Der Klimarat: In der Parallelwelt der Klimaökonomie

Nr. 42 –

Im Dezember wollen die Uno-Mitglieder in Paris einmal mehr versuchen, die Klimakatastrophe abzuwenden. Diskussionsgrundlage ist der Bericht des Weltklimarats IPCC. Doch was taugt die Arbeit des hochgelobten Gremiums, wenn es um Lösungen geht?

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Die Uno-Klimakonferenz von Paris hat eine klare Zielvorgabe: Sie soll ein Abkommen auf den Weg bringen, das geeignet ist, die globale Erwärmung gegenüber vorindustriellem Niveau auf zwei Grad zu begrenzen. Diese Vorgabe haben sich die Uno-Mitglieder vor fünf Jahren, nach dem krachenden Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen, selbst gegeben – allenfalls soll es sogar auf 1,5 Grad korrigiert werden. Seither ist klar: Fast ein Grad Erwärmung haben wir bereits erreicht, und die Treibhausgase, die sich in der Atmosphäre befinden, werden die Temperaturen um ein weiteres halbes Grad ansteigen lassen.

Da fragt sich, ob das Ziel überhaupt noch erreichbar ist. Nein, meinen manche. Fatih Birol etwa, der Exekutivdirektor der Internationalen Energieagentur, hat die Zweigradgrenze als ein «nettes Utopia» bezeichnet (das so nett im Übrigen nicht wäre – schon bei zwei Grad Erwärmung wären viele Folgen verheerend).

Die höchste Autorität in dieser Frage ist der Weltklimarat IPCC, genauer: dessen Arbeitsgruppe 3. Der IPCC fasst alle paar Jahre das wissenschaftliche Wissen über den Klimawandel in umfangreichen Berichten zusammen. Diese umfassen drei Teile: Im ersten geht es um die physikalischen Grundlagen, im zweiten um die Folgen und im dritten um Lösungen.

Der letzte IPCC-Bericht ist 2014 erschienen, und er sagt: Ja, die Erwärmung kann noch immer auf zwei Grad begrenzt werden. Die Arbeitsgruppe 3 hat 1200 wissenschaftliche Zukunftsszenarien ausgewertet. Etwas über 100 davon entwerfen eine Entwicklung, die «wahrscheinlich» zu einer Erwärmung von weniger als zwei Grad führt. Die dafür nötigen Massnahmen bewirken dem IPCC zufolge bis 2100 eine «Reduktion des Konsumwachstums» um durchschnittlich 0,04 bis 0,14 Prozentpunkte pro Jahr. Das liegt weit unterhalb der üblichen Schwankungen des Wirtschaftswachstums von Jahr zu Jahr. In der Zahl nicht enthalten sind die vermiedenen Klimaschäden durch eine andernfalls höhere Erwärmung. «Es kostet nicht die Welt, den Planeten zu retten», lautete denn auch das Fazit des Kovorsitzenden der Arbeitsgruppe 3, des deutschen Ökonomen Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, als er den Bericht vorstellte (siehe WOZ Nr. 16/2014 ).

Eine optimistische Botschaft – allein: Das Szenario beruht auf Annahmen, die man nur als unrealistisch bezeichnen kann. Bis 2020 muss ein striktes weltweites Abkommen zur Senkung der Emissionen in Kraft sein. Es braucht mehr Atomkraft, und CO2 muss in grossem Stil aus der Atmosphäre entfernt und sicher gelagert werden. Ob das aber je möglich sein wird, steht in den Sternen. Und selbst so wird eine Erwärmung um mehr als zwei Grad lediglich «wahrscheinlich» vermieden. So heisst es denn im IPCC-Bericht selber: «Die Annahmen, die nötig sind, um eine wahrscheinliche Chance zu erhalten, die Erwärmung auf zwei Grad zu beschränken, sind unter Bedingungen der realen Welt nur sehr schwer zu erreichen.»

