Kultour

Nr. 23 –

Literatur

Siri Hustvedt

Wer je mit Iris Vegan New York bei Nacht durchstreift hat, in Männerkleider gehüllt und sich immer weiter von sich selbst entfernend, wer sich tagsüber mit ihr ins Bett in der stickigen Kleinstwohnung gelegt hat, halb bewusstlos vor Migräne, wird dieses literarische Erlebnis wohl kaum je wieder los. Genauer gesagt sind es Siri Hustvedts dunkle Obsessionen, beschrieben in einer so lichten Sprache, die ihren ersten Roman, «Die unsichtbare Frau» von 1993, so unvergesslich machen. Auf dieses Abtauchen musste man sich bei der Lektüre ihres bislang am meisten gefeierten «Was ich liebte» (2003) länger gedulden. Dafür zog Hustvedt ihren LeserInnen den Boden dann umso unvermittelter unter den Füssen weg.

Viele feiern die US-amerikanische Schriftstellerin als eine kühle Intellektuelle, die Literatur und Kunst sprachlich ebenso brillant und kenntnisreich seziert wie Psychologie und Neurologie. Sie hat zu diesen Themen dissertiert, Essays veröffentlicht, Blogs verfasst, Referate gehalten und an Universitäten gelehrt.

Jetzt gibt es Gelegenheit, die Autorin auch persönlich zu treffen: Siri Hustvedt liest am 10. Juni auf Einladung des Literaturhauses Zürich aus ihrem neuen Roman «Die gleissende Welt». Das anschliessende Gespräch findet auf Englisch statt.

Siri Hustvedt in: Schauspielhaus Pfauen Zürich, 
Mi, 10. Juni 2015, 20 Uhr. Moderation: Blas Ulibarri. Tickets: www.literaturhaus.ch

Franziska Meister

Neidkopf

Anfang der dreissiger Jahre trat der Pfarrersohn aus dem Zürcher Weinland der faschistischen Nationalen Front bei – und machte rasch Karriere: Hans Kläui (1906–1992) stieg zum Ostschweizer Gauführer und nationalen Propagandaleiter auf, seine antisemitischen, verschwörungstheoretischen Berichte für die Zeitung «Die Front» fielen durch ihre besondere Radikalität auf. Trotz einer Haftstrafe wegen staatsgefährdender Propaganda kandidierte Kläui 1942 auf der Liste der Nationalen Opposition für den St. Galler Kantonsrat. Nach dem Zweiten Weltkrieg startete er eine zweite Karriere: Als Genealoge, Namenforscher und Historiker wurde Kläui für seine Publikationen jahrzehntelang mit öffentlichen Kulturgeldern unterstützt und mehrfach ausgezeichnet.

In Form einer literarischen Recherche zeichnet Autor Daniel Gut die Wandlung des Frontisten und Antisemiten Kläui zum Heimatschützer und Kulturpreisträger nach. Sein Buch «Neidkopf» erscheint im Verlag Elfundzehn und erschliesst auch die Vorgeschichte des Rechtspopulismus in der Schweiz – einer politischen Bewegung, die heute so akzeptiert wirkt wie Kläui nach dem Krieg.

«Neidkopf. Zur Naturgeschichte des Schweizer Frontisten Hans Kläui». Buchvernissage in: 
Zürich, Buchhandlung im Volkshaus, 
Montag, 8. Juni 2015, 19.30 Uhr.

Kaspar Surber

Begegnung Buch

Wie geht das Fingeralphabet? Und wie funktioniert die Grammatik in der Gebärdensprache? Das Buch «Gebärdensprache lernen 1» von Marina Ribeaud gibt einen vertieften Einblick in die Gebärdensprache und ermöglicht auf spielerische Art und Weise, sich die Gebärdensprache anzueignen. Ribeaud, selber gehörlos und Gebärdensprachlehrerin, stellt ihr Buch an der kleinen Buchmesse Begegnung Buch in Basel im Begegnungs- und Kulturzentrum Union vor. Weitere Gäste sind der Basler Autor Wolfgang Bortlik, der aus seinen Fussballgeschichten vorliest, die Zürcher Schriftstellerin Sandra Schaller, die ihren Debütroman «Alles. Was übrig bleibt» präsentiert, sowie der Kabarettist Emil und seine Frau Niccel Steinberger. Ausserdem stellen sich an der Buchmesse auch mehrere kleine Verlage vor.

