Theater: Wenn der Beruf als Hobby abgetan wird

Nr. 28 –

Was heisst denn «richtige Arbeit»? Vijayan Pakkiyanathan, ein erfolgreicher Zürcher Regisseur, soll sich einen Job in einem Restaurant suchen, findet die Sozialbehörde. Denn nur von seinem Experi-Theater kann er nicht leben, trotz Fördergeldern.

Theaterregisseur Vijayan Pakkiyanathan: «Der letzte Vorschlag der Sozialarbeiterin lautete, mir eine Stelle in einem Restaurant zu suchen. Das sei für Tamilen leicht zu finden.»

Diese Geschichte spielt in einer Stadt der Kunst und Kultur. Einer Stadt, die sich gern als intellektuelles Zentrum des Landes sieht. Einer Stadt, in der MigrantInnen ihre «Integration» ernst nehmen müssen. Jene in die Schweizer Gesellschaft, jene in den Arbeitsmarkt.

Die Stadt ist Zürich, und hier lebt Vijayashanthan Pakkiyanathan. Vijayan – wie sich der Vierzigjährige der Einfachheit halber nennt – stammt aus Sri Lanka. Er ist Journalist, Menschenrechts- und Friedensaktivist, Entwicklungshelfer, Förderer des Dialogs zwischen den Kulturen und Sprachen. Und schliesslich Flüchtling. Das Wichtigste in seinem Leben aber, der rote Faden, der sich durch alles hindurchzieht, ist das improvisierte und experimentelle Theater.

Pakkiyanathan ist Gründer, Leiter und Regisseur des Experi-Theaters. Im Juni führte er sein drittes Projekt in mehreren Schweizer Städten auf: «Gesichter» ist ein experimentelles Stück über Migration, Sprache und Gesellschaft. Die KünstlerInnen sind hauptsächlich MigrantInnen, das Thema, im weitesten Sinn, Integration.

«Ein engagierter Theaterschaffender»

Vijayan Pakkiyanathan macht beim Experi-Theater alles selber. Er schreibt die Stücke, engagiert PerformerInnen, führt Regie, organisiert die Tournee, besorgt Geld. Insgesamt hat er für «Gesichter» 58 500 Franken Fördergelder erhalten. Nach Abzug der Löhne für die zwölf SchauspielerInnen und TechnikerInnen kann er sich sogar einen kleinen Lohn auszahlen: 1600 Franken im Monat.

«Gesichter» wurde von öffentlichen Stellen mitfinanziert, wie bereits frühere Projekte des Experi-Theaters. «Die Theatersachverständigen der kantonalen Kulturförderungskommission haben in ihrer Begründung vor allem den interkulturellen Ansatz der Inszenierungen hervorgestrichen», sagt Sabina Brunnschweiler, bei der Fachstelle Kultur des Kantons Zürich zuständig für den Bereich Theater. Auch Peter Haerle, Direktor der Dienstabteilung Kultur der Stadt Zürich, meint: «Pakkiyanathan wird als sehr engagierter, umtriebiger Theaterschaffender wahrgenommen. Einerseits produziert er an traditionellen Spielstätten, anderseits aber auch an Orten, die er neu erschliesst – beispielsweise Brockenhäuser oder Friedhöfe. Als Regisseur lässt er eine grosse Dringlichkeit und fundiertes theaterspezifisches Wissen erkennen.»

Während sein Schaffen also von der einen offiziellen Seite als unterstützungswürdig und professionell wahrgenommen wird, sieht es die Zürcher Sozialbehörde anders: Vijayan Pakkiyanathans Engagement im Theater sei keine Arbeit, sondern ein Hobby. Und zwar eines, das er aufgeben müsse. Er solle sich um eine «richtige Stelle» bemühen und ein Arbeitsintegrationsprogramm besuchen, meinen die SozialarbeiterInnen. Die Familie bekommt ergänzende Sozialhilfeleistungen von 3600 Franken. Ohne die kämen er, seine Partnerin, die soeben ihr Masterstudium in Internationalen Beziehungen abgeschlossen hat, sowie die neunjährigen Zwillinge nicht durch.

Verfolgt, verschleppt, geflüchtet

Vijayan Pakkiyanathans Interesse am Theater wird in jungen Jahren geweckt. Er wächst in Tricomalee im tamilischen Norden von Sri Lanka auf, spielt schon während der Schule Theater. Während seines Journalismus- und Menschenrechtsstudiums in Colombo schreibt er Artikel und politische Essays und arbeitet als Rechercheur für eine Nichtregierungsorganisation. Er wird zum Friedensaktivisten, überzeugt, dass der Dialog zwischen den Ethnien gefördert werden muss. Über das Theater beispielsweise: Er schliesst sich einer experimentellen, ethnisch gemischten und politischen Theatergruppe an und liest ausgiebig Theatertheorie. «Wir trafen uns einmal im Monat zu schnellen improvisierten Performances vor Publikum. Danach diskutierten wir ausgiebig über Politik, Nationalismus, den Konflikt. Solche Diskussionen waren im Krieg fast nur im Theater möglich», erzählt er.

