Wikileaks: Die Angst, für immer in einem Geheimgefängnis zu verschwinden

Nr. 24 –

Die Whistleblowerin Chelsea Manning, die als Bradley Manning bekannt wurde, sitzt seit fünf Jahren im Gefängnis. Hier berichtet die heute 27-Jährige über ihre Haft.

Seit ich in Militärhaft bin, sind schon fünf Jahre vergangen – eine unglaublich lange Zeit, geprägt von vielen Höhen und Tiefen. Eine Zeit, die sich emotional und körperlich wie eine Achterbahnfahrt anfühlt.

In den ersten Wochen des Jahres 2010 fing alles an. Ich entschied mich, der Öffentlichkeit ein Archiv voller geheimer und «sensibler» Dokumente zugänglich zu machen, die einen Überblick über die Einsätze der US-Armee im Irak und in Afghanistan lieferten. Diese Entscheidung sollte mein Leben verändern.

Ich begriff, wie wichtig die Dokumente für die Weltöffentlichkeit waren: Für das Verständnis der beiden miteinander verflochtenen Militäroperationen im Irak und in Afghanistan waren die sogenannten Kriegstagebücher unverzichtbar. Einen solch ganzheitlichen Überblick über die chaotische moderne Kriegsführung hatte es zuvor wohl nie gegeben. Man musste nur verstehen, dass die Koordinaten in den Aufzeichnungen tatsächlichen Orten entsprechen, dass hinter den Zahlen reale Menschenleben voller Liebe, Hoffnung, Angst oder Hass standen. Dann – so glaubte ich – könnte man nicht anders, als solche Tragödien zu verstehen und sie in Zukunft zu vermeiden.

Monatelang hatte ich Tausende geheimer DiplomatInnendepeschen studiert. Dann entschloss ich mich, die Dokumente über Wikileaks zu veröffentlichen. Ich hatte so viel über den sogenannten weltweiten Krieg gegen den Terror oder die systematische Ausbeutung der Entwicklungsländer gelesen – und glaubte, dass die Informationen an die Öffentlichkeit gehörten.

Welche Konsequenzen mein Handeln haben könnte, war mir damals nicht bewusst. Ich war zwar auf das Schlimmste vorbereitet – was dies genau bedeuten würde, war mir aber nicht klar. Ich wusste lediglich, dass man jeden Moment meines Lebens, meine persönlichen Schwächen und Verfehlungen ausleuchten und diese im Gerichtssaal der öffentlichen Wahrnehmung gegen mich persönlich oder die Transgendergemeinde verwenden würde.

Angst und Suizidgedanken

Nach meiner Festnahme im Irak brachten mich zwei Soldaten aus meiner Einheit zuerst per Helikopter nach Bagdad und dann mit einer Frachtmaschine nach Kuwait. Erst dort fühlte ich mich auch tatsächlich als Gefangener. Als die Öffentlichkeit in den darauffolgenden Tagen von meinem Schicksal erfuhr, wurde dieses Gefühl immer schlimmer.

Eine Woche später verlegte man mich an einen Ort, der einem Käfig gleichkam und sich in einem grossen Zelt befand. Ich verbrachte dort mehrere Wochen, nicht wissend, was genau mir vorgeworfen wird. Ich konnte nur selten mit meinem Anwalt sprechen, bekam nichts vom medialen Gewitter mit, das draussen aufzog. Ich litt an Depressionen und hatte Angst, für immer in einem Geheimgefängnis mitten in der Wüste zu verschwinden. Ich befürchtete, niemals eine öffentliche Verhandlung zu bekommen.

Später erzählten mir ein paar Gefängniswärter, dass ich für eine Anhörung auf einen US-Kreuzer vor dem Horn von Afrika oder nach Guantánamo gebracht werden sollte. Gegen meine Angst half diese Information nicht. Irgendwann – an meinem persönlichen Tiefpunkt angelangt – wollte ich mich selbst kastrieren. Und ich versuchte sogar, mich mit einer Bettdecke zu erwürgen. Als man mich dabei erwischte, wurde ich in Kuwait unter Beobachtung gestellt.

