Staatsgeheimnis Ausschaffungsflüge: Wer die Menschen aus dem Land fliegt, soll niemand wissen

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Rückzug von Geschäftspartnern, Schmutzkampagnen, Vandalenakte, Verärgerung befreundeter Staaten – was staatliche Stellen alles befürchten, wenn die WOZ zu Anbietern von Ausschaffungsflügen recherchiert.

Jede Woche heben sie in Zürich, Genf oder Basel ab. Oft fliegen sie kurze Strecken innerhalb Europas, manchmal auch nach Afrika. Sie werden als Erste in das Flugzeug gebracht, damit ihre Anwesenheit möglichst wenig auffällt. Fast immer werden sie begleitet von zivilen PolizistInnen. Sie tragen Handschellen, manchmal Fussfesseln, in gewissen Fällen wird ihnen auch ein Helm über den Kopf gestülpt. Denn sie sind keine gewöhnlichen Passagiere. Sie sind abgewiesene Asylsuchende, die ausgeschafft werden.

Jedes Jahr ordnet das Staatssekretariat für Migration (SEM) die Ausreise von Tausenden Menschen an, weil sie in der Schweiz kein Asyl erhalten haben. Das SEM schickt sie in ihre Herkunftsstaaten, aber auch in Drittstaaten, über die sie in die Schweiz eingereist sind. Von Januar bis Ende November 2015 schaffte die Migrationsbehörde 8080 Asylsuchende «auf dem Luftweg» aus. 38-mal setzte das SEM dabei auf Sonderflüge, also eigens zum Zweck der Ausschaffung gecharterte Flugzeuge, um insgesamt 186 Asylsuchende unter Zwang auszuschaffen.

Das sind die Angaben, die das Staatssekretariat offen kommuniziert. Auch dass sich die Kosten für die Ausschaffungsflüge von Januar bis November auf knapp 7,5 Millionen Franken beliefen, dass etwas mehr als ein Viertel der Kosten für Sonderflüge draufgingen und dass in dieser Rechnung die Kosten für die Polizeibegleitung nicht eingerechnet sind, gibt es gerne bekannt. An wen dieses Geld allerdings floss, ist seit je ein gut gehütetes Geheimnis: Das SEM will auf keinen Fall, dass die Öffentlichkeit erfährt, welche Fluggesellschaften vom Geschäft mit den Ausschaffungen profitieren. Und um dieses veritable Staatsgeheimnis zu schützen, greift das SEM gerne zu abenteuerlichen Argumenten.

575 Gesuche bewilligt – 8 nicht

Die Vorgeschichte zur behördlichen Geheimniskrämerei begann im Sommer 2014, als die WOZ über Sonderflüge der französischen Fluggesellschaft Twin Jet nach Italien berichtete, die das SEM offiziell als Linienflüge tarnte (siehe WOZ Nr. 33/2014 ). Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz verlangte die WOZ daraufhin Zugang zu sämtlichen Verträgen, die das SEM mit Fluggesellschaften abgeschlossen hatte. Da die Migrationsbehörde seit Einführung des Öffentlichkeitsprinzips über 300 solcher Verträge abgeschlossen hatte, wollte es die Kosten für die Bearbeitung des Zugangsgesuchs auf die WOZ überwälzen. Die WOZ passte ihr Gesuch an und verlangte nur noch Einsicht in die damals aktuellen Verträge aus dem Jahr 2013 sowie in sämtliche Verträge mit Twin Jet. Trotzdem lehnte das SEM das Gesuch vollständig ab.

Im November 2015, eineinhalb Jahre nach Eingabe des Gesuchs, schien endlich Bewegung in die Sache zu kommen. Der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), der in solchen Streitfällen als Schlichtungsbehörde wirkt, erliess eine klare Empfehlung: Die WOZ sollte Zugang zu den verlangten Dokumenten erhalten.

Üblicherweise folgen die Bundesämter den Empfehlungen des EDÖB. Von den insgesamt 575 Einsichtsgesuchen, die er im Jahr 2014 behandelte, wurden nur gerade 8 an die nächste Instanz weitergezogen, weil eine Partei nicht einverstanden war. Doch bei den Ausschaffungsflügen will das SEM keinesfalls einlenken: An Weihnachten hat es eine Verfügung erlassen, dass es – entgegen der Empfehlung des EDÖB – der WOZ die Einsicht in die Verträge verweigere.

