Erbschaftssteuer: «Herr Bigler, wieso führen Sie die Stimmbürger hinters Licht?»

Nr. 19 –

Was der Direktor des Gewerbeverbands unter Chancengleichheit versteht, was er vom konkurrierenden KMU-Verband hält und was er der Linken in Sachen Erbschaftssteuer alles zutraut.

WOZ: Herr Bigler, können Sie mir eine politische Frage nennen, in der Sie nicht die rechtsbürgerliche Extremposition vertreten?
Hans-Ulrich Bigler: Was verstehen Sie unter einer rechtsbürgerlichen Extremposition?

Das Bankgeheimnis? Für Sie sakrosankt. Die Sanierung der Altersvorsorge? Nur über eine Erhöhung des Rentenalters. Eine Lenkungsabgabe zum Schutz der Umwelt? Niemals.
Der Ausdruck «rechtsbürgerlich» gefällt mir nicht. Ich vertrete durchaus liberale Positionen. Die Linke greift Bundesrat Alain Bersets Altersvorsorgereform von der anderen Seite an. Am Ende wird es einen Kompromiss geben.

Sie schlagen die Pflöcke am äusseren rechten Rand ein, damit der Kompromiss am Ende näher bei Ihnen liegt?
Ich setzte mich im Interesse der KMU und der Gesellschaft für eine gute Lösung ein. Diese erreiche ich nicht, wenn ich mit einem Kompromiss einsteige.

Wenn es sein muss, schiessen Sie auch Mitstreiter ab: Als der KMU-Verband kürzlich in der WOZ sagte, dass die KMU von der Erbschaftssteuerinitiative nicht betroffen wären, antwortete Ihr Verband, indem er einen Artikel in Umlauf brachte, der dem KMU-Verband Vetternwirtschaft vorwirft.
Der KMU-Verband ist kein Mitstreiter. Wir haben ihn nicht abgeschossen, sondern lediglich unsere Position dargelegt.

Sie sind nicht auf die Argumente eingegangen, sondern haben versucht, den Verband zu diskreditieren.
Wir wollten zeigen, dass der KMU-Verband nicht die KMU vertritt. Es freut mich aber, dass Sie unsere Verlautbarungen fleissig lesen.

Zur Erbschaftssteuerinitiative: Die reichsten fünf Prozent besitzen hierzulande fast zwei Drittel des Vermögens. Sehen Sie kein Problem darin, dass die Schweiz in Sachen Vermögensungleichheit unter den Industriestaaten an der Spitze steht?
Was mich als Gewerbeverbandsdirektor interessiert, ist die Frage, wie sich die Initiative auf die KMU auswirkt.

Als FDP-Nationalratskandidat werden Sie doch eine grundsätzliche Meinung zur Vermögensungleichheit haben.
Aus einer liberalen Sicht ist es richtig, dass nicht alle gleich viel Vermögen besitzen, da nicht alle gleich viel leisten und sparen.

Apropos Leistung …
… ich kann Ihre nächste Frage gleich selber formulieren.

Bitte sehr.
Sie werden einwenden, dass die Erben keine Leistung erbracht haben, sondern lediglich von ihren Eltern profitieren. Doch das Vermögen kam durch Leistung zustande, und zudem wurden darauf bereits Einkommens- und Vermögenssteuern bezahlt. Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern haben wir in der Schweiz eine höhere Besteuerung von beweglichen Vermögen, das schafft Ausgleich.

Aber wenn man die Steuern auf Immobilien dazurechnet, liegt die Schweiz im Mittelfeld. Abgesehen davon: Die Schweiz bleibt in Sachen Vermögensungleichheit an der Spitze.
Das Ziel von Steuern ist es, die Staatsleistungen zu finanzieren. Steuern dürfen nicht auf Gleichmacherei abzielen. Doch die Erbschaftssteuer verfolgt genau dieses Ziel.

Sie haben die Frage nach der Leistung der Erben noch nicht beantwortet.
Der Erblasser hat Leistung erbracht.

Aber die Person, die erbt, hat nichts geleistet.
In einem Familien-KMU wird das Vermögen, das in der Firma steckt, von mehreren Generationen zusammen erarbeitet. Nur weil die Verantwortung von einer auf die nächste Generation übertragen wird, soll die Familie plötzlich zwanzig Prozent Steuern abliefern? Das ist Unsinn. Zudem: Jedes Vermögen kommt aufgrund einer Leistung zustande; darauf fallen zudem bereits Steuern an – es gibt keinen Grund, das Vermögen nochmals zu besteuern.

