Die Türkei und der Islamische Staat: Jeder führt seinen eigenen Krieg

Nr. 32 –

Jetzt also auch die Türkei. Nachdem sich Saudi-Arabien – der vermeintliche Hauptverbündete des Westens in der nahöstlichen Krisenregion – bereits im Herbst vergangenen Jahres zur Bekämpfung der Milizen des Islamischen Staats (IS) bekannt hatte, folgte Ende Juli der südöstliche Frontstaat der Nato. Ob der seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgerufene «Krieg gegen den Terror» der USA und einer von ihr geführten Staatenkoalition deshalb erfolgreicher wird? Eher nicht.

Das Operationsgebiet für reguläre Truppen und geheime Spezialkommandos und die Ziele für Bomben und von Drohnen abgeschossene Raketen wurden in diesen bald vierzehn Kriegsjahren ständig ausgeweitet. Zunächst traf es nur Afghanistan, inzwischen ist fast der gesamte Krisenbogen von Marokko bis Pakistan davon betroffen. Die Zahl der zu «vernichtenden» (so die Wortwahl von US-Präsident Barack Obama) terroristischen Kämpfer hat sich explosionsartig vervielfacht. Ursprünglich waren es nur ein paar Hundert, heute hat allein der IS schätzungsweise 40 000 Mann unter Waffen. Der «Krieg gegen den Terror» war kontraproduktiv. Die Welt ist durch ihn nicht sicherer geworden, im Gegenteil.

Einer der wesentlichen Gründe für das Scheitern der Strategie der USA war lange das Doppelspiel von Saudi-Arabien und der Türkei. Die saudischen Wahhabiten haben seit dem Ende des Kalten Kriegs fast alle Gruppierungen finanziert, die ihre Anschläge islamistisch verbrämten. Auch der IS erhielt zumindest in der Anfangsphase nach seiner Gründung im Jahr 2008 Geld aus Riad. Aus der Türkei floss zwar kein Geld, aber ohne die Unterstützung Ankaras dürfte der IS kaum so stark sein, wie er heute ist. Alle seine in Europa rekrutierten Kämpfer sowie ein Grossteil des Waffennachschubs gelangten über die Türkei zu den Milizen im Irak und in Syrien. Die wiederum füllen die Kriegskasse über den Verkauf von Öl und Antiquitäten über türkisches Territorium.

Der jetzige Richtungswechsel des türkischen Präsidenten Tayyip Erdogan ist nicht mal halbherzig. Zwar wurde die lange verweigerte Nutzung der Luftwaffenbasis Incirlik durch US-Kampfflugzeuge für ihre Einsätze gegen den IS gestattet. Aber ganz offensichtlich gab es diese Genehmigung nur, weil US-Agenten in Syrien Dokumente in die Hände gefallen waren, die eine bislang von Ankara immer heftig bestrittene Kooperation hoher türkischer Militärs und Geheimdienstler mit dem IS eindeutig beweisen. Die bislang nur vereinzelten Angriffe der türkischen Luftwaffe gegen IS-Stellungen in Syrien und im Nordirak dienen eher der Camouflage der sehr viel intensiveren Luftschläge gegen die türkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK. Auch die syrisch-kurdische Miliz YPG, für die USA ein wichtiger Verbündeter bei der Bekämpfung des IS, wurde bereits von der türkischen Luftwaffe angegriffen.

Bei der Nato-Sondersitzung Ende Juli wurden diese Widersprüche noch unter den Teppich gekehrt. Sie werden irgendwann nicht mehr zu ignorieren sein. Wesentliche militärische Planungen der Verbündeten im Krieg gegen den IS stehen deshalb jetzt schon vor dem Scheitern. So wollten die USA in diesem Jahr im Irak und in Jordanien 5000 Bodenkämpfer rekrutieren und ausbilden, in den kommenden beiden Jahren jeweils 5000 weitere. Bislang aber gibt es nur 60 dieser Kämpfer.

Auch der zwischen Washington und Ankara diskutierte Plan, die rund zwei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei in einer knapp hundert Kilometer langen und vierzig Kilometer breiten, «vom IS befreiten Zone» auf der syrischen Seite der Grenze anzusiedeln, kommt nicht voran. Ohne die militärische Durchsetzung einer Flugverbotszone für die syrische Luftwaffe und ohne die Stationierung von Bodentruppen kann so ein Gebiet nicht befreit und gehalten werden. Dazu aber ist bislang niemand bereit. Erdogan bietet zwar 5000 turkmenischstämmige Männer aus dem Irak an, die seit Jahren als Flüchtlinge in der Türkei leben – als Bodentruppen in einem überwiegend von KurdInnen besiedelten Gebiet. Durch sie aber erhielte der Konflikt nur noch eine weitere gefährliche ethnische Dimension.