«Skateboarding»: Selbstverliebt durch die Stadt rollen

Nr. 22 –

Der Rollbrettfahrer als prototypische Figur für den «neuen Geist des Kapitalismus»: Sebastian Schweer über die widersprüchliche Rolle einer subversiven Szene, die ins eigene Antlitz vernarrt ist.

In den achtziger Jahren wohnten meine Grosseltern in der Nähe von Frankfurt am Main. Die Region war damals noch stark von der US-Armee geprägt. Auf dem Kasernengelände gab es einen Laden, in dem Soldaten zu US-amerikanischen Preisen US-amerikanische Waren kaufen konnten. Manches wurde schwarz gehandelt, manches kam einfach so durch die Gitterzäune: Basketbälle etwa – und Skateboards.

Etwa 1945 hatte ein schwarzer britischer Soldat meinem damals siebenjährigen Vater im schwer zerstörten Ruhrgebiet einen Kaugummi gegeben: Frieden. Viele Jahrzehnte später gab mir Neunjährigem ein schwarzer US-amerikanischer Soldat im schwer wiederaufgebauten Frankfurt ein Rollbrett: Spass. Damit verband ich eine rebellische Geste: Rollbrettfahren war unangepasst, es funktionierte ausserhalb der gepflegten Sportvereine. Theoretisch.

Stadt als Benutzeroberfläche

Manchmal verhagelt einem Theorie aber den Spass: Sie lässt eine frühe Ahnung deutlicher werden. So auch bei der Lektüre des kleinen Bands «Skateboarding. Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf» von Sebastian Schweer. Wobei, über die Massen dick ist die Theorieschicht nicht: Schweer untersucht Skateboarding vor allem mit David Harvey (Anthropologe), Jacques Rancière (Philosoph) sowie dem Soziologen Luc Boltanski und der Wirtschaftswissenschaftlerin Ève Chiapello. Schweer findet im Skateboarder eine prototypische Figur für den «neuen Geist des Kapitalismus»: SkaterInnen meistern «die postmoderne Urbanität in besonderer Art und Weise», indem sie «in letzter Instanz eine Anpassung an die Verwertungslogik des Kapitals» besonders gut hinbekommen.

In der Tat: Wer Ende der achtziger Jahre mit dem Skateboard unterwegs war, dem konnten der eitle Zeigestolz und die feinen Unterschiede den Spass vergällen. Bald ging es um Marken und Mode, Selbstgebasteltes wurde ersetzt durch den Skatepark. Die Laune, aus der heraus man im Kleid der Grossmutter durch eine westdeutsche Kleinstadt fahren und dabei Bänke und Treppen testen konnte, wurde schal.

Schweer diskutiert das subversive Potenzial des Rollbrettfahrens und stellt fest, dass SkateboarderInnen eine spezifische Rolle spielen. Tatsächlich ist ihr Zugriff auf die Stadt – indem sie diese auf Oberflächen reduzieren – ein Mechanismus, der Polizei, Ordnungsamt und Stadtplanung herausfordert. Zu einem gewissen Mass haben SkaterInnen die Städte verändert und sich in die Öffentlichkeit eingeschrieben. In Köln beobachtete Schweer, wie die Stadt ihnen eine Anlage hinstellte, um sie von der Domplatte zu vertreiben: Urban Governance funktioniert toll, wenn man AktivistInnen einbinden kann, denen man was wegnehmen will. Rebellion findet fortan gehegt statt, also gar nicht.

Spektakel ums Selbst

Gerade weil SkaterInnen mit der Authentizitätskeule in der Hand versuchen, sich gegen die Übernahme durch grosse Firmen zu verteidigen, bilden sie das Authentizitätsreservoir, in dem Boltanski/Chiapello ein Wachstumsgebiet für die Logik des Kapitals sahen. Heute ist Skateboarding ein globaler Markt von sieben Milliarden US-Dollar pro Jahr – neunzig Prozent davon werden mit modischem Beiwerk umgesetzt.

Noch wichtiger ist, dass SkateboarderInnen (wie auch BMX-Fahrer, Strassenbasketballerinnen oder Sprayer) eigenmächtig Raumaneignung in den Städten betreiben, ohne eine Gefahr für den Kapitalismus darzustellen: Vielmehr passen sie mit schwitzendem Ichbezug und muskelhartem Lässigkeitsfetisch wunderbar ins Werbeschema. Schweer entdeckt in der flexiblen Jugendlichkeit, die vorgeblich den vom Fordismus disziplinierten Körper zurückerobert, eine Schlüsselfigur.

Leider fehlt eine historische Umschau zu Jugendkulturen – ebenso eine weiter gehende Analyse der Ästhetik einer Szene, die ins eigene Antlitz vernarrt ist. Ein grösserer Rahmen hätte Legionen erlebnisorientierter SpasssportlerInnen gefunden, dahinter Industrien, die werbewirksam Basketball auf städtische Plätze holen, Punkmusik vermarkten und dabei immer eine Spektakelwelt ums Selbst orchestrieren: Die Kannibalisierung durch die Logik des Kapitals funktioniert besonders einfach, wo sich eine Subkultur in der Geste der Rebellion gefällt. Die nötige Ausrüstung dazu gibts dann immer schon zu kaufen.

Sebastian Schweer: Skateboarding. Zwischen urbaner Rebellion und neoliberalem Selbstentwurf. Transcript Verlag. Bielefeld 2014. 180 Seiten. 28 Franken