Gemäss einem liberalen Grundsatz soll jedes Individuum – egal welcher Familie es entstammt – mit den gleichen Bedingungen ins Leben starten.
Die Forderung nach gleichen Startchancen sind durchaus berechtigt. Sie sind aber auch gewährleistet.

Sie behaupten, die Erbschaftssteuer hätte verheerende Auswirkungen auf die KMU. Das müssen Sie erklären.
Die Erbschaftssteuer würde zum Zeitpunkt der Vererbung eines KMU an einen Nachkommen finanzielle Mittel aus dem Betrieb ziehen. Zwar sieht die Initiative vor, dass bei der Vererbung von Familienunternehmen ein höherer Freibetrag sowie ein tieferer Steuersatz gelten würden, doch über die Höhe schweigt sie.

Diese Ausnahmebestimmungen haben Sie an Ihrer Medienkonferenz zur Erbschaftssteuerinitiative verschwiegen. Sie haben versucht, die Stimmbürger hinters Licht zu führen.
Im Initiativtext ist die Höhe des Freibetrags nicht beziffert. Das schafft grosse Rechtsunsicherheit. Das kritisieren wir sehr direkt.

Sie behaupteten, bei der Vererbung einer Garage im Wert von 4 Millionen Franken würde eine Steuer von 400 000 Franken fällig. Das ist Unsinn.
Die Initianten sprachen zuerst von einer Freigrenze von acht Millionen Franken, inzwischen redet SP-Präsident Christian Levrat von fünfzig Millionen. Das ist purer Opportunismus. Die Initianten zitieren eine möglichst hohe Zahl, um möglichst viel Zustimmung zu erzielen. Was gilt nun? Es herrscht fehlende Rechtssicherheit.

Es sind ja nicht die Initianten, die diesen Freibetrag bestimmen werden, sondern das Parlament. Dort besetzen die bürgerlichen Parteien zwei Drittel der Sitze. Sie werden den Freibetrag im Alleingang bestimmen.
Ich gebe Ihnen recht, dass die bürgerliche Mehrheit darauf drängen würde, die Limite hoch anzusetzen. Wird die Initiative angenommen, werden jedoch nicht die Bürgerlichen den Ton angeben, sondern die Linken.

Sie behaupten, dass die Bürgerlichen im Parlament den Vorschlägen der Linken zustimmen würden? Ich bitte Sie, Herr Bigler, Sie kennen die Mechanismen in Bern doch besser …
Die Linke würde versuchen, einen möglichst tiefen Freibetrag durchzudrücken. Und die Frage ist, wie weit die bürgerliche Mehrheit das korrigieren könnte. Je nachdem, wie hoch dieser ausfällt, werden die KMU kleinere oder grössere Probleme haben.

Bei einer Freigrenze von fünfzig Millionen Franken, wie ihn die Initianten vorschlagen, wäre kein KMU betroffen. Bestreiten Sie das?
Wir stimmen Mitte Juni aber über den Initiativtext ab und haben keinen Einfluss darauf, was damit dann passiert. Die fünfzig Millionen sind ein abstimmungstaktisch behaupteter Betrag.

Der höhere Freibetrag bei der Vererbung eines Unternehmens würde nur gelten, wenn der Nachfolger den Betrieb zehn Jahre weiterführt. Sie sagen, das sei ein Problem – warum?
Kein Unternehmer kann Ihnen sagen, wo er in zehn Jahren steht. Vielleicht will er nach fünf Jahren den Betrieb verkaufen. Deshalb wird er eine Reserve schaffen müssen, damit er die Steuer zahlen kann, falls er den Betrieb früher aufgibt. Diese Reserve fehlt im Betrieb.

Wenn ein Unternehmer seinen Betrieb verkauft, erhält er dafür einen Erlös, aus dem er die Steuer zahlen kann.
Ja. Aber bis dahin muss er eine Reserve anlegen. Die drohende Erbschaftssteuer ist ein buchhalterisches Risiko. Vielleicht muss der Unternehmer ja Verluste hinnehmen.

Nehmen wir an, ein Betrieb geht in Konkurs, der Nachfolger stirbt oder wird arbeitsunfähig. Für all diese Fälle könnte das Parlament Ausnahmen formulieren.
Natürlich könnte das Parlament eine Lösung ausknobeln. Im Initiativtext, über den wir abstimmen, steht aber nichts Verbindliches.

