Kultour

Nr. 44 –

Konzert

Phall Fatale

Freie Jazzimprovisationen und klare Popsongs: Phall Fatale bringt zusammen, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört. Foto: Roland Okon

Jazz, Elektronik und Spoken Word: Phall Fatale bringt zusammen, was auf den ersten Blick nicht zusammengehört. Die 2008 von Schlagzeuger Fredy Studer (Koch-Schütz-Studer) gegründete Formation besteht aus zwei Kontrabässen, zwei Frauenstimmen, Tasteninstrumenten, Elektronik und Schlagwerk und bricht damit in neue Klanglandschaften auf. Zwischen freien Jazzimprovisationen und klaren Popsongs, beständig unterlaufen und überhöht vom Sprechgesang von Joana Aderi und Joy Frempong, entsteht ein Sound, dem man sich als ZuhörerIn nicht entziehen kann: Mal treibt er in die Enge, dann wieder rauscht er mächtig vorwärts. Bestimmt auch live ein besonderes Erlebnis – nun für vier Abende im Zürcher Club Helsinki zu erleben, dann auf Tour quer durch die Schweiz von Ilanz über Thun bis nach Basel.

Phall Fatale in: Zürich Helsinki, Mi–Sa, 
4.–7. November 2015, jeweils 21 Uhr. 
Weitere Konzerte: www.phallfatale.com

Kaspar Surber

Klassenkampf

Wut schlägt einem aus den Sätzen von Albino und Holger Burner entgegen. Die beiden Rapper aus Deutschland gaben diesen Monat ihr erstes gemeinsames Album, «Planet der Klassen», heraus. Die Kämpfe, die auf diesem Planeten geführt werden, sind Anlass für diese Wut, manchmal auch für Resignation – denn während der Multimilliardär Warren Buffett weiss: «Es herrscht Klassenkampf und meine Klasse gewinnt», ist das mit der Solidarität auf der Seite der Armen oft nicht so einfach. Die postmoderne Verkündung vom Ende der Klassen weisen die beiden Rapper entschieden zurück.

Holger Burner und Albino rappen über historische Klassenkämpfe und über aktuelle Ereignisse wie den Konflikt in der Ostukraine oder die rassistischen Demonstrationen von AnhängerInnen von Pegida und der Partei Alternative für Deutschland. Das Album ist immer wieder auch ein Aufruf, den Klassenkampf eben von unten zu führen: «Was oben ist, wird fallen, wenn wir auf unsere Kraft vertrauen», heisst es in «Roter Kompass» – quasi der Kompass des Sozialismus, der einen durch die schwer durchschaubaren, nicht nur sozial aufgeladenen Kämpfe der Gegenwart führt. Und auch die Gedanken von Karl Marx, dessen Konterfei einen auf dem Albumcover ernst anblickt, dienen Albino und Holger Burner als Richtungsweiser. Auf der Tour mit ihrem neuen Album werden die beiden von zwei weiteren Rappern, Master Al und Tim Taylor, begleitet. Wohl nicht zufällig geben sie die beiden Schweizer Konzerte in besetzten Häusern.

Holger Burner und Albino in: Basel Schwarze Erle, Schwarzwaldallee 269, Fr, 30. Oktober 2015, 20 Uhr; 
in Winterthur Gisi, General-Guisan-Strasse 31, 
Sa, 31. Oktober 2015, 22 Uhr. ggs31.arachnia.ch

Rahel Locher

Kilbi im Fall

Wenn ein Konzertveranstalter schwärmend ins Reimen kommt, ist Vorsicht geboten, aber dies hier verdient es, zitiert zu werden. Von einer «Freundschaft aus Song und Drang, aus der dieses wunderbare Programm entsprang», schreibt Daniel Fontana von der Bad-Bonn-Kilbi in Düdingen. Gemeint ist das zweite west-östliche Gastspiel der Kilbi in St. Gallen. Bei der stilistischen Vermessung des Programms kann man sich eine Bänderzerrung holen, darum seien hier nur die grössten Kontraste skizziert: Pyrit schickt in der Grabenhalle seine galaktischen Piratenträume in die Umlaufbahn, Stephen O’Malley von Sunn O))) baut im «Palace» seine Kathedrale des Dröhnens auf, wer sich traut, «Weltmusik» zu sagen, bekommt von Mbongwana Star aus Kinshasa eins auf die Ohren, und die eigenwilligste Instrumentierung findet man bei den fünf Däninnen von Selvhenter: zwei Schlagzeuge, dazu Geige, Saxofon und Posaune. Oder nochmals Fontana: «Die Musikindustrie soll doch tun, was sie will. Ist uns im Fall egal.» Recht so.

Kilbi im Fall in: St. Gallen Palace und 
Grabenhalle, Fr/Sa, 30./31. Oktober 2015, jeweils 
ab 20 Uhr. www.kilbi-im-fall.ch

Florian Keller

Feuer fangen mit Evelinn Trouble

Wie ein Fiebertraum im permanenten Taumel zwischen Wahn und Wirklichkeit: Evelinn Trouble präsentiert ihr neues Album in Zürich und Thun. Foto: Reto Schmid

Was riecht hier nach Blut? Ach so, da steckt ein Pfeil in meinem Kopf. Rausziehen geht nicht, also abbrechen und die Wunde mit Puder und Leim zukleistern. So geht das im Prolog zu «Arrowhead», dem vierten Album von Evelinn Trouble. Es ist eine magistral dräuende Ouvertüre, bildmächtig und theatralisch.

