Linke Medien: Ausgestorbene Arten

Nr. 29 –

Linke Blätter in der Schweiz haben es schwer. Aber es gibt auch erfolgreiche Neugründungen – sogar gedruckt.

Illustration: Marcel Bamert

Der Schweizer Pressewald war einst schön bunt. Da gab es das «Rote Einhorn», den «Steibock» und den «Roten Bären» neben dem «Kolibri», dem «Maiglöggli» oder dem «Maulwurf». Sie alle sind ausgestorben. Kaum mehr jemand kann sich erinnern, dass es sie gab.

Eine umfassende Geschichte der linken und alternativen Medien der Schweiz ist noch nicht geschrieben. Doch wo überhaupt beginnen? Bei der «Appenzeller Zeitung» vielleicht? Im Jahr 1828 vom Arzt Johannes Meyer gegründet, schrieb sie mutig gegen die Zensur an und kämpfte für mehr Demokratie. Erst 1848 wurde die Pressefreiheit in der Verfassung verankert.

Die erste linke Presse

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gründeten Gewerkschaften und SozialdemokratInnen landauf, landab Tageszeitungen. Sie trugen selbstbewusste Titel wie «Volksrecht» (Zürich), «Volksstimme» (St. Gallen), «Tagwacht» (Bern), «Freier Aargauer» oder «Das Volk» (Olten). Damals war es noch üblich, dass man in eine Partei hineingeboren wurde und mit dem Parteiblatt aufwuchs. Die KatholikInnen lasen das CVP-Blatt, die Reformierten das der FDP, und die SozialdemokratInnen hatten ihre Arbeiterzeitung.

Wirklich bunt und vielfältig wurde es aber erst mit der 68er-Bewegung. Überall bildeten sich Gruppierungen, die sich in die politische Debatte einmischen wollten. WOZ-Mitgründerin Lotta Suter schrieb 1977 zusammen mit Konrad Fisler ihre Lizenziatsarbeit über die «Alternativpresse in der deutschsprachigen Schweiz». Sie listen darin um die 130 Zeitungen und Zeitschriften auf, die damals regelmässig erschienen sind, wie eben das «Rote Einhorn» oder der «Steibock». Die einen konzentrierten sich inhaltlich auf ein Thema, etwa die «Soziale Medizin» oder «Der Kriegsdienstgegner». Andere setzten sich mit einer Region auseinander, etwa die «Alternative» (Uri) und die «Rote Anneliese» (Wallis). Oder sie verstanden sich umfassend politisch wie «das konzept», aus dem 1981 die WOZ hervorgegangen ist.

«Fast alle rechnen mit kleinem bis kleinstem Budget», schreiben Suter und Fisler: «Mehr als die Hälfte müssen mit weniger als 10 000 Franken im Jahr auskommen. Und nur wenige Zeitungen rechnen mit über 50 000 Franken im Jahr wie z. B. die ‹Leserzeitung›, der ‹focus› und ‹das konzept›.»

Die «LeserZeitung» war 1975 gegründet worden, sie nahm vorweg, was heute als Bürgerjournalismus propagiert wird: Die AbonnentInnen waren MitbesitzerInnen und konnten mitgestalten und mitschreiben. Vier Jahre ging das gut, danach fusionierte die «LeserZeitung» mit «focus», einem nonkonformistischen Magazin – und wurde zum «tell». Auch der «tell» verstand sich als nonkonformistisch; er schrieb über sich selbst: «Wir haben den Namen ‹tell› gewählt, weil wir versuchen werden, gegen die Tendenz zur Gleichschaltung der Presse, gegen die Bestrebungen zum Abbau der Pressefreiheit eine echte Alternative zu den kommerziellen Grossverlagen aufzubauen.»

Das Massensterben

Mitte der achtziger Jahre musste der «tell» dann aufgeben. In jener Zeit kämpften auch die meisten sozialdemokratischen Tageszeitungen bereits ums Überleben oder waren schon eingegangen. Diverse Arbeiterzeitungen versuchten, über die Runde zu kommen, indem sie nur noch die Regionalseiten selbst schrieben, den Mantel mit der nationalen und internationalen Berichterstattung jedoch vom «Badener Tagblatt» bezogen. Das ergab einen schizophrenen Zwitter, weil das «Badener Tagblatt» den rechten Rand des Freisinns vertrat. SP und Gewerkschaften schafften es nie, sich zusammenzuraufen und eine nationale Zeitung herauszugeben.

Die Blätter siechten, nacheinander mussten sie aufgeben. In Winterthur versuchte als Nachfolgeprojekt der «Arbeiterzeitung» das «Stadtblatt» noch einige Jahre zu überleben, in Luzern «Luzern heute», und in Bern folgte «Die Hauptstadt» auf die «Tagwacht». Am Ende starben alle – bis auf die «Schaffhauser AZ».

Klug und schön überlebt

Acht JournalistInnen und ein Fotograf, alle in Teilzeit, bringen einmal pro Woche die «Schaffhauser AZ» heraus. Mit 2000 AbonnentInnen und Spenden kommen sie zurzeit noch anständig über die Runden. Und in drei Jahren kann das Blatt seinen 100. Geburtstag feiern.

Indirekt überlebt hat das «Zürcher Volksrecht» als «P.S.», das jahrelang vom Zürcher SP-Präsidenten Koni Löpfe verlegt wurde und nun seit einigen Monaten von der SP-Gemeinderätin Min Li Marti geführt wird.

Daneben gibt es einige wenige erfolgreiche Neugründungen. Wie zum Beispiel die Gewerkschaftszeitung «work», die seit bald fünfzehn Jahren mit frechem linkem Boulevard mitmischt. Oder das Kulturmagazin «Saiten» in St. Gallen, das inzwischen weit mehr ist als nur ein regionales Kulturmagazin.

Der linke Blätterwald hat sich aber schon stark gelichtet. Zwar sind viele Publikationen im Netz wiedergeboren. Das Internet kann aber nicht, was Print kann: Eine gedruckte Zeitung ist prägnanter, sinnlicher, verbindlicher. Deshalb setzt etwa das neu lancierte «Megafon», die Zeitschrift der Reitschule Bern, ganz auf Print – stilvoll und interessant aufgemacht. Was engagiert, klug und schön ist, wird überleben.