Buch «Ich war, ich bin, ich werde sein»: Diese politische Unruhe

Nr. 34 –

Noch immer schockiert die brutale Erbärmlichkeit von Rosa Luxemburgs Tod: gedemütigt, abgeschlachtet, in den Kanal geworfen.

Eine wachsende Zahl von Publikationen belegt die ungebrochene Faszination ihres Lebens, Werks und Tods, die sich auch in einem Band der deutsch-schweizerischen Autorin Ingeborg Kaiser zeigt. Ein Verdienst von Kaiser ist es, das Gedicht von Paul Celan nachzudrucken, «Du liegst im grossen Gelausche, umbuscht, umflockt …», in dem der düstere Magier der deutschen Sprache 1967 die Brutalität vom 19. Januar 1919 am Berliner Landwehrkanal beschwor: «Die Frau musste schwimmen, die Sau / für sich, für keinen, für jeden».

Luxemburg symbolisiert einen nicht befleckten Sozialismus, aber auch eine Frau, die neben dem unermüdlichen politischen Engagement nach Leben gierig und menschenfreundlich war. Kaiser eröffnet ihr Buch mit einer hübschen Szene: Sie trifft eine jüngere deutsche Linkspolitikerin und fragt diese nach Luxemburgs Begeisterung für modische Hüte. Damit kann die heutige Politikerin nichts anfangen. Doch Kaiser weiss, dass Luxemburgs Bemühen ums gepflegte Aussehen den Respekt der «unzimperlichen Genossen» steigerte. Solche Details machen die Stärke ihres Textes aus. Dazu das vorgelegte historische Material, das immer wieder erschüttert: das Jahr der Morde 1919, das Schicksal der unbeugsamen Freundin Mathilde Jacob, die skandalösen Freisprüche für die Mörder und ihre Auftraggeber 1962 in der Bundesrepublik, die Farce um die angeblich in der Berliner Charité aufbewahrte Leiche vor ein paar Jahren.

Kaiser, die den Zweiten Weltkrieg als Kind in Deutschland erlebte, sucht in Luxemburgs Geschichte den Zuspruch für die eigene politische Unruhe. Die Parallelführung mit dem Leben des deutschen Filmers Rainer Werner Fassbinder (1945–1982) begründet sie mit einem durchaus naheliegenden Motiv: Als letztes Projekt vor seinem frühen Tod plante Fassbinder einen Film über Luxemburg. Aber Kaiser sieht eine grundsätzlichere Verwandtschaft: das unbedingte Engagement. «Wie ein Donnerschlag» sei Fassbinder aufgetreten, haben MitarbeiterInnen berichtet.

Das geht nicht immer auf, und Kaisers lyrische Vergegenwärtigungen sind zuweilen Geschmackssache. Aber der Band stellt scharf die Frage, wie man Ermutigungen aus der Niederlage ziehen kann.

Ingeborg Kaiser: «Ich war, ich bin, ich werde sein». Rosa Luxemburg – Rainer Werner Fassbinder – Hinterlassenschaften. Collection Montagnola 14. BoD, Norderstedt 2015. 104 Seiten. 22 Franken