Auf dem machtpolitischen Auge blind

Müssen wir uns also unserem Schicksal ergeben? Oder sollte man, wenn man die expliziten Annahmen des untersuchten Szenarios nicht teilen will, auch Annahmen hinterfragen, derer sich vermutlich die meisten IPCC-AutorInnen selbst nicht bewusst sind – Annahmen, die ihren Weltbildern eingeschrieben sind?

Treffen mit einem Autor der Arbeitsgruppe 3 in seinem Büro an der ETH Zürich. Anthony Patt ist Professor für Klimaschutz und hat am Kapitel über Risiken und Unsicherheiten der Klimapolitik sowie an der Zusammenfassung für EntscheidungsträgerInnen mitgeschrieben. Die erste Frage beantwortet er, noch bevor sie gestellt ist: «Ich war als Nichtökonom eine Ausnahme in der Arbeitsgruppe 3.» Nichtökonomische Betrachtungsweisen seien ziemlich zu kurz gekommen, und unter den ÖkonomInnen hätten ganz klar die VertreterInnen der neoklassischen Ideologie dominiert (vgl. «Im Zweifel für das Modell» im Anschluss an diesen Text). «Fast alle Koordinatoren, die die Autorenkollektive der jeweiligen Kapitel leiten, waren neoklassische Ökonomen. Es war frustrierend.»

Der IPCC will «politisch relevante Informationen bieten, ohne eine bestimmte Politik vorzuschreiben». Doch schon die Kernaussage des dritten Teilberichts beinhaltet eine klare weltanschaulich bedingte Präferenz: Der IPCC drückt die Kosten politischer Massnahmen dadurch aus, um wie viel sie das Wachstum des Konsums reduzieren – immer im Vergleich mit einer hypothetischen Welt, in der es keine Klimapolitik, aber auch keinen Klimawandel gibt. Ottmar Edenhofer sagt, das sei eine in der Wissenschaft akzeptierte Methode, und der IPCC bewerte ja nicht, ob die Konsumverluste zu hoch oder zu niedrig seien. Aber genau das tut er, wenn er «Reduktion des Konsumwachstums» mit «Kosten» gleichsetzt.

Nehmen wir an, ein Staat würde beschliessen, aus Klimaschutzgründen auf den Bau einer geplanten Strasse zu verzichten. Man sparte damit nicht nur die Baukosten. Weil das Verkehrsaufkommen geringer wäre, gäbe es auch weniger Unfälle und die Lebensqualität entlang der nicht gebauten Strasse wäre höher. Drückt man die Kosten einer politischen Massnahme aber als Reduktion des Konsumwachstums aus, dann muss eine solche günstige Massnahme als teuer erscheinen. Den Klimawandel in erster Linie als Kostenfrage zu sehen, bedeutet, andere Sichtweisen zu marginalisieren – soziologische, geopolitische, ethische, aber auch ökonomische, die statt nach Wohlstandsmaximierung nach Wohlstandsverteilung fragen.

Ottmar Edenhofer lässt den Vorwurf nicht gelten. Fragen beantwortet er schriftlich: «Ein hoch diverses Autorenteam gibt die gesamte Bandbreite wissenschaftlich fundierter Sichtweisen wieder, auch da, wo es Widersprüche gibt.» Über «Werte, die Entscheidungen zugrunde gelegt werden können», habe man Transparenz hergestellt.

Tatsächlich enthält der jüngste IPCC-Bericht je ein Kapitel über Ethik sowie über nachhaltige Entwicklung und Gerechtigkeit – in den ersten vier IPCC-Berichten gab es beides noch nicht. Man kann dort unter anderem nachlesen, weshalb gewisse Methoden zur Bewertung verschiedener Klimapolitiken nicht viel taugen – Methoden, auf die sich die anderen Kapitel des Berichts stützen.