Erstaunlich ist dabei weniger der Entscheid an sich, sondern eine waghalsige Kausalkette in der Begründung. Das SEM befürchtet nämlich, dass mit Bekanntwerden der Namen der Fluggesellschaften «die zielkonforme Durchführung konkreter behördlicher Massnahmen beeinträchtigt würde», das heisst: Jene Firmen, die vom Geschäft mit Ausschaffungsflügen profitieren, würden «stark medial exponiert». Dies könne zu «Schmutzkampagnen und Imageschäden» führen, die Sicherheit der Fluggesellschaften «durch Vandalenakte gefährden» oder sogar Exponenten der Firmen «der Kriminalität oder dem gewalttätigen Extremismus aussetzen».

Vollzugsmassnahme vereitelt?

Im Jahr 2013 hätten nicht einmal zwanzig Anbieter Offerten für Ausschaffungsflüge beim SEM eingereicht. Würde nun öffentlich, wer mit seinen Flugzeugen abgewiesene Asylsuchende ausfliege, befürchtete das Staatssekretariat einen «Rückzug von Geschäftspartnern aus diesem Geschäftsfeld infolge eines möglichen Reputationsschadens».

Noch kurioser wird die Sache, als sich plötzlich das Aussendepartement (EDA) einschaltet, um der WOZ auch den Zugang zu den Verträgen mit der französischen Firma Twin Jet zu verwehren. Angeblich würde eine Herausgabe die aussenpolitischen Interessen der Schweiz beeinträchtigen – weil sie «den Beziehungen zu anderen Staaten schaden würde» oder allenfalls zur «Verärgerung eines Staates» führte. Wie genau es dazu kommen könnte, wollen aber weder EDA noch SEM sagen: Angeblich würde bereits die Offenlegung der Gründe solche Folgen haben.

«Vereitelt» die WOZ mit der Berichterstattung über Unternehmen, die Asylsuchende ausschaffen, wirklich «eine zentrale Vollzugsmassnahme», wie das SEM argumentiert? Der EDÖB kommt zu einer ganz anderen Einschätzung. Er anerkennt zwar, dass eine Veröffentlichung der Geschäftsbeziehungen von Bund und privaten Anbietern gewisse Schwierigkeiten für die Migrationsbehörden mit sich bringen könnte. Sie würde allerdings nicht die «konkrete behördliche Massnahme» berühren, sondern lediglich die Fluggesellschaften. Letztlich könne also «die Geheimhaltung der verlangten Verträge nicht als Schlüssel zur erfolgreichen Durchführung von Rückschaffungen qualifiziert werden».

Ausschaffungsflüge und damit auch die Namen der beteiligten Fluggesellschaften, so der EDÖB weiter, böten immer wieder Anlass zu kontroversen Diskussionen in der Öffentlichkeit. Somit sei «ein gewichtiges Interesse an einem Zugang nicht abzusprechen». Auch wenn eine Fluggesellschaft durch die Publikation ihres Namens in diesem Zusammenhang einen Imageschaden erleide, sei das kein Hindernis für den Zugang zu den verlangten Dokumenten: Gehe sie so eine Zusammenarbeit mit einer Bundesbehörde ein, könne sie nicht darauf vertrauen, «dass sie völlig im Dunkeln handeln kann».

Bis vors Bundesverwaltungsgericht

Da das Staatssekretariat für Migration der Empfehlung des EDÖB trotzdem nicht folgt, wird die WOZ die Einsicht in die Dokumente vor Bundesverwaltungsgericht erstreiten. Vom Entscheid betroffen wären insgesamt neun Fluggesellschaften, die der EDÖB in der Empfehlung anonymisiert.

Da die Zustelladressen offenbar nur von vier Fluggesellschaften bekannt waren, hat der EDÖB die anderen fünf Fluggesellschaften öffentlich informiert – und ihre Namen im Bundesblatt publiziert. Zu den Ausschaffungsfliegern des Jahres 2013 gehören die Münchner Chartergesellschaft MHS Aviation, die Römer Alitalia City Liner, die holländische Billigfluggesellschaft Transavia und aus Frankreich die ASL Airlines sowie Pan Européenne Air Services.

Jetzt fehlen nur noch vier.