Kost und Logis: Diesseitige Elysien

Nr. 19 –

Karin Hoffsten über die käufliche Glückseligkeit

Eigentlich will ich mich ja nur unauffällig umschauen – aber nix da! Den Zutritt zum Paradies verwehren mir zwar keine Cherubim, doch die beiden freundlichen Frauen sind nicht minder unerbittlich: Ich darf nicht rein und schon gar nicht in einer Zeitung darüber schreiben, da hilft kein Bitten, kein Jammern und kein Flöten. Erst als eine Göttin vom Marketing telefonisch ihr Plazet gibt, öffnet sich das Tor zum Himmel.

«Ob Kaufhaus, Kino oder Zoo: Auf 600 Quadratmetern findet man alles, was das Kinderherz begehrt», hiess es in der Medienmitteilung zur «minicity», dem Kinderparadies hoch oben im Zürcher Einkaufszentrum Sihlcity: Wollen «die Grossen entspannt durch die über 80 Geschäfte streifen», können sie hier die Kleinen abgeben. Und als jetzt ich auf Socken über den dicken Teppichboden gehe, weiss ich: Für solche Herrlichkeiten hätte ich im entsprechenden Alter wohl meine beiden Lieblingspuppen verkauft.

Weil Ferien sind, ist nicht allzu viel los; wie es ist, wenn hier die maximal erlaubten hundert Kinder toben, stelle ich mir lieber nicht vor. Heute beherrschen Spiderman und Hulk die Szene, die wie die Hells Angels auf Frühlingstour durchs Gelände flitzen. Aus den gepolsterten Schultern des Hulk schaut finster ein schmächtiges Knäblein, Spiderman ist eigentlich ein Spidergirl, und beiden folgt unermüdlich mit hochroten Wangen ein noch viel jüngeres Wesen, das sich auch von der Betreuerin, die um seine Gesundheit fürchtet, nicht bremsen lässt.

Im kleinen Laden ist es ruhiger. Hier verkauft mir die bezaubernde Schmetterlingsprinzessin mit erlesener Höflichkeit für 31 Euro eine Plastikzitrone, während hinter mir schon die Eiskönigin mit gefülltem Einkaufswägelchen wartet. Alle Kostüme, samt den unvermeidlichen Prinzessinnengewändern, gibt es leihweise. In diesem Paradies kann kind alles tun, was es möchte: malen, lesen, mit Lego bauen, sich schminken, klettern, toben, und am Samstag gibts Events wie Kino oder Kinderyoga.

Eine Stunde Ruhe vor dem Kind kostet 4.50 Franken, auf weitere Kinder und Stunden gibts Rabatt. Das Angebot richtet sich ausschliesslich an Eltern, die «die Angebote von Sihlcity nutzen»; sie verpflichten sich, ihr Kind notfalls innerhalb einer Viertelstunde abholen zu können.

Einkaufszentren sind in sich geschlossene Welten, und auch in Sihlcity ist der Weg ins Paradies mit Versuchungen gepflastert: Als ich endlich oben in der «minicity» angekommen bin, habe ich schon Diverses anprobiert. In einer Welt, in der Konsumverzicht als Sabotage gilt, will das Paradies mit ausreichend Zaster erobert werden. Aber vielleicht gibt es ja wirklich Eltern, die gerne ein paar Franken zahlen, um einfach mal für ein, zwei kinderfreie Stunden friedlich nebeneinander am Sihlufer zu sitzen.

Karin Hoffsten übte an jenem Tag keinen Konsumverzicht, ist aber mit drei preiswerten T-Shirts grade noch mal davongekommen.