Auf den 1400 Seiten des Teilberichts findet man viele Aussagen, die der Sichtweise der Wachstumsmaximierung widersprechen: dass weniger Konsum helfen würde, namentlich eine Verringerung des Fleischverzehrs und eine Förderung des Fuss- und Veloverkehrs zulasten der Autos; oder dass es mitunter sinnvoller ist, sich auf jahrhundertealte Traditionen statt auf den neusten technischen Fortschritt zu stützen – etwa im Bereich der Gebäudekühlung. Sogar die Schönheit der Natur wird einmal erwähnt.

Doch all das findet meist in kurzen Abschnitten statt, und die Analysekategorie der Macht fehlt ganz – der ökonomischen und politischen Macht von Energiekonzernen und mit ihnen verbandelter Regierungen, Wandel zu blockieren. Die nicht ökonomischen Sozialwissenschaften sind in der Arbeitsgruppe 3 bloss schwach, die Geisteswissenschaften marginal vertreten. Das gilt für die Autorschaft als Ganze, es gilt aber besonders für die zwanzig bis dreissig AutorInnen, die laut einer jüngst in «Nature Climate Change» publizierten Studie die Fäden ziehen – die am besten vernetzt sind und nicht selten ihre ganze Karriere rund um den Weltklimarat IPCC aufgebaut haben. Das AutorInnenteam ist nicht so «hoch divers», wie Ottmar Edenhofer sagt.

Unsinnige Kostensimulationen

Die Neoklassik dominiert die Wirtschaftswissenschaften, aber es gibt andere Schulen wie beispielsweise die ökologische Ökonomik. Einer der fundiertesten Kenner der Klimapolitik unter den ökologischen ÖkonomInnen ist Clive Spash von der Wirtschaftsuniversität Wien. Spash findet den IPCC-Bericht «sehr problematisch». Zwar glaubt er, dass das Zweigradziel noch zu erreichen sei, ohne dass man auf unerprobte Techniken zurückgreifen müsse. Allerdings brauche es dazu tiefgreifende Veränderungen. Doch «der IPCC-Bericht handelt davon, wie das bestehende Produktionssystem über den Klimawandel hinweggerettet werden kann», sagt Spash.

Das wichtigste Arbeitsinstrument der neoklassischen Umweltökonomie ist das Computermodell, mit dem sich verschiedene Szenarien durchrechnen und Kosten-Nutzen-Analysen erstellen lassen. Der Kritik dieses Ansatzes hat Spash ein ganzes Buch gewidmet. Die Zukunft im Computer zu modellieren, sei der falsche Weg: «Es ist doch Irrsinn zu glauben, man könne heute wissen, was in hundert Jahren ‹kosteneffektiv› sein wird – schon mit einem Zeithorizont von zwanzig Jahren wäre das unmöglich.»

Was müsste also geschehen? «Es gibt keine einfache Lösung», sagt Spash. «Wir müssen den Umbau der Weltwirtschaft auf die Agenda setzen.»

Eine «Tragik der Allmende»?

Ist Spash der kritische Pessimist, so kritisiert Anthony Patt von der ETH den Bericht, an dem er mitgearbeitet hat, gewissermassen von optimistischer Seite. Seine Kritik ist konzilianter im Ton, aber kaum weniger hart in der Sache. Auch er hält die Maximierung des Wirtschaftswachstums für verfehlt; anders als die ökologischen ÖkonomInnen hält er ein gewisses Mass an Wirtschaftswachstum aber sowohl für nötig wie auch für möglich.

Die ganze Analyse des IPCC laufe darauf hinaus, sagt Patt, dass die Atmosphäre ein globales Gemeingut sei und der Klimawandel eine «Tragik der Allmende» darstelle. Ein Gemeingut ist etwas, das von vielen gemeinsam genutzt wird – wie eine Allmende, auf der alle Gemeindemitglieder ihr Vieh weiden lassen. Mit «Tragik der Allmende» bezeichnet man eine Situation, in der die NutzerInnen die Weide überbeanspruchen, was für alle nachteilig ist. Trotzdem hat der Einzelne kein Interesse daran, seine Nutzung zu reduzieren, solange nicht alle mitmachen. Denn er würde die Kosten seines Verzichts allein zu tragen haben, während sich der Nutzen auf alle verteilt.