Wir stimmen im Juni auch über neue Radio- und Fernsehgebühren ab, weil Ihr Verband das Referendum ergriffen hat. Auch hier kämpfen Sie gegen eine Vorlage, die die KMU kaum trifft: Über achtzig Prozent aller Betriebe werden nichts oder weniger bezahlen als heute.
Das stimmt nicht. Die gesamte Wirtschaft würde neu mit 200 Millionen Franken belastet, das ist fünfmal mehr als heute. Neu muss jeder Haushalt und jeder Betrieb ab einem Umsatz von 500 000 Franken Gebühren bezahlen, egal ob sie ein Empfangsgerät besitzen oder nicht. Unternehmer mit einem Betrieb von über 500 000 Franken Umsatz bezahlen doppelt: als Unternehmer und als Bürger.

Wenn ein Unternehmer heute zu Hause und im Betrieb ein Empfangsgerät besitzt, bezahlt er auch heute doppelt. Zudem vertreten Sie doch das Gewerbe und nicht die Bürger.
Entschuldigen Sie: Jeder Gewerbebetreiber ist auch ein Bürger. Zudem lässt sich der Bundesrat mit der Vorlage einen Freipass geben. Künftig soll er allein über die Höhe der Gebühren entscheiden.

Der Preisüberwacher hätte auch ein Wort mitzureden.
Wie viel Einfluss hätte er? Im Prinzip entscheidet der Bundesrat allein, es gibt keine demokratische Kontrolle mehr. Dabei muss gemäss Verfassung jede neue Steuer vors Volk.

Es ist ja keine Steuer.
Der Bundesrat hat diese Abstimmung gescheut wie der Teufel das Weihwasser. Darum spricht er von einer Gebühr. Doch selbst das Bundesgericht spricht von einer Zwecksteuer. Wäre es eine Gebühr, könnten Sie sich ihr entziehen, indem Sie kein Radio und Fernsehen konsumieren. Doch mit dem neuen Gesetz sollen alle bezahlen.

In Ihrem Verbandsranking der gewerbefreundlichsten Nationalräte werden neuerdings 41 der ersten 50 Plätze von SVPlern belegt. Was hat die SVP, was die FDP nicht hat?
Die Basis des Gewerbeverbands setzt sich aus allen bürgerlichen Parteien zusammen: aus SVP, FDP, CVP, BDP und GLP.

Nützt etwas Fremdenfeindlichkeit den Arbeitgebern? Also: Ist es Ihnen lieber, die Angestellten verteidigen ihren Lohn gegen Ausländer, als dass sie sich gegen die Arbeitgeber wehren?
Ich bitte Sie. Schauen Sie doch, wie viele ausländische Fachkräfte in der Gastronomie, in der Hotellerie oder im Bau angestellt sind. Ohne Ausländer könnte das Gewerbe nicht existieren. Deshalb hat sich der Gewerbeverband auch gegen die «Masseneinwanderungsinitiative» ausgesprochen. SVP-Nationalrat Jean-François Rime, der bereits vor seiner Zeit als Verbandspräsident Mitglied des entsprechenden Initiativkomitees geworden war, trat im Abstimmungskampf in den Ausstand.

Ihre Antwort bejaht meine Frage: Die SVPler in Ihren Reihen wollen Zuwanderung – aber unterstützten gleichzeitig die «Masseneinwanderungsinitiative».
Sie können uns als Gewerbeverband nicht vorwerfen, wir seien fremdenfeindlich.

Verkörpern Sie mit Ihrer politischen Haltung die Zukunft der FDP?
Das werden die Wähler im Herbst entscheiden.

Hans-Ulrich Bigler (57) ist seit 2008 Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands. Der Lobbyist ist Nationalratskandidat der Zürcher FDP.

Eine Steuer auf Erbschaften

Am 14. Juni wird über die Erbschaftssteuerinitiative abgestimmt. Diese verlangt, dass Erbschaften ab einem Freibetrag von zwei Millionen Franken mit zwanzig Prozent besteuert werden. Zwei Drittel der Einnahmen sollen der AHV zukommen, ein Drittel den Kantonen. Für Familienbetriebe, die mindestens zehn Jahre von einem Nachkommen weitergeführt werden, sieht die Initiative einen höheren Freibetrag sowie einen tieferen Steuersatz vor. Die Beträge müssten vom Parlament im Ausführungsgesetz festgelegt werden.

In der Schweiz wurden 2011 61 Milliarden Franken vererbt, wie eine neue Studie der Uni Lausanne zeigt. Das entspricht in etwa dem Budget des Bundes und ist weit mehr als die 40 Milliarden, von denen der Bundesrat bisher ausgegangen war.