Buch «Scheinwerfen»: In der Praxis der Scheinwerfer

Nr. 37 –

Die Familie Weingart übt in ihrem Haus in Bern ein nicht ganz alltägliches Handwerk aus: das Scheinwerfen. So lautet auch der Titel von Giuliano Musios Debütroman, einem abgründig humorvollen Familiendrama, in dem es um Schuld, Lügen, Liebe, Sex und Wanzensekret geht.

Scheinwerfen bezeichnet die vererbbare Gabe der Weingarts, mittels Berührung vergessene Erinnerungen anderer Menschen hervorzurufen. Die geschäftstüchtige Magda Weingart, selber nicht mit der Gabe gesegnet, führt eine Praxis, in der ihre beiden Söhne Toni und Julius sowie ihre Nichte Sonja ihr scheinwerferisches Talent ausüben. Die Praxis hat Magda vor Jahren mit ihrem Mann Emil eröffnet, doch dieser kam unter mysteriösen Umständen bei einem Brand ums Leben.

Was dort genau passiert ist, wird verheimlicht, wie noch vieles mehr, wenn es um den Vater geht. Und auch Sonja, die Freundin von Julius, scheint ein Geheimnis zu haben. Seit sie den demenzkranken Herrn Ott behandelt, zieht sie sich immer mehr von Julius zurück. Dummerweise verliebt sich Toni auch noch unglücklich in Otts Sohn, und dann taucht noch einer auf, der das Familienleben völlig aus der Bahn wirft: Der leicht debile Res, der seine Mutter despektierlich «Periodenruth» nennt, in der Disco gerne Frauen begrapscht und alles über Schlangen weiss, ist nämlich Emil Weingarts unehelicher Sohn. Und er erfährt etwas über Sonja, das er nicht wissen dürfte – denn auch er kann scheinwerfen. Was Magda freut und Julius ärgert. Denn auch er hat ein gut gehütetes Geheimnis.

Im Zentrum von Giuliano Musios Buch, das ein bisschen wie eine Fernsehserie funktioniert – die Kapitel heissen hier «Folgen», und jede endet mit einem Cliffhanger –, stehen die drei unterschiedlichen Brüder. Der Berner Autor schreibt in einer vorwärtstreibenden Sprache, die ganz nah an den drei Protagonisten dran ist, weil Musio jedem von ihnen einen eigenen Ton verleiht. So klingen die Passagen, in denen es um Res geht, anders als jene, in denen Julius oder Toni im Zentrum steht. Und immer wieder führt der Autor die Leserin an der Nase herum und lässt die Geschichte einen anderen Bogen schlagen als erwartet. Denn hinter der vermeintlichen Wahrheit liegt meist noch eine andere Wahrheit.

Giuliano Musio liest am Mittwoch, 
16. September 2015, um 19.30 Uhr im Berner 
Café Wartsaal aus seinem Roman.

Giuliano Musio: Scheinwerfen. Luftschacht Verlag. Wien 2015. 401 Seiten. 32 Franken