Kommentar zur Schweizer Klimapolitik: Es gibt nicht genug Ausland

Nr. 10 –

Die Schweiz erklärt, wie sie den Ausstoss von Treibhausgasen reduzieren will. Damit setzt sie in der Klimadiplomatie neue Massstäbe – in Zynismus.

Ende des Jahres soll einer Uno-Konferenz in Paris gelingen, was 2009 in Kopenhagen scheiterte: ein Abkommen zum Klimawandel. Bis Ende März müssen die Staaten darlegen, wozu sie sich im Rahmen eines solchen Abkommens verpflichten wollen. Das hat Bundesrätin Doris Leuthard für die Schweiz nun getan. Damit legt die Schweiz ihre Karten als erstes Land auf den Tisch. Man wolle dadurch «andere Länder beeinflussen und einen Standard setzen», sagt das Bundesamt für Umwelt (Bafu) gegenüber der WOZ. Tatsächlich setzt die schweizerische Eingabe neue Massstäbe – und zwar in Sachen Zynismus.

Gleichsam beiläufig untergräbt die Schweiz nämlich einen zentralen Pfeiler der Klimaverhandlungen: Die Staaten sollen «entsprechend ihren gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, ihren jeweiligen Fähigkeiten sowie ihrer sozialen und wirtschaftlichen Lage» handeln. So steht es im Klimarahmenabkommen von 1992, und sosehr man über die Auslegung des Satzes streitet, so war bislang doch klar: Wer reich ist und in der Vergangenheit viele Treibhausgase ausgestossen hat, soll sich stärker anstrengen.

Die Schweiz schreibt nun aber frech, sie trage nur «geringe Verantwortung», stosse sie doch nur 0,1 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen aus. Was sie nicht schreibt: Weil SchweizerInnen auch 0,1 Prozent der Weltbevölkerung stellen, ist ihr Pro-Kopf-Ausstoss eben nicht gering, sondern durchschnittlich –  zurzeit. In der Vergangenheit war er klar überdurchschnittlich, und die Schweiz ist reich. Sie müsste sich mithin überdurchschnittlich anstrengen.

Der Bundesrat will die Emissionen in der Schweiz bis 2030 aber lediglich um dreissig Prozent senken. Dazu addiert er zwanzig Prozent, deren Gegenwert die Schweiz im Ausland einkaufen soll. Dieses Ziel liegt zwar im Rahmen der vierzig bis siebzig Prozent Reduktion, die der Uno-Klimarat bis 2030 für nötig hält, um die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. Die spezielle Verantwortung und Fähigkeit der Schweiz sind da allerdings keineswegs berücksichtigt.

Dass eine zielführende Klimapolitik der Schweiz als reichem Land leichter fallen sollte als anderen, bestreitet die Eingabe rundweg: Die «Verfügbarkeit kurzfristiger kosteneffizienter Einsparpotenziale», heisst es lakonisch, sei «begrenzt». Als ginge es um Kurzfristigkeit!

Und weil Emissionsreduktionen, in der Logik des Bundesrats, in der Schweiz eben schwieriger seien als anderswo, «übersetzt sich die gleiche Anstrengung in weniger Emissionsreduktion als in anderen Ländern», sagt das Bafu gegenüber der WOZ. Man kann sich ausmalen, dass jedes Land eine Ausrede dieser Art in petto hat.

Weil die Schweiz ihre Emissionen laut dem geltenden CO2-Gesetz bis 2020 bereits um zwanzig Prozent senken muss, würde das jetzt deklarierte Ziel für die nächste Dekade noch ein Minus von einem Prozentpunkt pro Jahr bedeuten – deutlich weniger, als das CO2-Gesetz für heute verlangt. Dass die Schweiz ihre «Reduktionsziele kontinuierlich verschärft», wie es in der Eingabe heisst, stimmt also nicht.

Es sei denn, man erkennte in den zwanzig Prozent, die man im Ausland einkaufen will, gleichwertige Reduktionen. Die Idee, Reduktionen zuzukaufen, statt selber zu reduzieren, wurde 2007 im Seco gegen den damaligen Umweltminister Moritz Leuenberger ausgeheckt (siehe WOZ Nr. 41/2007 ). Oberste Seco-Chefin war seinerzeit Doris Leuthard.

Damit will die Schweiz einen Weg einschlagen, der nicht allen offenstehen kann. Denn gerade die Schweiz pocht auch darauf, dass sich künftig sämtliche Staaten zu Reduktionen verpflichten. Wenn aber alle reduzieren müssen und alle dies im Ausland tun möchten – wer könnte dann noch Ausland sein!

Ein künftiges Abkommen muss nicht nur regeln, wer was tut, um die Emissionen zu senken. Es sollte auch die Lasten einigermassen gerecht verteilen, werden doch gerade die ärmsten Länder, die am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, besonders stark darunter leiden. Zu diesem ganzen Bereich schweigt sich die reiche Schweiz aus. Sie setzt damit ein weiteres Zeichen: eines der Solidaritätsverweigerung – und wird doch nicht darum herumkommen, sich spätestens in Paris mit dieser Frage zu befassen.