Das Traumbild vom Pfeil im Kopf erinnert an «The Spark that Bled» von den Flaming Lips, auf dem Cover erscheint die 26-jährige Sängerin wie eine Kriegerin aus der Unterwelt: Dramatisch geschminkt in der Farbe des Bluts, taucht sie aus dem Wasser auf. Das Promopapier nennt die Platte eine «Suite». «Konzeptalbum» wurde so etwas früher genannt, aber man kann es auch weniger kategorisch sagen: «Arrowhead» ist wie ein Fiebertraum im permanenten Taumel zwischen Wahn und Wirklichkeit. Ersonnen hat Evelinn Trouble das Ganze in ihrem Übungsraum in London, in einer stillgelegten Cannabisfarm, so heisst es. Eingespielt hat sie die Songs in vier Tagen in Bristol, zusammen mit Flo Götte am Bass und Domi Chansorn am Schlagzeug.

«Remind me what it’s like / to catch on fire / And crash and burn», so singt Evelinn Trouble gegen Ende von «Arrowhead». Wobei: Wie es ist, Feuer zu fangen, das weiss sie ja selber nur zu genau, seit sie vor drei Jahren in den Morgenstunden nach einem Konzert beim Zürcher Bahnhof Hardbrücke auf einen einfahrenden Zug gesprungen ist. Einige Schritte weiter wird sie jetzt wieder brennen, aber nur auf der Bühne des «Moods», wo sie ihre Plattentaufe feiert. Und am Ende werden wir zittern wie nach jenem Fieberschub, von dem Evelinn Trouble ganz zum Schluss von «Arrowhead» singt, wo diese mächtig lodernde Platte langsam verglimmt, neun rauchende Minuten lang.

Evelinn Trouble in: Zürich Moods, Fr, 30. Oktober 2015, 20.30 Uhr; Thun Café Bar Mokka, Sa, 31. Oktober 2015, 21 Uhr. www.evelinntrouble.com

Florian Keller

Kino

Antizyklisch optimistisch

Wenn ein Programmkino heute eine neue Filmreihe zeigt, darf es mit solcher Fanpost rechnen: «Eine tolle Auswahl, die ihr da zusammengestellt habt! Wir haben uns drei der Filme gleich aus dem Internet heruntergeladen und gestern zu Hause angeschaut.»

Nicht nur der grosse Selbstbedienungsladen Internet ist ein Feind der Kinos, sondern auch die grassierende Biedermeiermentalität: Man macht am liebsten alles daheim. Dabei buhlen draussen auf der Gasse gleich drei neue oder neu wiedereröffnete Kinos mit angegliederter Bar um unsere Gunst: Das Zürcher «Houdini», das Anfang Jahr in Flammen aufgegangen war und monatelang renoviert werden musste; das ins umgebaute Kino Rex gezügelte ehemalige Kino im Kunstmuseum von Bern; und das ganz neu lancierte Kino Cameo in Winterthur. Die Eröffnungsprogramme mischen Altbewährtes und Kinonostalgisches mit aktuellen Arthouse-Premieren. So reist man in Winterthur rechtzeitig zum Filmjubiläum «Zurück in die Zukunft», Bern wartet mit einer Tarkowski-Reihe auf, und in Zürich erkundet der aktuelle Film «Mediterranea» Hoffnungen und Enttäuschungen von Flüchtlingen, die versuchen, in Europa Fuss zu fassen. Die BesucherInnenzahlen der Schweizer Kinos sanken über die letzten zehn Jahre gesehen leicht, aber stetig. Wir könnten das ändern.

Kino Rex in: Bern Schwanengasse 9, 
ab Do, 29. Oktober 2015, mit kuratierten Filmreihen 
und ausgewählten Arthouse-Premieren. 
www.rexbern.ch

Neueröffnung Houdini Kino/Bar in: Zürich Badenerstrasse 173, Mi, 4. November 2015, 
ab 18 Uhr; mit Kurzfilmen und DJ, Eintritt frei. 
www.kinohoudini.ch

Das neue Programmkino Cameo in: Winterthur Lagerplatz 19, bereits seit Sa, 24. Oktober 2015, 
in Betrieb. www.kinocameo.ch

Daniela Janser

Diskussion

Filmische Reise in autonome Zonen

Als Lehrbeauftragter am Ethnologischen Institut drehte Heinz Nigg 1980 zusammen mit StudentInnen einen Film über den Opernhauskrawall, der den unverhältnismässigen Polizeieinsatz dokumentierte. Der Film wurde vom damaligen Erziehungsdirektor verboten, Nigg verlor seinen Lehrauftrag. Nicht verloren hat er jedoch sein Interesse an den subkulturellen Bewegungen in der Stadt Zürich: Für das Sozialarchiv baute er das Videoarchiv «Stadt in Bewegung» auf.

Nun ist Nigg zu Gast im «Ethnologischen Café», der beliebten Veranstaltungsreihe des Ethnographischen Vereins in der Lebewohlfabrik. Dort berichtet er von seinen Begegnungen mit jungen Filmschaffenden, denen in aktuellen Zwischennutzungen wie dem Labitzke-Areal und anderen urbanen Brachen ungewöhnliche Dokumentationen gelungen sind. Gezeigt werden Ausschnitte aus «Zürich glitzert» und andere Videos aus autonomen Zonen, die dem Verdrängungswettkampf ihre gelebte Utopie eines selbstbestimmten Lebens entgegensetzen.

«Wem gehört die Stadt?» Diskussion mit Heinz Nigg in: Zürich Ethnologisches Café, Lebewohlfabrik, Fröhlichstrasse 23. Di, 4. November 2015, 20.15 Uhr. www.ethnologischer-verein-zuerich.ch

Kaspar Surber