Kanada: Harpers letzte Karte

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Am kommenden Montag wird in Kanada gewählt. Dem konservativen Regierungschef Stephen Harper droht die Abwahl. Gemäss Meinungsumfragen verliert seine Partei die absolute Mehrheit im Parlament und landet hinter der Liberalen Partei von Justin Trudeau auf Platz zwei. Um die drohende Niederlage noch abzuwenden, hat Harper eine Identitätsdiskussion entfacht. Es ist ihm in den letzten Wochen gelungen, die Frage, ob eine Muslimin vollverschleiert an einer Einbürgerungszeremonie teilnehmen darf, zum wichtigsten Thema im Wahlkampf zu machen.

2011 hatte die pakistanische Einwanderin Zunera Ishaq erfolgreich gegen ein entsprechendes Verbotsgesetz seiner Regierung geklagt, worauf Stephen Harper rekurrierte, verlor und jetzt das Gesetz auch noch vor dem Obersten Gericht klären lassen will. Thomas Mulcair, Vorsitzender der sozialdemokratischen New Democratic Party (NDP), spricht von einer «Waffe der Massenablenkung», die Harper gezückt habe. Während Kanadas Wirtschaft schwächelt, die Arbeitslosigkeit steigt und die konservative Regierung mit ihrer Umweltgesetzgebung und der Kündigung des Kyoto-Protokolls eine besonders klimafeindliche Politik betreibt, diskutiert das Land während Wochen über ein Gesichtstuch. Der liberale Trudeau beschuldigt Harper, das Land zu spalten und Angst zu verbreiten. Amira Elghawaby vom National Council of Canadian Muslims wirft Harper vor, mit diesem Thema eine «Wir gegen euch»-Diskussion entfacht zu haben. Dabei betreffe die Vollverschleierung nur sehr wenige.

Die NDP ist bislang die grosse Verliererin der Diskussion: Noch im September lag sie bei den Meinungsumfragen an erster Stelle, jetzt liegt sie auf Platz drei. Besonders stark hat die Partei im französischsprachigen Quebec Boden eingebüsst, wo seit 2010 Staatsangestellten die Verschleierung bei der Arbeit verboten ist und Frauen bei Behördengängen ihr Gesicht zeigen müssen. Anstelle der NDP hat in Quebec der autonomistische Bloc Québécois zugelegt, der Verschleierungsverbote begrüsst.