Die Antwort der orthodoxen Ökonomie auf diese Situation besteht darin, die Allmende zu privatisieren – oder dort, wo das nicht geht, käufliche Nutzungsrechte auszugeben. Das Kyoto-Protokoll vom Weltklimagipfel 1997 verfolgte diesen Ansatz, indem es den Staaten Nutzungsrechte an der Atmosphäre zuteilte und für diese Rechte einen Markt schuf. Die Emissionshandelssysteme der EU und anderer Staaten tun dasselbe.

Dagegen bringt Patt einen grundsätzlichen und einen pragmatischen Einwand vor. Der grundsätzliche: Es geht nicht darum, die Emissionen lediglich zu reduzieren; sie müssen ganz aufhören. Es gibt kein optimales Niveau der Nutzung der Atmosphäre als Treibhausgas-Abfalleimer, sondern es müssen, bildlich gesprochen, alle Kühe von der Allmende verschwinden. Der pragmatische Einwand lautet: Die internationale Klimapolitik versucht seit zwanzig Jahren, den Klimawandel als globales Gemeingut zu verwalten – ohne Erfolg.

Eine Technikwende muss her

Doch das macht Patt nicht zum Pessimisten: «Ich glaube auch, dass es nicht die Welt kostet, den Planeten zu retten, und es braucht keine Atomkraft oder unerprobte Techniken und nicht einmal ein bindendes globales Abkommen. Was es braucht, ist eine Technikwende.» Patt glaubt, eine globale Wende hin zu erneuerbaren Energien stehe bevor – und Wenden vollzögen sich mitunter sehr schnell. «Bis vor wenigen Monaten gingen fast alle Fachleute davon aus, dass das Stromnetz gewaltig ausgebaut werden müsse, wenn immer mehr Wind- und Sonnenenergie ans Netz geht, weil nur so die Produktionsschwankungen zwischen den Standorten ausgeglichen werden könnten», so Patt. «Doch im Juni dieses Jahres drehte der Wind plötzlich. Was war geschehen? Eine neue, viel billigere Batterie ist auf den Markt gekommen.»

Das heisst für Patt aber nicht (wie für viele andere), dass wir die Arme verschränken und auf die Fortschritte der Technik warten können. Denn häufig hätten sich bei Transformationen Techniken durchgesetzt, die auf dem Markt zu Beginn keine Chance hatten. Der Grund dafür sind Pfadabhängigkeiten. Diese bewirken, dass etablierte Techniken, kurzfristig betrachtet, immer als überlegen erscheinen (vgl. «Pfadabhängigkeiten» im Anschluss an diesen Text) – ein Umstand übrigens, den der IPCC-Bericht an mehreren Stellen diskutiert.

Nur mit gezielter Förderung können neue Techniken Pfadabhängigkeiten überwinden – bis sie schliesslich der alten Technik überlegen sind und sie ablösen. Für Patt sind es Staaten wie Deutschland mit seiner «Energiewende» oder auch Kalifornien, die den Weg weisen. Für Emissionszahlen interessiert er sich dabei wenig: «Wenn ein Land seine Emissionen dadurch reduziert, dass es die Energieeffizienz steigert, sorgt es nur dafür, länger auf dem falschen Pfad bleiben zu können. Da ist ein Land, das sich auf den Weg zur Transformation begibt, viel weiter, selbst wenn seine Emissionen dadurch noch nicht sinken.» Neoklassische Modelle könnten mit solchem Wandel nicht umgehen, sagt Patt – und selbst der IPCC, der selber auf solche Modelle setzt, schreibt: «Neoklassische Modelle haben eine begrenzte Aussagekraft, um Übergänge zwischen Entwicklungspfaden zu erklären.»

