Benedict Anderson (1936–2015): Die Diskussion geht weiter

Nr. 51 –

Am 10. Dezember stand er in Jakarta vor vollem Saal und referierte – auf Indonesisch – über «Anarchismus und Nationalismus». Wer, wenn nicht er, hätte Verbindungen zwischen spanischen AnarchistInnen und asiatischen NationalistInnen gesucht und gefunden? Am 12. Dezember ist der Historiker und Politikwissenschaftler Benedict Anderson auf Java gestorben.

1936 als Sohn eines Iren und einer Engländerin im chinesischen Kunming geboren, verbrachte Anderson seine Kindheit und Studienzeit in Irland und Kalifornien. Als Doktorand forschte er bis 1965 in Indonesien und wurde dort Teil einer begeisternd lebendigen intellektuellen Szene.

Diese wurde zerstört, als 1965 General Mohamed Suharto die Macht ergriff und eine halbe Million Menschen unter dem Vorwurf des Kommunismus ermorden liess. Benedict Anderson verfasste mit KollegInnen einen Bericht, der als «Cornell Paper» bekannt wurde. Er zeigte international auf, dass die Rechtfertigung Suhartos für seine Machtübernahme auf Lügen beruhte. Bis zum Ende der Diktatur 1998 war es Anderson untersagt, Indonesien zu betreten.

Zum international bekannten Historiker wurde er 1983 mit dem Buch «Imagined Communities» – «Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts». Die These, dass Nationen immer ein Werk kollektiver Vorstellungskraft seien, sowohl in autoritären als auch egalitären Varianten, löste Kontroversen aus. Vielen EuropäerInnen schien es vermessen, die Geschichte des Nationalismus von Süd- und Nordamerika her zu erzählen. ExponentInnen der Postcolonial Studies stellten die Nation als koloniales Erbgut grundsätzlich infrage und kritisierten Anderson als eurozentrisch.

Auch nach seiner Emeritierung als Professor für International Studies der Cornell University reiste er viel. Als Diskussionspartner, Leser, Mitherausgeber und Redner war er in Indonesien, Thailand und auf den Philippinen besonders gefragt – hier hat seine kritische und empathische Auseinandersetzung mit der Idee nationaler Befreiung und nationalistischer Politik ein grosses Echo gefunden.

Die Bestürzung, die sein Tod an den unterschiedlichsten Orten der Welt auslöst, ist ein Zeichen dafür, dass die Diskussion seiner Werke noch längst nicht abgeschlossen ist.