Kino-Film «A Girl Walks Home Alone at Night»: Dracula trägt jetzt Tschador

Nr. 15 –

Süchtig nach nostalgischer Coolness: In ihrem ersten Spielfilm wirbelt die US-Regisseurin Ana Lily Amirpour ungeniert die kulturellen Codes durcheinander.

Vampirin im Arsenal der Zeichen: Die junge Blutsaugerin (Sheila Vand), hier mit dem Finger des präpotenten Gangsters.

Wo haben wir schon wieder die Silberpatronen verstaut? Es ist doch verrückt: Immer dann, wenn man sich mal wieder ganz sicher ist, dass das Genre des Vampirfilms nun aber wirklich restlos ausgeblutet ist, eine tote Hülle der Popkultur, ausgesaugt bis auf den letzten Tropfen und verdämmert im ewigen «Twilight» des sterilisierten Teenagerkitschs – immer dann also erhebt sich aus irgendeiner merkwürdigen Ecke doch wieder so eine schauerromantische Schattengestalt, die das ganze Repertoire des sublimierten Blutdurstes noch einmal aufregend neu interpretiert.

Also Vorhang auf für die neuste Fackelträgerin der unsterblichen Vampirfolklore: Das ist eine schöne junge Frau ohne Namen, die ein tristes Industriekaff irgendwo in der Prärie heimsucht. Es sieht hier alles nach Amerika aus, nur dass das kalifornische Hinterland, wo der Film gedreht wurde, komplett iranisiert wurde: Nosferatus Tochter trägt jetzt Tschador, und alle Figuren reden Farsi. Dazu ein Soundtrack, der nach orientalischem Spaghettiwestern klingt, eine schlafwandlerische Atmosphäre, und die triste Provinz erstrahlt in einem Schwarzweiss, wie es Jim Jarmusch auch nicht schöner hingekriegt hätte. Wo sind wir denn hier gelandet, in einem Diplomfilm des Studiengangs für postkolonial-hybride Hipsterkultur?

Ganz in Schwarz auf dem Skateboard

Das kann man so sehen, und es beginnt ja schon beim trügerisch unverfänglichen Titel: «A Girl Walks Home Alone at Night» heisst der Erstling von Ana Lily Amirpour, einer in Florida aufgewachsenen US-Regisseurin mit iranischen Wurzeln. Aber dem Mädchen, von dem im Titel die Rede ist, möchte man nachts auf dem Heimweg lieber nicht begegnen. Ausser natürlich, man ist Dracula: Den trifft die schwarz gewandete junge Frau (Sheila Vand) eines Nachts, als sie auf einem Skateboard durch die verschlafenen Strassen rollt. Da torkelt nun Graf Dracula im fahlen Licht der Strassenlaternen vor ihr her, aber es ist nur Arash (Arash Marandi), ein trauriger, kostümierter Partygänger auf Ecstasy. Die Liebe der beiden wird unsterblich sein.

Der falsche Vampir und die verschleierte Blutsaugerin auf dem Rollbrett: Dieses nächtliche Rendezvous zeigt schön, wie dieser Film operiert. Da werden kulturelle Referenzen so ungeniert über Kreuz gelegt, dass man gar nicht mehr weiss, wie man «Postmoderne» buchstabiert. Arash, unser romantischer Held, der sich daheim mit einem verkommenen Vater herumplagt, sieht aus wie ein persischer James Dean oder zumindest wie ein Jüngling aus einer alten Jeanswerbung. Der präpotente Gangster wiederum, der im Film das Städtchen tyrannisiert, trägt das bescheuertste Tattoo der jüngeren Filmgeschichte zur Schau: Er hat sich tatsächlich «Sex» in Grossbuchstaben auf die Kehle tätowiert.

Leichen auf der Deponie

«Bad City», so hat die Regisseurin die Fantasiestadt im iranisch-kalifornischen Grenzland getauft, wo ihre Schauermär angesiedelt ist. Sie hätte den Ort genauso gut «Pastiche City» nennen können, denn das ist der stilistische Modus, in dem dieser Film abläuft. Alles hier ist ein Pastiche, das heisst: Alles ist Zitat, alles ist Accessoire, alles ist irgendwie cool. «A Girl Walks Home Alone at Night» ist eine reine Stilübung, aber im Spiel mit den Oberflächen schon ziemlich virtuos. Wenn irgendwo ein blutdurstiges Mädchen die Gegend unsicher macht, sammeln sich ja naturgemäss auch Leichen an. Und so offen, wie die Toten hier einfach auf einer Deponie neben einer Brücke abgelagert werden, so ungeniert wildert Ana Lily Amirpour eben auch im Arsenal der Zeichen, die sie hier neu kombiniert.

Das Cape, wie wir es von Dracula kennen, wird also, politisch nicht eben korrekt, zum Tschador entfremdet: Wer hat Angst vor der Frau in muslimischer Tracht? Doch das schwarze Tuch wird dabei auch zur Chiffre von weiblicher Lust und Selbstermächtigung umgedeutet. Denn die Frau ohne Namen trägt ihr gespenstisches Gewand nicht zuletzt als verführerisches Lockmittel, wenn sie draussen ihr Unwesen treibt – also dann, wenn sie ihre fleischlichen Bedürfnisse befriedigen geht.

Schwarzes Blut der Erde

Und für den Fall, dass uns das noch nicht plakativ genug sein sollte, zeigt die Regisseurin immer wieder Erdölpumpen bei der Arbeit. Aha: schwarzes Blut der Erde, das in einer Form von industriellem Vampirismus aus dem Boden gesaugt wird! Durst nach Blut und nach Erdöl, und alles in einer iranischen Kleinstadt in Kalifornien – so verschränken sich in diesem Bild die vampirischen Motive und das geografische Imaginäre dieses Films. Der Zusammenhang bleibt diffus, aber was solls, es sieht halt gut aus.

«Ein Vampir ist ein Serienmörder, ein Historiker, ein Süchtiger und ein Romantiker, alles auf einmal», so bringt Ana Lily Amirpour den Reiz der ganzen Vampirmythologie sehr schön auf den Punkt. Dabei ist ihr Film über eine blutdurstige Romantikerin vor allem nach einer Sache süchtig: dem verführerisch gestrigen Look der Nostalgie.


Ab 9. April 2015 im Kino.

A Girl Walks Home Alone at Night. Regie: Ana Lily Amirpour. USA 2014