Soziologische Perspektiven fehlen

Dass neoklassische Modelle mit plötzlichem technischem Wandel nicht umgehen können, bestätigt auch Matthew Paterson. Der Politologe der Universität Ottawa hat sowohl als Hauptautor in der Arbeitsgruppe 3 des IPCC mitgearbeitet, wie er auch über den IPCC forscht – der erwähnte Artikel in «Nature Climate Change» stammt unter anderem von ihm. «Diese Modelle betrachten den technischen Wandel als etwas, das mit einer konstanten Rate einfach geschieht.»

Patersons Kritik ist gewissermassen noch grundsätzlicher als die von Spash und Patt: «Der IPCC bemüht sich sehr, seine Resultate als Konsens der Wissenschaften darzustellen. Aber Wissenschaft ist kein Konsensprojekt. Viele Diskussionen um den IPCC verlaufen nach dem Muster: ‹Der IPCC sagt, was geschehen müsste, aber die Politik macht nicht mit – was läuft also falsch?› Diese Idee, dass die Wissenschaft die Wahrheit verkündet und die Politik danach handeln sollte, ist realitätsfremd. Welche Zwänge hindern die Menschen zu tun, was sie für richtig halten? Zu dieser Frage wird in Disziplinen wie Soziologie oder Humangeografie viel geforscht, und diese Forschung ist politisch höchst relevant. Aber im IPCC fehlen ihre Einsichten weitgehend.»

Die neoklassischen ModelliererInnen, sagt Paterson, gingen von Parametern aus, die sich mit gewissen Raten veränderten – die Zahl der geflogenen Kilometer nimmt zu, die Zahl der Kühlschränke steigt. Gleichzeitig sorgt der technische Fortschritt für mehr Energieeffizienz. «Die Vorstellung einer anderen Welt, in der die Leute anders zusammenleben, anders konsumieren, sich mit dem Fahrrad bewegen: Das ist mit Modellrechnungen überhaupt nicht kompatibel.»

Modelle müssen, wenn sie mehr sein wollen als Kaffeesatzleserei, auf Erfahrungswerten aufbauen – wie sollten solche Modelle Gesellschaftsformen vorhersehen können, die ganz anders sind? Aber eine Gesellschaft, die lernt, die Umwelt zu nutzen, ohne sie zu zerstören, wird ganz anders sein müssen.

Die letzte Gesprächspartnerin ist Amy Dahan Dalmedico vom Centre Alexandre-Koyré in Paris. In ihrem Buch «Les modèles du futur» schreibt die Wissenschaftshistorikerin: «Der Kern des zeitgenössischen ökonomischen Denkens reduziert Umweltschäden auf Externalitäten, die man internalisieren könnte, indem man ihnen einen Preis gibt.» Ein derart auf ein ökonomisches Problem reduziertes Denken, sagt Dahan, schliesse die Möglichkeit, sich Alternativen vorzustellen, von vornherein aus. Die Folgerung, die sie daraus zieht, richtet sich nicht nur an den IPCC, sondern an das ganze «klimapolitische Regime» – an die Wissenschaften, an die Uno, an die Regierungen, an Umweltorganisationen: «Das Thema des Klimawandels muss neu aufgefasst werden – nämlich als eine Frage der Demokratie.»

Verwendete Literatur:

Esteve Corbera, Laura Calvet-Mir, Hannah Hughes und Matthew Paterson: «Patterns of authorship in the IPCC Working Group III report», in: «Nature Climate Change», 7. September 2015.

Amy Dahan Dalmedico (Hrsg.): «Les modèles du futur. Changement climatique et scénarios scientifiques et politiques». Paris 2007.

IPCC: «Climate Change 2014 – Mitigation of Climate Change». Cambridge UK 2014. Als PDF unter http://mitigation2014.org/report.

Anthony Patt: «Transforming Energy. Solving Climate Change 
with Technology Policy». Cambridge, Massachusetts, 2015.

Clive Spash: «Greenhouse Economics. Value and Ethics». 
London/New York 2002.