Die Idee der Begegnung Buch kommt vom kleinen Verlag Fingerhop.ch, der sich auf das Thema Gebärdensprache spezialisiert hat. Das Café im Union wird während der Messe vom Gehörlosenfürsorgeverein beider Basel geführt. Unwissende in Sachen Gebärdensprache können am besten gleich im Buch von Marina Ribeaud nachlesen, wie sie einen Kaffee bestellen.

Begegnung Buch in: Basel Union, 
Sa, 6. Juni 2015, 11–20 Uhr. www.begegnungbuch.ch

Silvia Süess

Theater

Wildwuchs

Man gewöhnt sich ja an die seltsamsten Wörter. Die «Personenfreizügigkeit» zum Beispiel: Was einst nach irgendwie schlüpfrigen Praktiken klingen mochte, ist längst zur Chiffre für die freie Zirkulation von menschlichen Ressourcen innerhalb des EU-Raums geronnen. Und für Personen von ausserhalb gilt besagte Freizügigkeit bekanntlich nur, wenn sie mehr als genug Geld vorweisen können. Es sei denn, es handelt sich um Frauen, die sich von Berufs wegen ausziehen, also eine Form von gewerblicher Freizügigkeit aufführen.

Für diese gilt in der Schweiz seit 1995 eine Ausnahmeregelung, das sogenannte Cabaret-Tänzerinnen-Statut, das «Frauen aus Drittstaaten ohne spezifische Qualifikation», wie es in abschätzigem Amtsdeutsch heisst, Schutz vor Ausbeutung bieten soll. Dieses Statut wird nun abgeschafft, und das Performance-Duo Thom Truong nimmt das am Basler Wildwuchs-Festival zum Anlass für eine Ausschaffungsparty – und sucht nach Freiwilligen fürs Cabaret: Wer ist bereit, ihren Job zu übernehmen, wenn diese Frauen mit körperlich sehr spezifischer Qualifikation per Jahresende die Schweiz verlassen müssen?

Mit diesem und vielen anderen Interventionen will das diesjährige Wildwuchs-Festival beweisen, «dass Normalität eine Frage des Blickwinkels ist». Das Theater Hora darf da natürlich nicht mit seiner jüngsten Produktion fehlen, dem Musical «Normalität». Deborah Neininger, mitverantwortlich für Gabriel Vetters TV-Webserie «Güsel», zeigt ihr Stück «Twenty Four» über die zeitlichen Abläufe in der Jugendpsychiatrie. Ebenfalls mit dabei ist die britische Stopgap Dance Company mit David Toole, der zeigt, dass man zum Tanzen keine Beine braucht («Artificial Things»). Und zur Eröffnung mit der belgischen Produktion «Star Boy Productions» verraten drei junge Westafrikaner, wie sie es geschafft haben, Europäer zu werden: Scheinehen, falsche Pässe, das ganze Repertoire an Tricks, um die Festung Europa zu ritzen. Das ist Theater am Puls der Zeit.

Wildwuchs in: Basel und Birsfelden, diverse Orte. Do, 4. Juni 2015, bis So, 14. Juni 2015. 
Genaues Programm siehe www.wildwuchs.ch.

Florian Keller

Konzert

Nomkhosi

«Eine gute Bar schenkt ihrem Gast Zeit – Zeit, sein Spiel zu spielen, sein Lied zu singen oder einfach nichts zu tun.» Das schrieb der Oltener Schriftsteller Alex Capus vor einem Jahr in einem Artikel im «Magazin». Und er weiss, wovon er spricht. Denn seit Ende 2013 ist er auch Barbesitzer und Barkeeper. Damals wurde die Galicia Bar in Olten neu eröffnet – eine Bar, die 1969 ursprünglich als Vereinslokal galizischer Fabrik- und Bauarbeiter gegründet worden war. Wie damals gibt es auch heute noch einen zweiten Raum, in dem Konzerte, Theaterabende und Tanzveranstaltungen organisiert und gemeinsam «Tatort» oder Fussballspiele geschaut werden.

Jetzt tritt dort die südafrikanische Sängerin Nomkhosi mit ihrer sechsköpfigen Band auf. Die 1975 in Mandeni geborene Musikerin lebt seit mehreren Jahren in der Schweiz und tritt mit südafrikanischen Balladen und selbst komponierten Stücken auf. Hoffentlich wird sie in der Galicia Bar viel Zeit bekommen, ihre Lieder zu singen.

Nomkhosi in: Olten Galicia Bar, 
Fr, 6. Juni 2015, 21.30 Uhr. www.galiciabar.ch

Silvia Süess