Auf allen Kanälen: Das Flüstern des Finanzplatzes

Nr. 48 –

Die Credit Suisse zieht den Blog «Inside Paradeplatz» vor Gericht. Und bedroht damit ein einzigartiges Medium.

insideparadeplatz.ch, 24.11.2015

Morgens im Speisewagen, auf der Fahrt nach Zürich, gehört beim Banker vis-à-vis «Inside Paradeplatz» zur Pflichtlektüre. Gewiss, auf diesem Finanzblog jagten sich die Gerüchte, meinte er einmal. Doch dann beugte er sich schon wieder interessiert über sein Tablet. Seit 2011 betreibt der Wirtschaftsjournalist Lukas Hässig den Blog in Eigenregie. Dass er an Gerüchten interessiert ist, zeigt eine schwarz gefärbte «Anonymous Box» auf der Website: «Gerüchte, Hinweise, Ideen sicher und anonym an ‹Inside Paradeplatz›», heisst die Anleitung dazu.

Jeden Werktag wird eine neue Story veröffentlicht. Meist geht es um die neusten Bewegungen auf dem Finanzplatz: Letzte Woche über Einsparungen bei der Raiffeisen-Tochter Notenstein nach der Übernahme der Basler Traditionsbank La Roche. Hässigs Sätze sind kurz und knapp, doch mit drastischen Ausdrücken geizt er nicht: «Geheime Notenstein-Abwrack-Aktion», heisst es dann im Hässig-Jargon. Manchmal gelingt ihm ein Volltreffer: So recherchierte er im Februar 2013, dass Daniel Vasella nach seinem Abgang bei Novartis mehr als siebzig Millionen Franken erhalten soll. Wenige Tage vor der Abstimmung über die Abzockerinitiative brach die Empörung los. Auch den Tod des prominenten Zürcher Wirtschaftsanwalts Jörg Rappold – möglicherweise beging er Suizid wegen eines Vermögensdelikts – machte Hässig publik. Die meisten Medien schwiegen lange zum Fall.

Hässig gründete seinen Blog, nachdem er zwei Bücher über die Finanzkrise («Der UBS-Crash») und das Bankgeheimnis («Paradies Perdu») publiziert hatte. Bis heute ist die Kultur des Blogs von jenen Tagen geprägt, als es plötzlich vorbei war mit Verschwiegenheit und Intransparenz. Geraten die Kommentarspalten der meisten Medien rasch zu ideologischen Schützengräben, gehören sie auf «Inside Paradeplatz» zum Artikel. Kenntnisreich, bisweilen hämisch kommentieren Bankangestellte die Recherchen von «LH», wie Hässig halb kollegial, halb bewundernd genannt wird. Fern von formelhafter Konzern-PR, die noch immer den grössten Teil der Wirtschaftsberichterstattung auszeichnet, meldet sich hier das Fussvolk des Finanzplatzes zu Wort. Das macht den Blog zu einem einzigartigen Medium. Und aus der Perspektive der Chefs zu einem gefürchteten.

Anfang November hat die Credit Suisse (CS) nun Hässig und seine Einzelfirma vor dem Zürcher Handelsgericht eingeklagt. Wegen dreier Artikel sieht sie sich unlauterem Wettbewerb ausgesetzt und in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Den Streitwert bezifferte die CS mit 100 000 Franken. Einer der beanstandeten Artikel trägt den Titel «CS wie Fifa». Hässig schrieb darin, für die US-Justiz sei die Fifa ein «korrupter Verein» und die CS eine «kriminelle Organisation». In der Klage schreibt die Grossbank, sie möchte nicht mit dem Weltfussballverband verglichen werden, weil dieser «von einem Korruptionsskandal erschüttert» werde. Offenbar geht man also auch an der CS-Spitze davon aus, dass die Fifa korrupt ist. Dass man selbst in den USA wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Busse in Milliardenhöhe verurteilt wurde, scheint man vergessen zu haben. Hässig hatte nicht die Betriebskultur von Fifa und CS verglichen, sondern die Wahrnehmung ihrer Chefs Sepp Blatter und Urs Rohner. Wörtlich heisst es: «Im Verdrängen der Realität kommt man zur Gleichung: Urs wie Sepp.»

Das Zürcher Handelsgericht erhöhte den Streitwert der Klage auf 500 000 Franken. Über den Ausgang der Verhandlung, die auch in einem Vergleich enden kann, sagt das noch nichts: In einem ähnlichen Fall klagte die Söldnerfirma Aegis vor dem Handelsgericht gegen die «SonntagsZeitung». Diese wurde wegen Persönlichkeitsverletzung verurteilt, eine Schadenersatzforderung aber abgelehnt. Weil zwischen nachteiligen Medienberichten und dem Schaden ein Kausalzusammenhang bewiesen werden muss, scheitern solche Forderungen häufig. Für einen konzernkritischen Journalismus bleibt das die Voraussetzung.

Lukas Hässig will sich zum laufenden Verfahren nicht äussern. Im Kommentariat sind derweil die Meinungen gemacht. Ein Leser schreibt: «An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an LH für seine Arbeit und seinen Mut. Wenn er Geld für die Verteidigung braucht: einfach Crowdfunding. Ich bin dabei.»

Hier berichten WOZ-RedaktorInnen von nun an über mediale Phänomene auf allen Kanälen.