Ägypten: Neue parlamentarische Diktatur

Nr. 42 –

Seit über drei Jahren hat Ägypten kein legitimes Parlament. Im Oktober und November werden nun Wahlen abgehalten. Das Ganze ist allerdings eine Farce – und gerade deshalb aufschlussreich.

Ägyptens Verfassungsrichter liessen im Juni 2012 das letzte regulär arbeitende Parlament auflösen. Es sei auf Grundlage widerrechtlicher Wahlgesetze eingesetzt worden, entschied das Gericht damals. Sowohl der kurz darauf vereidigte, erste demokratisch gewählte Präsident des Landes, Muhammad Mursi, als auch seine Nachfolger, Interimspräsident Adli Mansur und der amtierende Staatspräsident, Abdel Fattah al-Sisi, regierten und regieren daher de facto ohne gesetzgebende Versammlung.

Das Regime störte sich keineswegs an der Abwesenheit einer funktionierenden Legislative, und auch einem Grossteil der Bevölkerung war die autoritäre Staatsführung willkommen: Viele Menschen glaubten, die wirtschaftspolitische Instabilität schneller überwinden zu können, wenn das Land straff regiert wird. Dennoch stehen nun, fünfzehn Monate nach Sisis Amtsantritt, erstmals seit 2011 wieder Wahlen an – Wahlen für ein Parlament, das keinerlei Einfluss auf das politische Geschehen des Landes haben wird. Denn Ägyptens politische Weichen sind längst gestellt: Der Präsident hat in seiner kurzen Amtszeit bereits Hunderte von Gesetzen, Gesetzesrevisionen und Präsidialdekrete unterzeichnet – und damit langfristig die Interessen der alten Eliten gesichert.

Demokratischer Deckmantel

Die Posse um die Wahl einer neuen Legislative ist herrschaftspolitisch aufschlussreich, entlarvt sie doch den autoritären Charakter einer Regierung, die immer wieder verfassungswidrig agiert. Schliesslich ignorierte das Regime nicht nur die 2014 verabschiedete neue Gesetzgebung und die darin enthaltenen Wahlregeln, sondern versuchte mehrfach, illegitime Wahlgesetze durchzudrücken. Zum Beispiel hätten laut Wahlgesetz Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft nicht kandidieren dürfen. Doch das Verfassungsgericht liess diese rein propagandistische Regel kassieren.

Dennoch scheint es im Interesse der Regenten in Kairo zu sein, zügig eine neu gewählte Volksvertretung einzusetzen, und das vor allem aus zwei Gründen. Erstens hat sich das regimefreundliche Lager im Land mittlerweile derart gefestigt, dass Sisi und die Militärführung mit sicheren Mehrheiten in der neuen Kammer rechnen können. Zweitens will das Regime vorsorgen, denn der Unmut über die Regierungsführung Sisis wächst. Der Präsident und die im Hintergrund regierende Armee brauchen früher oder später – je nachdem, wie und wann sich dieser Unmut wieder auf der Strasse entlädt – einen demokratischen Deckmantel.

Vor dem Sturz des Langzeitdiktators Hosni Mubarak im Februar 2011 bestand das Parlament fast ausschliesslich aus Mitgliedern der Nationaldemokratischen Partei (NDP). Die 1978 von dessen Vorgänger Anwar al-Sadat gegründete Partei fungierte einerseits als ziviles Aushängeschild des Regimes und erlaubte es den Generälen, im Hintergrund die Fäden zu ziehen. Andererseits instrumentalisierte Mubarak die NDP auch, um sich vom allmächtigen Militär zu emanzipieren und eine eigene Machtbasis zu schaffen. Mit Erfolg: Parteikader der NDP besetzten bis zu Mubaraks erzwungenem Abtritt nicht nur Schlüsselpositionen im politischen System. Sie nutzten ihre Posten auch, um Einfluss auf die Privatwirtschaft zu nehmen, diese mittels Klientelismus und Korruption zu durchdringen und damit eine regimetreue Wirtschaftselite heranzuzüchten.

Militär behält Fäden in der Hand

Der Arabische Frühling rüttelte heftig am Status quo des ägyptischen Regimes; es musste sich dem Druck der Strasse beugen. Bereits zwei Monate nach dem Sturz Mubaraks wurde die NDP verboten, und die demokratische Fassade brach vollständig zusammen.

Nachdem das Militär 2013 unter der Führung von Sisi den Staatspräsidenten Mursi weggeputscht und die ihm nahestehende Muslimbruderschaft gestürzt hatte, schien sich das Land zunächst innenpolitisch zu stabilisieren. Als sich die Wut der Strasse wegen der zunehmenden Repression gegen die Armee zu richten begann, war den Generälen schnell klar, dass sie sich wieder in die zweite Reihe zurückziehen mussten. Umso dringlicher braucht das Regime nun eine demokratische Legitimation – wenn auch nur dem Schein nach. Denn das neue Parlament wird genau die gewünschte Funktion erfüllen: Auf die aussichtsreichsten Wahllisten drängen zahlreiche KandidatInnen, die die Interessen des Militärs und der traditionellen ägyptischen Eliten vertreten wollen. Schon vor den Wahlen ist damit klar: Ägyptens neues Parlament ist eine Farce.

Sofian Philip Naceur ist Politologe und 
berichtet als freier Journalist für verschiedene deutschsprachige Medien aus Ägypten.