Sparen im Kanton Basel-Stadt: Schwimmen in einem Becken mit zu wenig Wasser

Nr. 28 –

LehrerInnen, Pflegepersonal, PolizistInnen: Im rot-grün regierten Kanton Basel-Stadt bezahlen ausgerechnet jene staatlichen Angestellten die grösste Zeche, die bereits heute unter grossem Druck stehen. Auch das Sozialwesen gerät unter Spardruck.

Demonstration gegen das Sparpaket der baselstädtischen Regierung am 15. April. Foto: Hans-Jörg Walter

Basel-Stadt bildet keine Ausnahme im Sparreigen der Kantone. Doch im traditionell rot-grün regierten Stadtkanton haben die Pläne der Regierung für besonders heisse Köpfe gesorgt. Über tausend Staatsangestellte protestierten diesen Frühling auf dem Basler Marktplatz gegen die Sparmassnahmen, die von der Regierung im Februar beschlossen worden waren. Das Pikante dabei: Der Stadtkanton schrieb 2014 zum zehnten Mal in Folge schwarze Zahlen. Mit 180 Millionen Franken fiel der Überschuss gar weit höher als erwartet aus.

Statt Gelassenheit herrscht nun aber auch in Basel Sparalarm. 70 Millionen Franken sollen in Basel-Stadt mittelfristig weniger ausgegeben werden. «Strukturelle Defizite» lautet auch hier die gut klingende Sparbegründung. Pikant ist weiter: Das prognostizierte Finanzloch resultiert zum Grossteil aus der Unternehmenssteuerreform II, die der damalige Bundesrat Hans-Rudolf Merz zwischen 2008 und 2011 nach und nach eingeführt hat. Die Zeche für die Steuergeschenke an GrossaktionärInnen bezahlen nun Staatsangestellte, Kulturschaffende und sozial Benachteiligte. Dabei setzt die baselstädtische Regierung den Rotstift in allen Direktionen an. Das gesamte Staatspersonal muss Lohnkürzungen in Kauf nehmen. Während sich die Sparmassnahmen bei den einen auf die Abwälzung der Nichtberufsunfallversicherung und die Kürzung des Dienstaltergeschenks beschränkt, trifft es andere Kantonsangestellte weitaus härter.

«Nun zieht man uns den Stöpsel»

Bei den Protesten vom Frühling bildeten die LehrerInnen die Mehrheit. Jean-Michel Héritier, Sekretär der Freiwilligen Schulsynode Basel-Stadt, bringt die Empörung auf den Punkt: «Man verlangt von uns, dass wir in einem Becken mit zu wenig Wasser schwimmen», sagt er – und spielt damit auf das integrative Schulmodell an, das auch im Kanton Basel-Stadt das Lehrpersonal vor grosse Herausforderungen stellt. Seit sechs Jahren gilt in Basel auf Sekundarstufe: möglichst viel Inklusion leistungsschwacher SchülerInnen in den Regelklassen, möglichst wenig Sonderschulklassen. Vor drei Jahren hielt das Modell auch in den Basler Primarschulen Einzug. Klein-, Einführungs- und Fremdsprachenklassen wurden dort schrittweise abgeschafft. Das Unterrichten wird dadurch immer komplizierter. «Und nun», so Héritier, «zieht man uns den Stöpsel.»

Basel-Stadt spart bei den LehrerInnen überproportional. Zusätzlich zu den vergleichsweise massvollen Sparmassnahmen, die alle staatlichen Angestellten treffen, werden bei der Bildung mit Abstand am meisten Stellen gestrichen: 30,8 der insgesamt 40,9 Vollzeitstellen, die der Kanton einsparen will, betreffen das Schulwesen. Abgeschafft wird etwa die Krisenintervention in den Tagesstrukturen. Zudem wird auf allen Stufen die Klassengrösse angehoben. Für Jean-Michel Héritier sind die Massnahmen ein Affront: «Wir sind schon heute am Limit», sagt er. So sei es bereits jetzt schwierig, ausgebildete Heilpädagoginnen oder Logopäden für die Integrationsarbeit an Regelschulen zu finden, was auch an der mangelnden Attraktivität dieser Berufe liege: «In einer Heimschule bist du als Sozialpädagoge relativ autonom, an einer Regelschule hingegen mehr von den anderen Lehrpersonen abhängig. Wir müssen deshalb oft auf Vorpraktikantinnen ausweichen, die ihre Ausbildung erst beginnen werden.»

Für LehrerInnen, sagt Héritier, sei der Schulalltag heutzutage eine Förderstafette: «Sie müssen mit ihren Schülerinnen und Schülern von Angebot zu Angebot eilen und dabei alles irgendwie unter einen Hut bringen.» Vor diesem Hintergrund die SchülerInnenzahlen anheben zu wollen, sei kaum nachvollziehbar.