Später brachte man mich zum US-Marinestützpunkt in Quantico, Virginia. Ich wurde auf einem Armeeschiff eingesperrt – eine überaus schwierige Zeit, die sich unendlich lang anfühlte. Zuerst durfte ich nichts in meiner Zelle haben, weder Zahnbürste, Seife oder Toilettenpapier noch Bücher. Manchmal durfte ich nicht einmal meine Brille aufsetzen. Später erlaubte man mir, die Gegenstände unter strenger Beobachtung zu benutzen. Obwohl mehrere PsychologInnen mir bescheinigten, dass ich nicht selbstmordgefährdet war, musste ich nachts meine Kleidung abgeben und stattdessen einen rissfesten Einteiler tragen.

Irgendwann gab es wegen meiner Haftbedingungen einen öffentlichen Aufschrei, der damalige Sprecher des Aussenministeriums musste zurücktreten. Schliesslich brachte man mich ins Militärgefängnis – der bisherige Höhepunkt meiner Zeit in Haft: Nach einem Jahr unter ständiger Beobachtung konnte ich mich endlich frei bewegen und mit anderen Gefangenen kommunizieren.

«Verräter» und «Staatsfeind»

Dann wurde ich wegen «Kollaboration mit dem Feind» sowie mehrerer anderer Punkte angeklagt, fast zwei Jahre voller Anhörungen folgten. Mir wurde klar, dass die US-Regierung bereit war, einiges in meine strafrechtliche Verfolgung zu investieren: einen Haufen Geld, Unmengen bedrucktes Papier und viele Anwältinnen und Experten.

Ich konnte beobachten, wie mich die StaatsanwältInnen im Gerichtssaal als «Verräter» und «Staatsfeind» denunzierten – um mich ausserhalb des Gerichtssaals dann freundlichst zu grüssen. Sie waren anständige Menschen, die lediglich ihre Arbeit machten. Ich bin davon überzeugt, dass sie selbst nicht an die Vorwürfe glaubten, die sie gegen mich erhoben. Nicht einmal in dem Moment, in dem sie diese aussprachen.

Das Strafmass war schwer vorherzusagen, meinen VerteidigerInnen bereitete vor allem der Kollaborationsvorwurf Kopfschmerzen. Die Strafe hätte alles sein können – von der bereits in Haft verbrachten Zeit bis zu lebenslanger Haft ohne die Möglichkeit, vorzeitig entlassen zu werden. Als die Richterin meine 35-jährige Haftstrafe bekannt gab, musste ich meine AnwältInnen trösten. Nach Jahren harter Arbeit sahen sie abgekämpft und entmutigt aus. Für uns alle markierte die Urteilsverkündung einen Tiefpunkt.

Am 22. August 2013, einen Tag nach der Urteilsverkündung und nachdem ich mich jahrelang versteckt hatte, gab ich endlich bekannt, meinen Namen zu ändern und von da an als Frau leben zu wollen. Zuerst lehnte das Militär meinen Antrag jedoch ab. Wie bereits während der Zeit in Quantico und vor dem Militärgericht unterzog man mich einem mühsamen und zeitintensiven juristischen Prozess. Vor vier Monaten dann, fast eineinhalb Jahre nach meiner Anfrage, durfte ich endlich mit der nötigen Hormonbehandlung beginnen. Zwar muss ich für manche Rechte immer noch kämpfen, doch die Geschlechtsumwandlung ist einer der Höhepunkte meines gesamten Lebens.

Es ist manchmal immer noch schwer, mir aus allem, was mir zugestossen ist, einen Reim zu machen. Die einzige Konstante war für mich dabei die Unterstützung von FreundInnen, Familie und Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Trotz Einzelhaft, langen juristischen Kämpfen und der biologischen Umwandlung zur Frau, die ich schon immer gewesen bin, habe ich nicht nur überlebt. Ich habe es auch geschafft, über mich hinauszuwachsen und zu einem besseren und selbstbewussteren Menschen zu werden.

Aus dem Englischen von Anna Jikhareva.

Die heute 27-jährige Whistleblowerin Chelsea Manning war vor ihrer Geschlechtsumwandlung als Bradley Manning bekannt. Der vorliegende Text ist am 27. Mai 2015 erstmals auf der Website des britischen «Guardian» erschienen.