Der neue NZZ-Chefredaktor: Leider nur ein matter Leuchtturm

Nr. 12 –

Dass der NZZ-Redaktion nun nicht Markus Somm von der «BaZ», sondern der bisherige Auslandchef Eric Gujer vorstehen wird, haben viele Medien mit Erleichterung kommentiert. Doch wie sieht der neue Mann an der Spitze die Welt?

Die NZZ nennt ihn «einen der bedeutendsten Journalisten der Schweiz». Aber was bedeutet er? Der neue NZZ-Chefredaktor Eric Gujer. Foto: Christoph Ruckstuhl, NZZ

Laut NZZ-Medienmitteilung zählt der neue Chefredaktor Eric Gujer zu den bedeutendsten Journalisten und Intellektuellen der Schweiz. CEO Veit Dengler bezeichnet ihn als intellektuellen Leuchtturm, dessen Strahlkraft weit über die Landesgrenzen der Schweiz hinausreicht. Das Übermass an Lob berührt peinlich. Es zeigt, dass die Unternehmensspitze heute mit Leuten besetzt ist, denen ein Gefühl für Verhältnismässigkeit fehlt – und auch ein Gefühl für die NZZ und ihre Unternehmenskultur.

Eric Gujer ist seit fast dreissig Jahren für das Blatt tätig. Wenn er nun öffentlich erklärt, die NZZ könne ihr Profil noch schärfen und bei manchen Fragen deutlicher Stellung nehmen, so ist anzunehmen, dass er seine eigenen Kommentare und Leitartikel als wegweisend erachtet. Diese sind flüssig geschrieben und pointiert, aber nicht immer frei von Widersprüchlichem und schludrig Gedachtem.

«Auch Populisten können recht haben», liest man am 20. Dezember 2014 unter dem Titel «Der Nutzen der Wutbürger». Populismus bedeute zunächst nichts anderes als Ansichten, die von der etablierten Mitte nicht geteilt würden. Im nächsten Satz fügt Gujer an, Populismus niste nicht nur an den rechten und linken Rändern, es gebe ihn auch in der Mitte. – In der etablierten Mitte, die ihre eigenen Ansichten nicht teilt?

Zweierlei Deutungsmuster

Schon lange vor seiner Kandidatur für den Chefposten hat Eric Gujer ein gewisses distanziertes Verständnis für PopulistInnen geäussert. 2011 fand er, man greife zu kurz, wenn man dem in den nordischen Ländern erstarkten Rechtspopulismus eine Mitschuld an der Bluttat des Rechtsextremisten Anders Behring Breivik gebe: «Rechtspopulistische Parteien heizen die Angst vor Überfremdung an, aber sie überschreiten nicht den äussersten Rand dessen, was von der Mehrheit als gerade noch tolerierbar betrachtet wird.» Populismus und Extremismus trenne ein Graben, erklärt er weiter. Nur weil das Hirn so eingerichtet sei, dass es auch das Unbegreifliche begreifbar machen wolle, der Verstand nach Deutungsmustern suche, glaubten manche, der Massenmord stehe in Verbindung mit dem Erstarken des Rechtspopulismus. Doch sei ein solcher Erklärungsversuch nicht mehr weit entfernt von modernem Geisterglauben.

Geht es hingegen um islamistischen Terror, misstraut Gujer dem Verstand und seinen Deutungsmustern keineswegs: «Natürlich hat der Islam etwas mit den Terroranschlägen zu tun», schreibt er am 17. Januar 2015, um dann einschränkend fortzufahren: «Er liefert, wenngleich in einer pervertierten Interpretation, eine ideologische Rechtfertigung für die Taten.»

Für Waffenhilfe

Am 9. Februar 2015 berichtet Eric Gujer von der Münchner Sicherheitskonferenz. Nun kippt auch seine Sprache ins Tendenziöse. Laut seinem Kommentar «behauptet» die deutsche Kanzlerin, dass Diplomatie und die Anwendung von Waffengewalt sich gegenseitig ausschliessen. Merkel und ihre Verteidigungsministerin von der Leyen würden jede militärische Lösung mit einem «Denkverbot» belegen, während an der Münchner Sicherheitskonferenz immerhin auch deutsche Experten «vorurteilsfrei Pro und Contra» von Waffenlieferungen an die Ukraine abwägen würden.

«Niemand gibt sich der Illusion hin, die Ukraine könnte mit westlicher Waffenhilfe Russland besiegen», hält er fest, und man ist erleichtert, das zu lesen. Dazu seien die Kräfteverhältnisse viel zu ungleich, so die Einsicht. Eine militärische Unterstützung Kiews könne nur das Ziel haben, eine glaubwürdige Drohkulisse aufzubauen, um so Moskau zu ernsthaften Verhandlungen zu bewegen. Wie zu reagieren wäre, falls Putin nicht an die Glaubwürdigkeit einer solchen Drohkulisse glauben sollte, erläutert er nicht.

Am 17. Februar 2015 äussert sich Gujer unter dem Titel «Die Spirale der Angst» erneut zum Terrorismus, der unsere Gesellschaft verändere, «weil er Verunsicherung und Angst weckt». Diese Gefahr sei grösser als die Wahrscheinlichkeit, dass demokratische Gemeinwesen ihre Freiheit dauerhaft beschneiden würden, um den Terror zu bekämpfen. Gujer glaubt, dass die «checks and balances» in den USA trotz der existenziellen Herausforderung durch den Terrorismus schnell gewirkt hätten: «Die Folterpraktiken in den Verhörzentren der CIA fanden sehr schnell ein Ende. Seither vergeht kein Jahr, in dem der Kongress nicht den einen oder anderen Aspekt des von Präsident Bush deklarierten ‹war on terror› aufarbeitet.» – Guantánamo glücklicherweise also nur eine Fussnote?

Gujer will kein Bindestrich-Liberaler sein, wie er dem «Tages-Anzeiger» sagte, umreisst die Haltung der NZZ aber fast im gleichen Atemzug als ordo- oder neoliberal. LeserInnen werden also auch künftig mit Ungenauigkeiten und Unschärfen rechnen müssen. Und mit einer weiteren Annäherung an den Chefwutbürger. Der Leuchtturm bringt wenig Licht ins Dunkel.

Hanspeter Spörri war von 2001 bis 2006 Chefredaktor beim Berner «Bund».