Hans Erni (1909–2015): Engagierter Grafiker für den sozialen Fortschritt

Nr. 13 –

Er hat ein Jahrhundert erlebt und gelebt. Mit seinen Plakaten gehörte Hans Erni für ein paar Jahrzehnte zur linken Geschichte der Schweiz.

  • Die kleine rote Schweiz und der pensionierte Leser: Hans Ernis Plakate für die Gesellschaft Schweiz–Sowjetunion (1944) und für die erfolgreiche AHV-Abstimmung (1947). Fotos: Museum für Gestaltung Zürich, Plakatsammlung

Das hatte durchaus subversive Kraft: Ausgerechnet bei der Landi 1939, die doch die geistige Landesverteidigung beschwor, konfrontierte Hans Erni auf seinem riesenhaften, 91 Meter langen und 5 Meter hohen Wandgemälde «Die Schweiz, das Ferienland der Völker» heimelige Klischees mit Fabriken und schnittigen Eisenbahnen. Und das mit ansatzweise kubistischen Formen, wie er sie in Paris durch Pablo Picasso und Georges Braque kennengelernt hatte.

Ein Jahr zuvor, 1938, hatte der 29-Jährige den Auftrag erhalten, neue Schweizer Banknoten zu gestalten. Seine Entwürfe stellten einen Turbinensaal und ein Chemielabor ins Zentrum, in einer neuen Sachlichkeit, die sich ganz selbstverständlich mit sozialem Fortschritt und linkem politischem Engagement verband, unterstützt vom marxistischen Kulturtheoretiker Konrad Farner.

Kräftig und filigran

Im Jahr 1944 gestaltete Erni ein grafisch bestechendes Plakat für die neu gegründete Gesellschaft Schweiz–Sowjetunion (vgl. Abbildung oben). Zweifach wird mit Grössenverhältnissen gespielt: die riesige rote Sowjetunion und die winzige rote Schweiz. Das kräftige Tau, um das sich eine filigranere Schnur schlingt. Zweimal geht es um Verknüpfungen, wobei ungleichzeitige Formen verwendet werden: das handfeste Seil und andeutungsweise die neuen Radiowellen. Das Plakat wurde nach ein paar Tagen verboten; erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs beugte sich der Bundesrat den realpolitischen Verhältnissen und anerkannte die Sowjetunion als eine antifaschistische Siegermacht des Zweiten Weltkriegs. Ernis Banknoten aber, bereits gedruckt, kamen nie in Umlauf, weil ihr Schöpfer als Kommunist denunziert worden war.

Das von Erni für die AHV-Abstimmung 1947 geschaffene Poster (vgl. Abbildung oben) verkündete figurativ mit klarer Strichführung eine einfache Botschaft: ein geruhsames Alter und die Solidarität unter den Generationen. Dank der Ja-Parole kann der Mann gelassen ein Buch lesen. Die Abstimmung wurde wuchtig gewonnen, mit achtzig Prozent Ja-Stimmen.

Die Einführung der AHV war und ist für die Schweiz der Höhepunkt einer neuen Sozialpolitik nach dem Krieg, so wie es diesen sozialpolitischen Aufbruch auch in anderen Ländern gab. SozialdemokratInnen, die kommunistische Partei der Arbeit und sozialreligiöse Kräfte wie auch Gottlieb Duttweilers Landesring der Unabhängigen fanden sich zuweilen im Bestreben um eine neue Schweiz zusammen.

Die Allianz zerbrach schon bald unter dem Druck des Kalten Kriegs, der interventionistischen Politik der einst utopisch verklärten Sowjetunion samt Repressionen und Schauprozessen. Erni blieb vorerst in der Friedensbewegung aktiv, mobilisierte 1954 gegen den Atomkrieg den traditionellen Topos eines Totenkopfs: Der Karte Europas auf dem Schädel entspringt ein Atompilz.

Ernis Kopf als Markenzeichen

Der Totenkopf tauchte später wieder auf, als sich Hans Erni, nach der Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn 1956, nicht nur von der sozialistischen, sondern generell von der sozialen Bewegung verabschiedet hatte. Sein Anliegen wurde jetzt, sehr früh, der Umweltschutz. «Rettet das Wasser» von 1961 setzt den Totenkopf ins Wasser. Als er das Sujet 1983 gegen das Waldsterben mobilisierte, hatte er seinen eigenen Kopf mit den kurzen Locken längst zum Markenzeichen gemacht, der nunmehr auch, eher peinlich, den geschundenen Baum krönte.

Über die letzten drei oder vier Jahrzehnte dieses mehr als ein Jahrhundert dauernden Lebens muss man unter ästhetischen Gesichtspunkten nicht viele Worte verlieren. Aber vielleicht lässt sich diesem langen Alter doch ein tröstlicher Gedanke abgewinnen: dass Erni bis in die letzten Tage aus dem Leben Kreativität schlug. Am 21. März ist er 106-jährig in Luzern gestorben.