Kommentar zum Tod des chilenischen Folterers Manuel Contreras: Der Sarg konnte ihn nicht retten

Nr. 33 –

Warum der chilenische Folterer Manuel Contreras als verurteilter Verbrecher gestorben ist. Und warum das in Lateinamerika noch immer eine Ausnahme ist.

Es war ein ungewöhnlicher Tod für einen Mann dieses Kalibers: Manuel Contreras, von 1973 bis 1977 unter Militärdiktator Augusto Pinochet Chef des gefürchteten chilenischen Geheimdiensts, ist am vergangenen Freitag als verurteilter Verbrecher gestorben. Er hatte Zehntausende Menschen foltern und mindestens 1500 ermorden lassen. Ende 1993 wurde er für seine Untaten zum ersten Mal verurteilt. Es folgten 58 weitere Urteile mit insgesamt 526 Jahren Haft.

Üblicherweise sterben solche Verbrecher in Lateinamerika als freie Männer. Zur Not flüchten sie sich, wenn es eng wird, in eine angebliche Altersdemenz, lassen sich für verhandlungsunfähig erklären und werden nie rechtskräftig verurteilt. Pinochet hat sich so bis in den Sarg gerettet; derzeit spielt in Guatemala Efraín Ríos Montt dasselbe Spiel. Er hatte nach seinem Putsch 1982 in nur achtzehn Monaten mindestens 150 000 Menschen ermorden lassen, die meisten waren Maya. Eine Wahrheitskommission nannte das später Völkermord. Inzwischen ist Ríos Montt 89 Jahre alt, und es muss befürchtet werden, dass seine Anwälte ihn mit allen denkbaren Verzögerungstricks mit juristisch weisser Weste ins Grab bringen. Mit der Behauptung, er sei altersdement, haben sie bereits mindestens ein paar Monate gewonnen.

Contreras dagegen hatte das Pech, einen mächtigen Gegner zu haben: Am 21. September 1976 hatte er in Washington den dort im Exil lebenden Orlando Letelier samt seiner US-amerikanischen Assistentin Ronni Karpen Moffitt mit einer Autobombe ermorden lassen. Letelier war unter dem von Pinochet gestürzten Präsidenten Salvador Allende erst Aussen-, dann Innen- und schliesslich Verteidigungsminister gewesen. Ein solches Attentat mitten in Washington, das liess sich die US-Regierung nicht gefallen. Sie erwirkte darauf, dass Contreras als Einziger von einem bis heute geltenden Amnestiegesetz ausgenommen wurde.

Ohne Generalamnestie für die eigenen Untaten hat kein Gewaltherrscher Lateinamerikas die Macht an gewählte Regierungen übergeben. Und überall, wo entsprechende Gesetze erlassen wurden, gab es danach Probleme, die Schlächter zur Verantwortung zu ziehen. Letztlich war es ein besonders perfides Verbrechen, das den Militärs zum Fallstrick wurde: dass sie Menschen einfach verschwinden liessen und ihre Familien über den Verbleib ihrer Verwandten bis heute im Ungewissen lassen. In Argentinien wurden deshalb die ersten Folterknechte nicht wegen Mord, sondern wegen Entführung angeklagt. Da der Tod der damals Verschwundenen nie rechtskräftig festgestellt worden war, müssten sie als noch lebend und also noch immer als verschleppt gelten. Das vor Jahrzehnten begonnene Verbrechen dauere mithin noch an und sei also durch früher erlassene Amnestiegesetze nicht gedeckt. Eine absurde, aber juristisch nötige Argumentation, die in Argentinien den Weg zur Aufhebung der Amnestiegesetze geöffnet hat – über zwanzig Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur.

Die anderen Länder sind noch nicht so weit. Weder in Guatemala noch in El Salvador, nicht in Chile und nicht in Brasilien sind die Amnestiegesetze bislang angetastet worden. Als in Brasilien Ende 2014 endlich der Bericht einer Wahrheitskommission über die Menschenrechtsverletzungen der Militärdiktatur zwischen 1964 und 1985 veröffentlicht wurde, weinte Präsidentin Dilma Rousseff. Als junge Frau war sie selbst Opfer staatlicher Folter gewesen. Eine gerichtliche Aufarbeitung der damaligen Verbrechen aber lehnt sie weiterhin ab.

Ins Gefängnis kommen nur die Verlierer: Alberto Fujimori, Perus Potentat von 1990 bis 2000, stürzte zusammen mit seinem Geheimdienstchef Vladimiro Montesinos so schnell aus den Höhen der Macht, dass die beiden keine Zeit mehr hatten, sich juristisch abzusichern. In Argentinien kamen die Köpfe der Militärjunta wenigstens vorübergehend in Haft, nachdem sie den Falklandkrieg gegen Britannien verloren hatten. Ein paar Drohgebärden der Armee reichten dann aus, um sie wieder zu befreien.

Ansonsten aber scheint es so, als bräuchten diese Länder eine Generation Zeit, um sich aus dem Schatten der Vergangenheit zu lösen. Zum einen besetzen scheidende Diktatoren vor ihrem Abgang die wichtigen Gerichte mit ihnen ergebenem Personal. Zum anderen ist die erste Generation demokratisch gewählter PolitikerInnen selbst von den Schrecken der Diktatur geprägt. Sie hat schlicht Angst vor den Militärs, und sie weiss auch, warum.

Ganz langsam aber rückt eine neue Generation von Juristinnen und Politikern nach, die von der Vergangenheit nicht belastet ist. Ríos Montt wurde schon einmal von einer jungen, mutigen Richterin wegen Völkermord verurteilt. Dieses Verbrechen wird von der Amnestie nicht gedeckt. Die alten Männer vom Obersten Gerichtshof aber haben das Urteil wegen eines angeblichen Verfahrensfehlers mit fadenscheiniger Begründung wieder aufgehoben. Es ist ein Machtkampf im Gang zwischen den Alten von gestern und den Jungen von morgen. Die Jungen werden gewinnen. Bleibt zu hoffen, dass die alten Schlächter so lange überleben, dass sie wie Contreras als verurteilte Verbrecher sterben.