Meinungsäusserungsfreiheit: Muss man «Charlie Hebdo» auszeichnen?

Nr. 19 –

Das PEN-Zentrum der USA hat den JournalistInnen des Magazins «Charlie Hebdo» einen Preis verliehen. Proteste dagegen haben eine Grundsatzdebatte zur Meinungsäusserungsfreiheit ausgelöst.

Es war ein Verbrechen und ein Angriff auf die Meinungsäusserungsfreiheit, als im Januar zwölf JournalistInnen des Magazins «Charlie Hebdo» von Islamisten getötet wurden. Darüber sind sich alle einig. Aber hat das US-amerikanische PEN-Zentrum deshalb das Magazin mit einem Preis für seinen Kampf um die Meinungsäusserungsfreiheit auszeichnen müssen? Darüber wird gegenwärtig heftig gestritten.

Es ist zuerst einmal ein Sturm in der Goldfischbowle. Die alljährliche Galaveranstaltung des US-PEN-Zentrums dient dem Goodwill und dem Fundraising und ein wenig dem sozialen Klatsch. PEN-Mitglieder präsidieren als GastgeberInnen und versuchen, möglichst viel Geld für eine Organisation hereinzuholen, die weltweit die Meinungsäusserungsfreiheit verteidigen will. Sechs solcher GastgeberInnen haben ihre Teilnahme Ende April mit etlichem öffentlichem Getöse zurückgezogen, darunter durchaus bekannte AutorInnen wie Rachel Kushner, Michael Ondaatje und Teju Cole. Sie argumentieren, «Charlie Hebdo» habe fragwürdige, menschenverletzende Cartoons veröffentlicht. Man habe die Zeitschrift zwar verteidigen müssen, aber ehren müsse man sie deswegen noch lange nicht. PEN hätte zahlreiche andere Journalistinnen und Whistleblower auszeichnen können, die ihre Freiheit oder auch ihr Leben für eine gerechte Sache eingesetzt hätten.

Kritik an der Kritik

Die Kritik am Protest kam postwendend, etwa von Salman Rushdie, mit bösartiger persönlicher Spitze gegen die Protestierenden, oder von Adam Gopnik im «New Yorker», mit einer gediegenen grundsätzlichen Analyse. Und es haben sich sogleich ErsatzgastgeberInnen gefunden: der Cartoonist Art Spiegelman, die Cartoonistin Alison Bechdel und der Fantasyautor Neil Gaiman.

Auf der anderen Seite haben sich immer mehr AutorInnen dem Protest angeschlossen. Inzwischen sind es 204 Namen. Die Medien beobachten genau, wer sich denn da wieder angeschlossen hat: «Zweitklassig» heisst es gelegentlich, und «publizitätsgeil». Aber es zählen doch ein paar bedeutsame Namen dazu, Joyce Carol Oates etwa, die Kurzgeschichtenverfasserin Deborah Eisenberg, die Essayistin Janet Malcolm, die Autorin und Aktivistin Sarah Schulman, der Dichter Charles Simic, der Essayist und Übersetzer Eliot Weinberger oder der Historiker Jon Wiener. Minutiös nachgeführt und betreut wird die Liste vom Journalisten Glenn Greenwald, der durch seine Enthüllungsarbeit mit Edward Snowden bekannt geworden ist und sich bereits im Januar mit einer kritischen Einschätzung von «Charlie Hebdo» exponiert hatte.

Auch Garry Trudeau, der Zeichner des unnachahmlichen «Doonesbury»-Cartoon, hat sich kürzlich kritisch mit «Charlie Hebdo» auseinandergesetzt. In einer Dankesrede für einen ihm verliehenen Preis definierte er Mitte April Satire als ein Stilmittel, das nach oben austeile und sich nach unten solidarisiere. «Charlie Hebdo» nahm er explizit davon aus. Deren Karikaturen hätten mit dem Lächerlichmachen von französischen MuslimInnen das Prinzip verletzt und seien «im Bereich des hate speech» anzusiedeln. VerfechterInnen absoluter Meinungsäusserungsfreiheit übersähen, dass man, auch wenn man das Recht zur Beleidigung habe, es nicht ausnutzen müsse.

Seit dem öffentlichen Protest haben sich die Lager wieder einmal verschanzt. Darf man Meinungsäusserungsfreiheit einschränken? Muss sie nicht gerade Grenzen haben? In den USA ist das Prinzip der Meinungsäusserungsfreiheit weiter gefasst als zum Beispiel in Frankreich – theoretisch zumindest. Aber die Theorie unterschlägt wiederum die Realität, da sich bestimmte soziale Gruppen Kritik und Satire mehr leisten können als soziale Minderheiten. Darauf zielt das Argument ab, AutorInnen hätten eine Verantwortung, wen sie welcher Kritik aussetzten: «Charlie Hebdo» sei islamophob.

Lagerdenken

In Frankreich wird dieser Haltung ihrerseits Islamophilie vorgeworfen. Aber ist eine Kritik an «Charlie Hebdo» ein Einknicken vor islamistischer Einschüchterung? Man schlägt sich die Begriffe «Islamophobie» und «Islamophilie» um die Ohren. Doch diese spiegeln sich gegenseitig. Der unermüdliche 91-jährige israelische Friedensaktivist Uri Avnery hat kürzlich bei einem Gespräch im Deutschlandfunk erklärt, antisemitische und philosemitische Haltungen seien gleichermassen schlecht, weil sie einem ethnischen Denken verhaftet blieben.

Das polare Lagerdenken dreht sich im Kreis. PEN-Präsident Andrew Solomon hat erklärt, es gehe nicht um die Würdigung der Inhalte von «Charlie Hebdo», sondern um deren Mut: «Not content, but courage». Aber das ist nicht immer ganz einfach zu unterscheiden. Der PEN-Preis hat nicht sein müssen. Doch er ist legitim, und Entscheidungen sind immer diskutierbar.