Kunstkritik: Devot vor dem Herrn der Bilder

Nr. 46 –

Beim Museum Oskar Reinhart in Winterthur haben sie jetzt neue Besuchsregeln für KunstkritikerInnen eingeführt: Wer die aktuelle Ausstellung mit «Meisterwerken der Sammlung Blocher» besprechen will, muss an der Garderobe seine kritische Vernunft abgeben und darf sie frühestens nach Erscheinen der Besprechung dort wieder abholen.

Anders sind solche Sätze nicht zu erklären, wie sie in Rezensionen dieser Ausstellung in mehr oder weniger namhaften Kulturteilen zu lesen waren. Da würdigt der Kunstredaktor der «NZZ am Sonntag» die wirtschaftlichen Leistungen des Sammlers und schreibt von «den fabelhaften Erfolgen, die er mit der Ems-Chemie feierte». Und weiter: «Wenn Christoph Blocher von der Terrasse seines Wohnhauses in Herrliberg auf die Schweizer Berge schaut, mag er eine ähnliche Gelassenheit angesichts der majestätischen Natur empfinden wie vor den Hodler-Landschaften.» Im Feuilleton der NZZ wiederum schreibt eine Kunstkritikerin über den Sammler, der «seine Bilder manchmal in den Nachtstunden anschaue», im Modus der bildungsbürgerlich verbrämten Homestory: «Es ist eine Zeit zwischen dem tätigen Leben, in der er Kraft schöpft. In seinem Haus sind die Bilder überall gegenwärtig. Im grosszügigen Treppenhaus sogar in Petersburger Hängung (…). Wer so mit seinen Bildern lebt, hat die Kunst zu einem Bestandteil seines Alltags gemacht. Das private Sammlermuseum schafft Momente der Erbauung für den Geist.»

Dagegen zeigt sich die Kunstkritikerin des Winterthurer «Landboten» aufrichtig ergriffen von den Gemälden, und zwar so sehr, dass ihr die Worte übergehen vor «Augenglück und Augenlust». Ihr Kollege immerhin konfrontiert den Sammler im Interview sogar mit dem einen oder anderen kritischen Einwand: «Die Künstler waren ja international vernetzt und beeinflusst.» Da ergebe es kunsthistorisch doch wenig Sinn, sich auf Schweizer Kunst zu beschränken. Blocher dazu: Anker und Hodler seien nur zufällig Schweizer, das sei sekundär.

Der «Tages-Anzeiger» wiederum feierte Blochers «spektakuläre Kunstsammlung» in einem grossen Interview mit dem Museumsdirektor und einem People-Bericht von der Eröffnung. Wer braucht da noch eine kritische Rezension der Ausstellung? Dafür kam die Kunstredaktorin im Interview nicht aus dem Staunen heraus, weil Blocher seine Bilder hergegeben hat: «Wie haben Sie das geschafft?» Ganz einfach, so der Direktor: «Ich bin authentisch und angstfrei auf ihn zugegangen.»

Apropos angstfrei und authentisch: Die oben erwähnten Besuchsregeln haben wir erfunden, die Schreibenden mussten ihre kritische Vernunft nicht abgeben. Was sie damit gemacht haben, entzieht sich unserer Kenntnis.