Mehr PatientInnen, weniger Zeit

Stress und grosse Belastungen kennt auch das Pflegepersonal. An vorderster Front für dessen Rechte kämpft Isabelle Stocker, Pflegefachfrau, Berufsbildnerin und ehemalige Präsidentin der Basler Gewerkschaft für den öffentlichen Dienst (VPOD Basel). Während das Erziehungsdepartement 12,5 der insgesamt 70 Millionen Franken sparen soll, sind es im Gesundheitsdepartement gar 15,3 Millionen. Betroffen sind die gemeinwirtschaftlichen Leistungen, die der Kanton für die Betreuung von LangzeitpatientInnen und an die universitäre Lehre und Forschung des Unispitals bezahlt. Sie sollen künftig über die Krankenkasse abgerechnet werden. Das sei mehr Kostenverlagerung als Sparübung, sagt die Regierung: Schliesslich zahle man künftig zwar weniger direkte Beiträge ans Spital – dafür aber mehr über die Fallpauschale: Die Krankenkasse bezahlt 45 Prozent, der Kanton 55. Einen Spareffekt gibt es für den Kanton aber durchaus – muss er doch künftig nicht mehr für die steigende Anzahl der LangzeitpatientInnen aus anderen Kantonen aufkommen.

Stocker hält denn auch nichts von der regierungsrätlichen Beteuerung, die Massnahmen wirkten sich nicht auf das Pflegepersonal aus. Würden auch die gemeinwirtschaftlichen Leistungen über eine Fallpauschale abgerechnet, steige der Effizienzdruck weiter, sagt sie. Die Rechnung sei relativ simpel: «Was auf der Einnahmenseite eingespart wird, muss auf der Ausgabenseite wieder hereingeholt werden. Und das geht nur mit mehr Patienten in kürzerer Zeit.» Die Betreuung von Menschen komme so immer noch mehr unter den Druck, «rentieren zu müssen und noch mehr Gewinn abzuwerfen».

Die Auswirkungen bekommt Stocker bereits heute zu spüren. Der Systemwechsel im Jahr 2012 von der Abgeltung der Spitalaufenthaltstage zur Fallpauschale, die aufgrund einer Diagnose berechnet wird, habe den Druck auf die PflegerInnen noch einmal enorm erhöht. Das Personal sei bereits jetzt «extrem hart an der Grenze», sagt Stocker. «Wir müssen immer öfter auch nachts Therapien anbieten, um alles im geforderten Zeitraum zu schaffen.» Die Fluktuation beim Pflegepersonal sei entsprechend hoch. «Die Pflegeteams müssen dauernd neue Mitarbeiter einarbeiten – was für weiteren Stress sorgt. Selbst Zwanzig-, Dreissigjährige wollen wegen der hohen Belastung nicht mehr Vollzeit arbeiten. Das muss uns doch zu denken geben.»

Mit Nachwuchsproblemen hat auch die Polizei zu kämpfen. Ihre Anliegen vertritt mit André Auderset, Grossrat der Liberal-Demokratischen Partei (LDP), ein Bürgerlicher. Wütend macht die PolizistInnen in erster Linie, dass die Regierung parallel zum Sparpaket einen Zustupf gestrichen hat: die Arbeitsmarktzulage. Vor fünfzehn Jahren wurde diese in Basel-Stadt eingeführt – um der damals hohen Abwanderungsquote des Personals in die umliegenden Kantone entgegenzuwirken. 300 bis 400 Franken höher, so hatte eine Studie gezeigt, sind die Polizistenlöhne im Basler Umland. 200 bis 300 Franken immerhin betrug die Marktzulage. Zusammen mit der Abwälzung der Nichtberufsunfallversicherung auf die staatlichen Angestellten käme ein Polizist auf monatlich rund 600 Franken weniger Lohn. «Das spürt ein Familienvater im Portemonnaie», sagt Auderset, der gravierende Folgen befürchtet. Der Kanton Baselland habe «verdächtig zeitgleich mit den Beschlüssen» einen seiner zwei Polizeiausbildungskurse gestrichen, sagt er. Die basellandschaftliche Regierung habe die Abgänge aus dem Stadtkanton offenbar bereits in ihre Planung einberechnet. «Es kann aber doch nicht sein», so Auderset, «dass wir die Ausbildungsarbeit leisten und die anderen Kantone davon profitieren.»

Ob Lehrer, Pflegefachleute oder Polizistinnen: Den Angestellten des öffentlichen Dienstes bleibt nur der Protest – und die Hoffnung auf erfolgreiche Verhandlungen mit der Regierung: Der grösste Teil der Sparmassnahmen liegt in deren Kompetenz. Nur vier Sparmassnahmen bedürfen der Zustimmung des baselstädtischen Grossen Rats (vgl. «Kürzung bachab geschickt» im Anschluss an diesen Text).

Die Liste an sogenannten «Entlastungsmassnahmen» ist lang. Protestiert wird nicht nur gegen Lohn- und Personalentscheide, sondern auch gegen Kürzungen, die auf den ersten Blick nebensächlich anmuten. So etwa gegen die Abschaffung der Wintersport-Materialzentrale, die SchülerInnen aus finanzschwachen Familien bislang die Teilnahme am Lager ermöglichte – oder gegen die Streichung des Gleichstellungspreises.

