Altersvorsorge: In Würde altern, wie es die Verfassung will

Nr. 35 –

In nächster Zeit werden die Weichen für die Zukunft des Rentensystems gestellt. Im Zentrum steht die AHV – vor allem auch im Hinblick auf eine bessere Situation für PensionärInnen mit tiefen Einkommen. Die Gewerkschaften laden schon mal zum «Rentenkongress».

Nun also doch! Letzte Woche hat die ständerätliche Sozialkommission mit neun Ja-Stimmen und vier Enthaltungen eine generelle Erhöhung der AHV-Renten um siebzig Franken und einen um 0,3 Prozent höheren Abzug auf Löhne vorgeschlagen (siehe WOZ Nr. 34/2015 ). Insgesamt will sie die AHV-Reform 2020 des sozialdemokratischen Sozialministers Alain Berset gar leicht verbessern: Witwenrenten und Teuerungsausgleich sollen unangetastet bleiben.

So weit wie die gewerkschaftliche AHV-Plus-Initiative aber geht die Kommission natürlich nicht. Das Rentenalter für Frauen soll auf 65 Jahre angehoben und der Umwandlungssatz von 6,8 auf 6 Prozent gesenkt werden. Trotzdem: Die Zeichen für eine solide AHV stehen gut. Selbst wenn der Vorschlag der Kommission in den Räten keine Mehrheiten erlangen sollte, hätte das dann zu erwartende Referendum der Gewerkschaften gute Chancen.

Die verlässlichste Säule

Im Vorfeld zu den nationalen Wahlen hat der Gewerkschaftsbund SGB die Altersvorsorge ganz oben auf seine Liste gesetzt. Bereits 2011 holte SGB-Präsident Paul Rechsteiner nicht zuletzt dank seines Einstehens für RentnerInnen entscheidende Stimmen, um in den Ständerat gewählt zu werden. Immerhin ist die AHV mit ihren Maximalrenten von 2350 Franken für Einzelpersonen (und 3525 Franken für Ehepaare) für zwei Drittel der RentnerInnen die wichtigste, für ein Drittel die einzige Einnahmequelle. Wogegen bei der beruflichen und der privaten Vorsorge jedeR dritte PensionärIn leer ausgeht. Wie sehr die AHV die soziale Realität in der Schweiz seit über 65 Jahren prägt, bringt Rechsteiner im Vorwort zur Broschüre «Eine starke Altersvorsorge für Jung und Alt», die der SGB auf den «Rentenkongress» in Jona (am Erscheinungstag dieser WOZ) veröffentlicht hat, auf den Punkt: «Dass die Menschen in der Schweiz heute in Würde alt werden können, ist den Sozialversicherungen und allen voran der AHV zu verdanken», schreibt er. Und widerlegt gleich auch die These der Pensionskassenbranche, nach der die steigende durchschnittliche Lebenserwartung die Finanzierbarkeit der AHV gefährden würde: «Der wirtschaftliche Fortschritt finanziert auch die länger laufenden Renten – sofern eine Sozialversicherung dafür sorgt, dass er auch allen zu Gute kommt.»

Das ist bei der AHV der Fall. Die apokalyptischen Prognosen jedenfalls haben sich über all die Jahrzehnte als falsch erwiesen: Obwohl heute nur noch etwa 3,4 erwerbstätige Personen auf eine über 65-jährige Person kommen (1948, bei der Einführung der AHV, waren es noch 6,5), konnten die Beiträge dank der steigenden Arbeitsproduktivität mehrfach erhöht werden. Steigen zum Beispiel die Löhne im Schnitt um zwei Prozent, so steigen auch die AHV-Einnahmen um zwei Prozent – derzeit wären das rund 600 Millionen zusätzliche Franken. Um den gleichen Betrag stiegen sie, wenn die Hälfte der derzeit rund 200 000 Arbeitslosen eine Stelle hätten. Ebenso positiv wirkten sich Verbesserungen bei älteren Beschäftigten, der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung, der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie beim Abbau der Lohndiskriminierung gegenüber Frauen aus: Allein die Aufhebung dieser Lohnungleichheit würde der AHV nochmals über 600 Millionen Franken bescheren.

Service public für alle

Zuletzt substanziell erhöht wurden die AHV-Renten 1975. Zwar werden sie seither alle zwei Jahre der Teuerung und der durchschnittlichen Lohnerhöhung angepasst. Weil diese aber nur halb berücksichtigt wird, verlieren die Renten, verglichen mit den Löhnen, laufend an Wert. Die «Fortsetzung der gewohnten Lebenshaltung», wie es die Bundesverfassung verlangt, bleibt daher für viele illusorisch – insbesondere für Beschäftigte mit tiefen Einkommen sowie Frauen, die wegen Kindererziehung und Hausarbeit höchstens Teilzeit erwerbstätig waren.

Für Rita Schiavi, Geschäftsleitungsmitglied der Gewerkschaft Unia, ist das Heraufsetzen des Frauenrentenalters, aber vor allem auch die Senkung des Umwandlungssatzes unakzeptabel. «Solange die Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen weiter rund zwanzig Prozent beträgt, werden die Gewerkschaften keine Rentenaltererhöhung akzeptieren. Die Erhöhung der AHV-Rente ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, vermag aber eine solche Senkung des Umwandlungssatzes bei weitem nicht zu kompensieren.»

Katharina Prelicz-Huber, Präsidentin des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (VPOD), erachtet zudem auch den «Koordinationsabzug» als problematisch, der dazu führt, dass jemand mit einem Jahreseinkommen unter 24 000 Franken bei der Pensionskasse leer ausgeht: «Viele Frauen leben nach der Pensionierung nur von der AHV – und kaum oder gar nicht von der zweiten und dritten Säule.»

Trotzdem zeigt sich Prelicz-Huber positiv überrascht vom Vorschlag der ständerätlichen Kommission. Wohl auch aus Angst, dass die AHV-plus-Initiative vom Volk angenommen werden könnte, sei nun auch bei Bürgerlichen eine gewisse Einsicht über die Notwendigkeit einer gut funktionierenden AHV entstanden: «Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass für einen grossen Teil der Bevölkerung auch so noch immer nicht gewährleistet wäre, was die Verfassung verlangt.»

Bei den derzeitigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, so Prelicz-Huber, würde auch der VPOD den Vorschlag der Kommission nicht schlucken. Speziell das Frauenrentenalter 65 sei nur akzeptabel, wenn «subito die Lohndifferenz in der Rentenabrechnung kompensiert und baldigst aufgehoben sowie die Care-Arbeit besser abgegolten» würde. Dazu allerdings seien auch massive Fortschritte in den Bereichen Kinderbetreuung, Pflege und Hauswirtschaft zwingend: «Was nützt einer armen Pensionärin eine einigermassen gute AHV, wenn rundum der Service public abgebaut wird?»

Öffentlicher Rentenkongress: «Hände weg von unseren Renten! Jetzt die AHV stärken!» am Donnerstag, 27. August 2015, von 14.15 bis 17 Uhr im Hotel Kreuz, Jona. Weitere Informationen: www.sgb.ch. Dort ist auch die Broschüre «Eine starke Altersvorsorge für Jung und Alt» erhältlich.