30 Jahre Experimente, Recherchen und Geschichten, die Geschichte schrieben

Nr. 29 –

Illustration: Marcel Bamert

«Die Antwort kommt zögernd. Es sind Leute, die nicht oft gefragt werden.» Alexander 
Grass hat mit ihnen geredet und beginnt damit seine Reportage über die ArbeiterInnen 
von Mariveles. Darin steckt alles, was der Recherchierfonds je wollte und noch will: 
einen Journalismus fördern, der tief gräbt, rausgeht und den Menschen zuhört.

Vor über dreissig Jahren darbte die WOZ. Sie hätte nicht überlebt, wenn nicht 1984 der Förderverein ProWOZ gegründet worden wäre. Er sammelte Geld und steht der Zeitung seither finanziell bei.

1985 richtete der Förderverein ProWOZ den Recherchierfonds ein. Mit dem Fonds sollten aufwendige Geschichten, die sich die WOZ alleine nie hätte leisten können, finanziert werden. Die brillante Reportage von Alexander Grass – der damals unter dem Namen Urs Zwicky schrieb – über die Slums der philippinischen ArbeiterInnenstadt war der erste Beitrag, 
der dank Recherchierfondsgelder zustande kam. Der Förderverein agiert unabhängig von 
der WOZ, doch sitzen jeweils zwei WOZ-MacherInnen im Vorstand. Jeder und jede kann Mitglied des Vereins werden und auch gezielt den Recherchierfonds unterstützen.

Auch wenn der Förderverein der Redaktion nicht dreinreden darf, ist er kein Klub 
von StatistInnen. Alle AutorInnen, die Geld vom Recherchierfonds möchten, müssen 
ihre Rechercheprojekte vom ProWOZ-Vorstand bewilligen lassen. Das bringt Qualität 
und Feedback. Und es garantiert, dass die Gelder nicht in halbgaren Projekten versickern.

Der Förderverein propagierte in den ersten Jahren das Patenschaftsmodell und rechnete vor: Wenn 300 LeserInnen eine Patenschaft von 20 Franken pro Monat übernehmen würden, «so kommen 70 000 Franken jährlich zusammen. Damit könnte die WOZ ernsthaft arbeiten, damit könnte sie mehr von jenen Informationen und Geschichten bringen, die Sie von der WOZ erwarten.»

Das Patenschaftsmodell gibt es zwar nicht mehr, doch der Fonds ist bis heute erfolgreich und unterstützt Recherchen mit insgesamt etwa 50 000 Franken pro Jahr.

Das vorliegende Heft ist auch ein Dank an die SpenderInnen, die es möglich gemacht haben, dass über die Jahre so viele grossartige Geschichten entstehen konnten. Eine Auswahl davon ist in diesem Heft nachgedruckt. Es sind Geschichten, die Geschichte gemacht haben, wie Stefan Kellers Recherche über den St. Galler Flüchtlingshelfer Paul Grüninger. Oder Geschichten, die mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet wurden, wie zum 
Beispiel Fredi Lerchs Nachforschungen über eine Mordserie in der Drogenszene am Letten.

Es sind Geschichten aus drei Jahrzehnten quer durchs Leben und durch alle Kontinente. Eine einzige Geschichte ist drin, die nicht vom Recherchierfonds gesponsert wurde, es aber verdient hätte: Marie-Josée Kuhns grandioses Porträt des Guetzlimagnaten Oscar A. Kambly und sein seltsames Verständnis von Frauenförderung. In den Anfängen wurde der Recherchierfonds vor allem genutzt, um kostspielige Auslandsrecherchen mitzufinanzieren. Artikel, die sich mit Schweizer Themen beschäftigten und ebenfalls aufwendig recherchiert waren, wurden hingegen nur selten gefördert.

Das hat sich gewandelt. Der Recherchierfonds bemüht sich heute explizit darum, Recherchen in der Nähe zu unterstützen, indem er Recherchezeit und nicht nur Spesen 
finanziert.

Die WOZ würde heute ohne den ProWOZ nicht untergehen, aber sie würde an Qualität einbüssen. Der ProWOZ wie sein Recherchierfonds erlauben es, dosiert zu experimentieren. Recherchen dürfen auch einmal ins Leere führen. Gutes entsteht nur, wenn man sich das Scheitern leisten kann.

Denken und Schreiben können nicht auf Effizienz getrimmt werden, auch wenn die grossen, gewinnorientierten Verlage das glauben machen wollen und damit den Niedergang des Journalismus vorantreiben. Guter Journalismus kostet. Der Förderverein hat das schon 
vor dreissig Jahren erkannt und mit dem Recherchierfonds das Modell der Zukunft geschaffen.

Noch eine Anmerkung zu den ausgewählten Beiträgen: Sie sind zwar neu gelayoutet, inhaltlich aber in ihrer ursprünglichen Form nachgedruckt, so wie sie einst in der Zeitung standen, mit allen Eigenwilligkeiten.

Viel Spass beim Lesen und Wiederentdecken!

Susan Boos

Redaktionsleitung WOZ