglied der TextilarbeiterInnengewerkschaft gewesen, und wer einmal auf der Strasse bei einem Gewerkschaftsanlass gesehen wurde, hatte keine Chance mehr auf Arbeit. Ein Freund aus ihrem Heimatort Vicenza hatte ihr einen Job in der Trikotwarenfabrik Meyer-Waespi organisiert. In Zürich traf sie dann auf den Tessiner Sandro Rodoni, ihren zukünftigen Ehemann. Zusammen eröffneten sie den Buchladen damals an der Militärstrasse 84, als Dienstleistung für die italienische ArbeiterInnengemeinde und um für die Alphabetisierung zu kämpfen.

Was sie erst später erfuhr: Die Schweizer Behörden wussten alles. «Es sind dreizehn Kilo Fichen, die sie über Sandro, mich und meine zwei Söhne angelegt haben», sagt Signora Rodoni. Jahrelang wurden ihre Familie und ihr Laden beobachtet. Doch über die Vergangenheit spricht sie nicht gerne: «Wissen Sie, es ist schwer, ein ganzes Leben in Worte zu fassen.»

Also sprechen wir über etwas anderes, im Radio läuft Lucio Battistis «Ancora tu». Signora Rodoni, was würden Sie zum Lesen empfehlen? Zielsicher greift sie in das Gestell neben ihr und stellt Carlo Levi vor. Ein antifaschistischer Autor, dessen Buch «Cristo si è fermato a Eboli» in den italienischen Mittelschulen zum Pflichtstoff gehört. Signora Rodoni kennt ihren Laden in- und auswendig. Umberto Ecos «Numero zero» liegt hinter der Theke, «La figlia del papa» von Dario Fo auf dem kleinen Tisch. Aus dem linken Regal holt sie das Buch «Come fossi solo» des italienischen Autors Marco Magini hervor. «Er lebt heute in Zürich und war auch schon bei mir im Laden. Dieser junge Mann», sie zeigt auf das Bild auf der letzten Seite des Buches, «erzählt von den Dramen des Kriegs in Srebrenica 1995. Er beschreibt, wie sie reihenweise Menschen in den Kopf geschossen haben, das ist unglaublich.»

Das Credo ist noch das alte

Der Kampf gegen den Antifaschismus in den Colonie Libere Italiane ist für Rodoni vorüber: «Wir glaubten an eine gerechtere und bessere Welt, und das ist nicht eingetroffen.» Sie denke nicht, dass sich die jungen ItalienerInnen in Zürich heute noch für die Forderungen von damals interessieren. Dann steht sie auf und verschwindet nach hinten ins Büro. Aus dem Radio klingt Antonello Vendittis «Dalla pelle al cuore».

Signora Rodoni holt einen Stapel Briefe hervor. «Schauen Sie, mir schreiben junge Leute aus Italien mit Masterabschluss Bewerbungen, die wollen arbeiten, hier bei mir in diesem kleinen Laden!» Sie schaut die Briefe durch, die sie alle auch beantwortet hat, und schüttelt den Kopf: Das Land, es sei nicht mehr ihres. Die Jungen sind aber nicht nur auf der Suche nach Arbeit, sondern lesen nach wie vor gerne Bücher. Wie kann die Libreria Italiana noch überleben, wenn doch alle alles im Internet bestellen? «Ein Kunde hat mir gestern erzählt, er habe Angst vor Kreditkartenbetrug, er gehe lieber auf Nummer sicher und bestelle bei mir», sagt Rodoni ein wenig stolz. Es gebe viele Gauner da draussen.

Signora Rodoni organisiert heute noch mit der Casa d’Italia den 25. April, den Tag der Befreiung Italiens vom Faschismus. Auch dieses Jahr soll gefeiert werden, darum nimmt sie an den Planungsveranstaltungen teil und hilft mit. Im Radio läuft jetzt «Start Me Up» von den Stones, und wenn man Signora Rodoni nach ihrem Lebensmotto fragt, zögert sie nicht lange und meint: «Resistere, resistere, resistere!» Widerstand leisten! Ein Spruch von Francesco Saverio Borrelli, dem Mailänder Oberstaatsanwalt, der die Untersuchungen «Mani pulite» gegen die Korruption in den neunziger Jahren eingeleitet hat. Und jetzt müsse sie gehen, im Büro wartet eine grosse Bestellung.

Die Buchhandlung Libreria Italiana an 
der Hohlstrasse 30 in Zürich hat von Montag 
bis Freitag von 14 bis 18.30 Uhr geöffnet, 
am Samstag von 10 bis 16 Uhr.