Rückschritt in der Behindertenpolitik

Drastisch geht die Kantonsregierung auch bei der Behindertengleichstellung vor: Die dafür zuständige Fachstelle wird gleich ganz abgeschafft. In Basel-Stadt sei die Gleichstellung weitgehend erreicht, begründet die Regierung ihren Entscheid. Die Anliegen der Behinderten seien inzwischen in den zuständigen Departementen angekommen, eine Fachstelle sei daher nicht mehr nötig.

Die Streichung ist auf mehreren Ebenen fragwürdig – zuallererst, weil die Fachstelle aus nur einer Person besteht. Kostenpunkt: 160 000 Franken pro Jahr. Für diesen mickrigen Spareffekt gibt Basel-Stadt seine Vorreiterrolle in der Behindertengleichstellung auf: Als der Kanton 2003 seine Fachstelle schuf, war er damit allein auf weiter Flur. Die Städte Zürich und Bern haben inzwischen nach dem Vorbild des einst progressiven Stadtkantons ebenfalls Gleichstellungsfachstellen geschaffen.

Die Kehrtwende leitet Basel-Stadt zu einem denkbar schlechten Zeitpunkt ein: Vor gerade einmal einem Jahr hat die Schweiz die EU-Behindertenrechtskonvention ratifiziert. Diese verpflichtet nicht nur den Bund, sondern ausdrücklich auch die Kantone und Gemeinden, Anlaufstellen für die Anliegen behinderter Menschen zu schaffen. «Was die Gleichstellung von Behinderten betrifft, stehen wir erst am Anfang», gab Bundesrat Alain Berset nach der Ratifizierung zu Protokoll.

Für Marc Moser, Pressesprecher des nationalen Behindertenverbands Integration Handicap, ist der Entscheid aus Basel deshalb «ein völlig unverständliches und falsches Signal». Die europaweit angestrebte «inklusive Gesellschaft» sei schliesslich auch in der Schweiz noch längst nicht erreicht, hält Moser fest. «Wir haben etwa den Auftrag, Kinder und Jugendliche mit einer autistischen Störung in die Regelklassen zu integrieren – um nur ein Beispiel zu nennen.» Dazu komme die grosse Herausforderung, die die Zunahme von psychischen Erkrankungen für die Gesellschaft darstellt. «Und vergessen wir nicht die Behinderungen, die mit der zunehmenden Überalterung einhergehen.»

Das Behindertenforum Basel hat eine Petition mit 7500 Unterschriften für den Erhalt der Gleichstellungsfachstelle eingereicht. «Gleichstellungsarbeit ist eine Daueraufgabe», sagt Geschäftsführer Georg Mattmüller. «Das gilt nicht nur für die Gender-, sondern auch für die Behindertenthematik.» Mattmüller spricht aus, was Fachstellenleiter Martin Haug nicht öffentlich sagen darf: Das Präsidialdepartement hat dem Gleichstellungsbeauftragten einen Maulkorb verpasst.

Kürzung bachab

Lediglich vier Massnahmen des baselstädtischen Sparpakets bedürfen einer Gesetzesänderung – und damit der Zustimmung des Grossen Rats. Am vehementesten bekämpften die linken Parteien die Kürzung der kantonalen Beihilfen zu den Ergänzungsleistungen der AHV und IV – mit Erfolg: Der Grosse Rat hat die geplanten Sparmassnahmen auf dem Buckel der Ärmsten bachab geschickt. Er folgte damit der Empfehlung der vorberatenden Kommission. Rund 4,7 Millionen Franken hätte die Basler Regierung mit der Kürzung der Beihilfen sparen wollen. Die einzelne AHV- oder IV-Bezügerin hätte monatlich nur noch 34 statt 84 Kantonsfranken erhalten. «Wird gespart, kommen die Beihilfen immer auf den Tisch», sagt Tonja Zürcher von der baselstädtischen Linkspartei Basta!. «Wir haben nun aber schon zum dritten Mal verhindert, dass Basel-Stadt bei den Bedürftigsten spart.»

Rund 15 Sparmillionen werden in Basel-Stadt insgesamt vom Parlament verhandelt. Diskussionslos verabschiedet wurde die Streichung der Kantonsbeiträge an die Betreuung in der Familie. «Diese waren auch aus linker Sicht familienpolitisch fragwürdig», sagt Zürcher. Erst nach den Ferien berät das Parlament über die allgemeinen Massnahmen beim Personal. Chancen hat laut Zürcher ein Nein zur Reduktion des Dienstaltergeschenks. Bei der Nichtberufsunfallversicherung hingegen stehen die Staatsangestellten heute weit besser da als in der Privatwirtschaft. «Warum das so bleiben sollte», so Zürcher, «wird schwer zu vermitteln sein.»