Medientagebuch: Sex, Gift und Galle

Nr. 11 –

Robert Müller über eine Geschichte, die aus dem Ruder lief

Rund 390 Print- und Onlineartikel sind gemäss Schweizer Mediendatenbank bis letzten Dienstag über den sogenannten Sexskandal von Zug erschienen, dazu viele Tausend Onlinekommentare. Und das zu einer Geschichte, über die es kaum gesicherte Fakten gibt. Klar ist einzig, dass sich die grüne Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin und der SVP-Kantonsrat Markus Hürlimann an der Landammannfeier vom 20. Dezember in Zug physisch näherkamen, dass dabei keine K.-o.-Tropfen nachgewiesen werden konnten und dass die Behörden eine Strafuntersuchung wegen möglicher Delikte gegen Spiess-Hegglins sexuelle Integrität führen.

Seit knapp drei Monaten werden Spiess-Hegglin und Hürlimann öffentlich demontiert; je dürftiger die Faktenlage, desto mehr spekulieren die JournalistInnen. Der Mix aus Party, Alkohol und Sex befeuert Fantasien, vor allem Männerfantasien, sowie vorgefertigte Weltbilder. Das jüngste Beispiel stammt von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli, der laut «Blick» auf Tele Züri erklärte, Jolanda Spiess-Hegglin sei «ein ausgekochtes Luder».

Die Geschichte beginnt am 23. Dezember, als das regionale Onlinemagazin «Zentralplus» ohne Namensnennung über den Vorfall berichtet. Schon am nächsten Tag outet der «Blick» die beiden Beteiligten mit vollem Namen. Die Lawine ist nicht mehr zu stoppen.

Gerüchte und anonyme Quellen reichen für viele Artikel und vorschnelle Kommentare. An vorderster Front steht dabei die «Neue Zuger Zeitung». Am 28. Dezember schreibt sie, zwischen Spiess-Hegglin und Hürlimann habe es schon vor der Landammannfeier ein «Techtelmechtel» gegeben. Die Beteiligten werden dazu nicht befragt, aber «20 Minuten» und «Blick» verbreiten die Story ungeprüft weiter. Nur, dieser Teil der Geschichte ist frei erfunden. Korrekturen folgen, aber dezenter.

Im Netz wird Gift und Galle gespuckt: gegen Markus Hürlimann, vor allem aber gegen Jolanda Spiess-Hegglin. An vorderster Front auch hier der Reporter der «Neuen Zuger Zeitung», fernab von journalistischen Kriterien. Am 29. Dezember retweetet er diesen Text auf Twitter: «Grünen-Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin wehrt sich: Bin weder grün noch geil, noch hielt ich meine Möse feil.»

Am 13. Januar äussert der Zürcher «Tages-Anzeiger» Zweifel, ob diese Zuger Geschichte öffentlichkeitsrelevant sei. Das muntere Spekulieren und Mutmassen geht aber weiter. Weil sich Jolanda Spiess-Hegglin die Diffamierungen nicht gefallen lässt und sich wehrt, kritisiert die «Weltwoche» ihre «Opferrolle» und kehrt die Sache um. Sie ortet eine linke Verschwörung gegen Markus Hürlimann. Das sei die «wahrscheinliche Hypothese».

Auch von links scheut man das Spekulieren nicht. Grüne und linke Prominenz vor allem aus Bern und Zürich will mit einem öffentlichen Aufruf die «frauenfeindliche Berichterstattung stoppen». Bei der WOZ, die den Aufruf nicht druckt, weil der Grundvorwurf einer Vergewaltigung nicht erhärtet ist, landen erste Abokündigungsdrohungen.

Sowohl Markus Hürlimann wie Jolanda Spiess-Hegglin haben glaubhaft versichert, dass sie die Geschichte nicht in die Öffentlichkeit tragen wollten. Klar ist: Sie konnten es nicht verhindern, die Folgen sind für beide ruinös. Ohne die Veröffentlichung wäre die Geschichte das, was sie bis heute sein sollte: eine private Angelegenheit und eine polizeiliche Ermittlung, bei der sich verschiedene Versionen gegenüberstehen.

Robert Müller schreibt für die WOZ aus der Innerschweiz.