Kommentar: Venezuelas solidarisches Öl wird knapp

Nr. 14 –

Präsident Maduro schränkt die Öllieferungen an Kuba und den Petrocaribe-Verbund drastisch ein. Das hat Folgen für die Region – und für die Annäherung zwischen den USA und Kuba.

Venezuela kann sich – so scheint es – seine Solidarität mit den Staaten Zentralamerikas und der Karibik immer weniger leisten. Das Land mit den weltweit grössten bekannten Erdölreserven hat seine Öllieferungen zu Sonderbedingungen für Kuba und die siebzehn im Petrocaribe-Verbund zusammengeschlossenen Länder seit August 2014 dramatisch reduziert. Seit der Erdölpreis von über 100 auf heute rund 45 US-Dollar pro Fass eingebrochen ist, steckt Venezuela in einer tiefen Krise. Präsident Nicolás Maduro greift verzweifelt nach jedem Rettung versprechenden Strohhalm. Eine Kürzung der Öllieferungen wird ihm da zwar nicht helfen, kann aber vielleicht einen weiteren Absturz der heimischen Wirtschaft abbremsen.

Statt vorher 400 000 Fass pro Tag umfasst das Petrocaribe-Programm heute nur noch die Hälfte, in der Dominikanischen Republik sollen die billigen Erdöllieferungen gar um 76 Prozent zurückgegangen sein. Selbst Kuba erhalte statt vorher 100 000 nur noch 50 000 Fass pro Tag, heisst es in einem Bericht der britischen Barclays Bank. Sie stützt sich dabei auf Daten der Firma Petrologistics, die weltweit Bewegungen von Öltankern erfasst. Die Regierung von Venezuela gibt seit zwei Jahren keine Zahlen zu den Petrocaribe-Lieferungen mehr bekannt.

Das Programm war vor zehn Jahren vom damaligen venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez ins Leben gerufen worden. Venezuela liefert den angeschlossenen Staaten Öl, und diese bezahlen dafür zunächst nur die Hälfte des Weltmarktpreises. Die andere Hälfte musste ursprünglich nach zwei tilgungsfreien Jahren innerhalb von bis zu 25 Jahren mit einem Zinssatz von einem Prozent abgestottert werden. Im Juni 2013 konnte sich Venezuela diese Bedingungen dann nicht mehr leisten; Maduro erhöhte den Zinssatz auf – je nach Land – zwei bis vier Prozent.

Trotzdem ist Petrocaribe für die beteiligten Länder ein gutes Geschäft: Sie bezahlen zunächst nur die Hälfte, können aber alles zu Marktpreisen weitergeben. In Nicaragua etwa wird das Geschäft über eine mit der Präsidentenfamilie verbandelte Firma abgewickelt. Mit den so gewonnenen Mitteln wird dann ein Grossteil der Sozialprogramme finanziert. Im benachbarten El Salvador wurde eigens die der linken Regierungspartei FMLN nahestehende Firma Alba Petróleos El Salvador gegründet. Aus den Gewinnen ist in den vergangenen zehn Jahren eines der grössten Firmenimperien des Landes entstanden. Es betreibt das weitaus umfangreichste Tankstellennetz und besitzt sogar eine eigene Fluglinie – eine Kapitalakkumulation, die zum ersten Mal in der Geschichte des Landes nicht von rechten Kreisen kontrolliert wird.

Noch günstiger sind die Bedingungen für Kuba. Das sozialistische Bruderland Venezuelas bekam vor den Kürzungen mehr Öl, als es selbst verbraucht. Der Überschuss wurde auf dem Spotmarkt für kurzfristige Angebote weiterverkauft. Bezahlt wird nicht mit Devisen; stattdessen schickt Kuba Ärzte, Sportlerinnen und Berater für den Geheimdienst nach Venezuela. All das steht jetzt auf der Kippe. Sollte Petrocaribe untergehen, drohe in der Karibik «eine schwere humanitäre Krise». Dies prognostizierte US-Aussenminister John Kerry bei einer Konferenz des Thinktanks Atlantic Council am 12. März in Washington. Man kann getrost davon ausgehen, dass ihm das gar nicht so unrecht wäre. Denn Petrocaribe war ein diplomatischer Erfolg des linken Venezuela – in einer Region, die von den Vereinigten Staaten traditionell als eigener Hinterhof betrachtet wird. Selbst rechts regierte Länder und treue Vasallen Washingtons wie Guatemala und Honduras haben sich von Chávez einfangen lassen. Hier kann Kerry nun verlorenes Terrain zurückgewinnen.

Daran arbeitet die US-Regierung schon lange. Kuba hat sich als Feindbild in der Region überlebt. Nach über fünfzig Jahren gescheiterter Aggressionspolitik sucht Präsident Barack Obama nun diplomatische Beziehungen zu Havanna. Der neue Bösewicht Washingtons ist jetzt Venezuela. Dort unterstützen die USA schon lange die rechte Opposition, die das Land regelmässig ins Chaos zu stürzen versucht. Erst am 9. März verhängten sie Sanktionen gegen Mitglieder der Regierung Maduro und erklärten Venezuela zur «ausserordentlichen Gefahr für die USA».

Allerdings gewinnt man so kein Terrain zurück. Man kann nicht Raúl Castro schöne Augen machen und gleichzeitig seinen wichtigsten Verbündeten, Nicolás Maduro, zum Satan erklären. Dass Kuba sich nicht gegen Venezuela ausspielen lässt, hat Castro bereits klargemacht. Am Montag hat der kubanische Einheitsgewerkschaftsverband CTC zu Solidaritätsdemonstrationen für Maduro aufgerufen und gleichzeitig daran erinnert, dass Washington trotz aller Annäherungsversuche das Wirtschaftsembargo gegen Kuba aufrechterhält; dass die Regierung Obama die Insel weiterhin auf der Liste der Länder führt, die angeblich Terroristen unterstützen; und dass es im Südosten bei Guantánamo noch immer diese Enklave gibt, die als staatliches Folterlager der USA bekannt ist. Obama setzt mit seiner Venezuela-Politik derzeit die vorsichtige Öffnung gegenüber Kuba aufs Spiel.