Medientagebuch zum 150-Jahre-Jubiläum von «The Nation»: Tägliches Aufwiegeln

Nr. 39 –

Lotta Suter über das 150-jährige Wochenmagazin «The Nation»

Wer sich für die US-Politik links von Donald Trump interessiert (und Englisch versteht), der oder die sollte sich für achtzehn Dollar im Jahr ein digitales Abo für «The Nation» leisten. Nur schon, weil sich das altehrwürdige US-Linksmagazin im Jubiläumsjahr ein verjüngtes Logo zugelegt hat mit dem wunderbaren Zusatz «wiegelt täglich zum Fortschritt auf».

Die «Nation» wurde bereits 1865 gegründet, im gleichen Jahr, in dem in den USA die Sklaverei abgeschafft wurde. Schon in den ersten Ausgaben wagte die junge Zeitschrift eine ausführliche Bestandesaufnahme des durch den Bürgerkrieg und die wirtschaftliche Umstrukturierung erschütterten Südens der USA. Und bis heute beobachtet die «Nation» schärfer als die meisten andern US-Medien die Rolle des Rassismus in der US-Politik. Gesellschaftliche Probleme wie die Polizeigewalt, die hohen Gefangenenzahlen, ungleiche Bildungschancen oder Lohnunterschiede haben in diesem Land nicht nur mit Klasse, sondern immer auch mit «Rasse» zu tun. Und diesen historischen Schatten benennt die «Nation» laut und deutlich.

In ihrer 150-jährigen Geschichte wurde die «Nation» zeitweise zur Literaturbeilage einer Tageszeitung degradiert. Das Linksmagazin kämpfte – wie die kleinere und viel jüngere Schweizer Schwesterzeitung WOZ – immer wieder ums wirtschaftliche Überleben. Doch wie die WOZ kann sich die «Nation» heute auf eine Gruppe loyaler GönnerInnen stützen, die sogenannten «Nation Builders». Diese «BaumeisterInnen der Nation» finanzieren zwanzig Prozent des journalistischen Projekts. Für zusätzliche Stabilität sorgt das «Nation Institute», ein gemeinnütziges Medienzentrum, das den Verlag Nation Books betreibt, dazu einen Recherchierfonds für unabhängigen Journalismus leitet, den digitalen Pressedienst Tom Dispatch betreut und schliesslich auch Volontariate und Förderprogramme für angehende JournalistInnen organisiert. Das Magazin «The Nation» erreicht heute wöchentlich eine halbe Million LeserInnen. Davon sind 145 000 zahlende PrintmedienkonsumentInnen (Tendenz sinkend) und 15 000 zahlende digitale NutzerInnen (Tendenz steigend). Das sind enttäuschend tiefe Zahlen für ein 320-Millionen-Volk. Trotzdem ist die «Nation» in den USA immer noch eine politisch ernst zu nehmende Institution. Auch wenn die Zeitungsredaktion – vermutlich? – nicht mehr ganz so intensiv vom FBI überwacht wird, wie das im 20. Jahrhundert unter dem Kommunistenfresser Edgar Hoover der Fall war.

Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 etwa war die «Nation» eine einsame vernünftige Ruferin in einer irrsinnig gewordenen Medienwüste. Zwar gab es auch in diesem Magazin vereinzelte Stimmen, die für den «gerechten Krieg» argumentierten. Doch die Sache wurde ausdiskutiert, die Redaktion blieb skeptisch gegenüber der US-Kriegspropaganda und liess sich nicht in den allgemeinen Hurrapatriotismus einbetten. Allein dafür verdient sie Respekt.

Manchmal irritiert die «Nation» auch in ihrer Beharrlichkeit. Fast schon stur verbeissen sich die JournalistInnen zuweilen in die harte Wirklichkeit der US-Politik. Steigen jedes Mal mit frischem Elan hinab in die staubige Wahlarena. Setzen immer wieder Hoffnungen auf diesen Kandidaten, auf jene Kandidatin, auf das demokratische System. Im Grunde träumt die «Nation» auch nach 150 Jahren noch den ganz grossen, den gerechten amerikanischen Traum.

Lotta Suter ist WOZ-Mitgründerin und lebte von 1997 bis 2011 in den USA.

www.thenation.com