Pfadabhängigkeiten (Lock-ins)

Nach orthodox ökonomischer Auffassung bevorzugt der Markt stets die beste Technik. Setzt sich etwas Neues nicht durch, sollte man ihm nicht nachtrauern und es schon gar nicht zu fördern versuchen.

In der realen Welt dagegen schützen sogenannte Pfadabhängigkeiten oder Lock-ins etablierte Techniken vor Konkurrenz, selbst wenn die Konkurrenz «besser» wäre. Ein Lock-in entsteht, wenn eine dominante Technik sich ihre eigene Umwelt schafft – von gebauten Infrastrukturen über institutionelle Arrangements bis zu Mentalitäten und Verhaltensmustern.

Ein gutes Beispiel ist das Auto: Seit bald hundert Jahren richten sich Strassenbau und Siedlungsentwicklungen nach dem Auto mit Verbrennungsmotor aus, zahlreiche Institutionen ermöglichen sein Funktionieren, und es prägt Vorstellungen von «Mobilität» und «Fortschritt». Kein Wunder, gelingt eine Trendwende weg vom Auto am ehesten in Städten, die gebaut waren, bevor das Auto wichtig wurde.

Neoklassik : Im Zweifel für das Modell

Als «neoklassisch» bezeichnet man die dominierende Schule der Wirtschaftswissenschaften. Begründet im späten 19. Jahrhundert, hat sie vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg ihre grossen Synthesen hervorgebracht. Sie ist ein in sich stringentes Denkgebilde, das sich gut in mathematische Formeln giessen lässt – weshalb es sich gut für Lehrbücher eignet – und auf ein paar simplen Annahmen beruht: etwa, dass es einen freien Markt mit vollkommener Information und ohne marktdominierende AkteurInnen geben könne und dass sich Menschen als rationale NutzenmaximiererInnen verstehen liessen (das Modell des Homo oeconomicus).

Das neoklassische Denkgebilde ist ausserordentlich elegant; so elegant, dass seine AnhängerInnen dazu neigen, die Wirklichkeit und nicht ihr Modell für falsch zu halten, wenn Wirklichkeit und Modell nicht zusammenpassen. Führt der Markt zu schädlichen Resultaten wie Umweltzerstörungen, so ist das für die Neoklassik keine Folge des Marktfunktionierens, sondern ein «Marktversagen»: Umweltpolitik bedeutet also nicht, dem Markt ein Korrektiv entgegenzustellen, sondern einen noch nicht perfekten Markt zu verbessern und auch das Verhältnis zur Umwelt marktförmig zu gestalten.

Die Neoklassik ist eine Gleichgewichtstheorie – ihr zufolge hält der Markt Nachfrage und Angebot stets im Gleichgewicht. Weil etwas, das im Gleichgewicht ist, sich nicht bewegt, braucht es einen externen Treiber, damit die Wirtschaft wächst. Diesen sieht die Neoklassik in einem ausserhalb der Wirtschaft liegenden – und potenziell unbegrenzten – «technischen Fortschritt».

Der wohl einflussreichste neoklassische Umweltökonom ist William Nordhaus von der Stanford University. Er hat als Erster ein Computermodell entwickelt, das berechnet, welche Balance zwischen Anstrengungen, den Klimawandel zu bremsen, und dem Inkaufnehmen von Klimaschäden zum optimalen Resultat – sprich: zur höchsten Wirtschaftsleistung – führt. In seiner jüngsten Version kommt das Modell zum Schluss, eine Erwärmung um 3,4 Grad bis 2200 sei «optimal». Unternähme man gar nichts, würde sich das Weltklima bis 2200 zwar um 5,3 Grad erwärmen – doch das würde lediglich Kosten von acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts von dannzumal verursachen. Das zeigt, dass sich die NeoklassikerInnen selbst von offensichtlich absurden Resultaten nicht schrecken lassen: Tatsächlich dürfte die Weltwirtschaft bei einer Erwärmung von 5 Grad längst kollabiert sein.

Marcel Hänggi

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