Nicht allen gefällt das. Ein Tamile, der mit Singhalesen und Muslimen arbeitet, ein Journalist, der ihre Politik kritisiert, kommt bei den Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) schlecht an. Als Pakkiyanathan nach dem Waffenstillstand 2002 im Stück einer tamilischen Exilregisseurin seine erste grosse Sprechtheaterrolle bekommt, verschärft sich die Situation. «Es war ein sehr starkes politisches Stück über die Rolle tamilischer Frauen in der Gesellschaft und im Krieg», erzählt er. Er wird von der LTTE bedroht, taucht einige Monate unter und flüchtet nach Indien. Seine Partnerin, eine Schauspielerin, kann nicht mitgehen. Deswegen zieht es ihn wieder nach Colombo. Drei weitere Male wiederholt sich das – mittlerweile ist er Vater zweier Kinder.

Im Mai 2007 – inzwischen sind auch Druckversuche von regierungsnahen Kreisen dazugekommen – verlässt Pakkiyanathan wochenlang sein Haus in Colombo nicht, er wird depressiv. Beim ersten Ausflug an die frische Luft fährt ein Kleinbus auf ihn zu, Männer drücken ihm ein Tuch mit Äther aufs Gesicht und verschleppen ihn in den Norden. «Mir war klar, dass ich jetzt sterbe. Aber mitten in der Nacht hat mich einer geweckt. Gesagt, ich soll über den Zaun und rennen. Im Mondlicht habe ich gesehen, dass es ein früherer Schulkollege von mir war. Trotzdem dachte ich bis zuletzt, es sei ein Trick, um mich bei der Flucht zu erschiessen», erzählt er. Als er auf der Ladefläche eines Tabaklasters versteckt nach Colombo fährt, entscheidet er, endgültig zu flüchten. Die Familie bittet um Schweizer Botschaftsasyl und kann einreisen. Zuerst lebt sie in den Asylzentren Regensdorf und Wädenswil, später in einer eigenen Wohnung in der Stadt Zürich. Inzwischen haben alle eine Niederlassungsbewilligung und fühlen sich wohl in der Schweiz.

Für Vijayan Pakkiyanathan hat das viel mit seiner Arbeit fürs Theater zu tun. Doch für die Behörden reicht das nicht. Der Mann, der nur einen Monat nach seiner Ankunft in der Schweiz Teil des interkulturellen Maxim-Theaters wurde, der später ein Theater gründete, dessen Stücke durchgängig als förderungswürdig angesehen werden, der auch mit anderen Theatergruppen arbeitet, kann das Amt nicht zufriedenstellen. Sie verlangen, dass er seine selbstständige Tätigkeit als Theaterleiter ganz aufgibt. Beatrice Henes, Leiterin Kommunikation der Sozialen Dienste Zürich, kann zu Pakkiyanathans Situation nur allgemein Stellung nehmen: «Das oberste Ziel der Sozialhilfe ist es, dass die betroffenen Personen so rasch wie möglich finanziell wieder auf eigenen Beinen stehen können.» Das gelte für alle arbeitsfähigen KlientInnen, auch für solche, die bereits ein Bein im ersten Arbeitsmarkt hätten, und zwar unabhängig davon, ob sie im Kunstbereich tätig seien oder in einem anderen Tieflohnjob. «Natürlich versuchen die Stellenvermittler, die Klientinnen und Klienten in Bereiche zu vermitteln, die sie interessieren und wo sie Stärken haben. Das ist leider nicht immer möglich.»

In die Küche statt ins Theater

Pakkiyanathan wehrte sich vergeblich gegen den Besuch der «Basisbeschäftigung», einem Programm zur Arbeitsintegration. Schliesslich besuchte er die vorgesehene «Integrationsmassnahme» in der Holzverarbeitung und fertigte Bienenrahmen. Und zwar gut: «Grosser Durchhaltewillen, anhaltende Konstanz, sehr gute Qualität, angenehm, freundlich, kooperativ», heisst es in seiner Schlussbeurteilung des Programms. Jetzt ist er bei der Stellenvermittlung, das Ziel der Sozialbehörde ist weiterhin ein Branchenwechsel, das Experi-Theater würde diesen allerdings nicht überleben. «Der letzte Vorschlag der Sozialarbeiterin lautete, mir eine Stelle in einem Restaurant zu suchen. Das sei für Tamilen leicht zu finden», erzählt Vijayan Pakkiyanathan schulterzuckend.

Diese Geschichte spielt in einer Stadt, die sich nicht nur ihrer Kulturbeflissenheit rühmt, sondern auch ihrer internationalen Gastronomie. Und in einer Stadt, in der die Leute eben wissen müssen, wo sie hingehören.