Eishockey: «Dann können Sie die Vernunft vergessen»

Nr. 2 –

Seit Jahren jammern Funktionäre, die Spieler würden mit ihren Löhnen die oberste Eishockeyliga zerstören. Wie die Klotener Hockeylegende Victor Stancescu gegenüber der WOZ bestätigt, haben die Spieler nun auch noch einen Verein gegründet, um ihren Interessen besser Gehör zu verschaffen.

Der aufmerksamen WOZ-LeserInnenschaft wird nicht entgangen sein, dass auch in dieser Zeitung von durchaus höchst kompetenten SchreiberInnen regelmässig behauptet wird, Fussball sei die einzige wirklich relevante Sportart.

Aber das ist natürlich kompletter Unfug. Klar ist, Fussball braucht weniger Aufwand: Man kann den schreienden Balg am Sonntagmorgen einfach mit der Sporttasche aus dem Haus werfen – er oder sie findet den Fussballplatz in der Gemeinde schon alleine – und zurück ins Bett kriechen und den Tag geniessen.

Das eishockeyspielende Kind aber muss zuerst einmal frühmorgens in die nächste, wahrscheinlich mindestens zwanzig Kilometer entfernt gelegene Eishalle gefahren werden, und zwar mit all dem kiloschweren Material, das das Kind wahrscheinlich noch nicht einmal selber tragen kann. Also verbringt man den ganzen Tag statt im warmen Bett in einer kalten, schummrigen Eishalle mit mittelmässigem Kaffee irgendwo in Uzwil oder Basel-Kleinhüningen und fragt sich, wohin zur Hölle sich bloss das eigene, einst selbstbestimmte Leben verabschiedet hat? Die ruinierten Sonntage sind nicht das einzige Problem, das dieser Sport mit sich bringt. Weil nicht jedes Kaff eine eigene Eishalle hat und weil der Sport deutlich teurer ist als Fussball, mangelt es an Nachwuchs. Was dann später irgendwann einmal zumindest bei jenen zwei Prozent, bei denen sich das Aufstehen am Sonntag gelohnt hat, weil sie den Sprung in eine Profimannschaft geschafft haben, zu einer extremen Nachfrage führt. Kurz: Es gibt in der Schweiz zu wenige Profis, und das lässt die Löhne explodieren.

Zwei Millionen ZuschauerInnen

Vergangenen Dezember berichtete die NZZ von einem Geheimtreffen der zwölf Klubbosse der Nationalliga A in Egerkingen. Dort wurde, so das Blatt, offenbar an einer Revolution gefeilt, um die Liga vor dem Auseinanderbrechen zu retten wegen alarmierender Lohnentwicklungen, weil selbst der HC Lausanne mit einem höheren Zuschauerschnitt als Fussballrekordmeister GC oder der FC Thun sich die Löhne bald nicht mehr leisten könne.

An ZuschauerInnen fehlt es im Eishockey im Gegensatz zum Fussball übrigens erstaunlicherweise nirgends: Vergangene Saison besuchten mit 2 Millionen ZuschauerInnen mehr Leute Spiele der obersten Hockeyliga als solche der Fussball-Super-League (1,9 Millionen). 9622 ZuschauerInnen – so viele kommen diese Saison zum Beispiel trotzdem, obwohl die ZSC Lions im wirklich atemberaubend hässlichen Hallenstadion spielen (das sie zudem ganz normal mieten müssen, wodurch ihnen nicht nur alle Gastronomieeinnahmen entgehen, sondern weswegen sie zum Beispiel 2009 auch den Champions-League-Final, den sie dann auch noch sensationell gewannen, im sankt-gallischen Rapperswil austragen mussten, weil das Hallenstadion bereits für irgendeine Eisgala vermietet war). Der SC Bern hat mit 16 000 ZuschauerInnen den höchsten Schnitt in Europa, und selbst im 9000-Seelen-Dorf Langnau kommen zu jedem Spiel der lokalen Tigers 5900 BesucherInnen. Und es würden wohl noch mehr kommen: Jedes Spiel ist ausverkauft.

Die Liga schliessen?

Eigentlich also alles wunderbar. Und trotzdem reicht es nicht. Drum also eine «Revolution», wie es die NZZ geschrieben hatte. Erstens: ein Ausgabenlimit oder sogar eine Lohnobergrenze für Spieler. Zweitens: mehr Ausländer (die seit vielen Jahren verbindliche Absprache auf vier Ausländer pro Spiel und acht Ausländerlizenzen pro Saison sei zwar förderlich für den Nachwuchs, ausländische Konkurrenz würde aber vermutlich allgemein die Löhne drücken, erhoffen sich die Vereinsbosse). Drittens: die Liga für ein paar Jahre schliessen, damit keine Mannschaft absteigen muss. So könnten sich die Klubs stabilisieren, und niemand würde in akuter Abstiegspanik einen Spieler kaufen, den er sich gar nicht leisten kann.

Viertens: Einschränkungen für Millionenmäzene. Womit im Schweizer Eishockey an erster Stelle immer Walter Frey gemeint ist, der SVP-Milliardär, der zwar bis heute von Politik und Autos nichts verstanden hat – er machte Karriere mit Fremdenfeindlichkeit und dem Import japanischer Autos –, der aber jedes Jahr bei den ZSC Lions Millionen verbrennt, weil er der Meinung ist, dass alle, die in Zürich Eishockey spielen wollen, dies auch tun können müssen. Wer in der Schweiz mit Eishockey zu tun hat – und hat er oder sie noch so viele Eier auf SVP-Veranstaltungen geballert –, schätzt Eishockeyfreak Freys soziales Hockeyengagement.

Und ein solches Engagement wollen die Vereinsbosse nun unterbinden, weil sie sich sorgen, die Spielerlöhne würden das Spiel zerstören? Selbstmord aus Angst vor dem Tod? «Nein, nein, nein.» Das sagt ZSC-CEO Peter Zahner zur Berichterstattung der NZZ. Er wolle im Moment dazu keine Stellung nehmen, weil es sich bei der als «Revolution» verkauften Versammlung im Dezember erstens nur um ein Brainstorming gehandelt habe (und er persönlich die Arbeit von Walter Frey mehr als schätze) und es ihn zweitens sehr ärgere, dass sich nicht einmal zwölf Hockeypräsidenten zu einem vertraulichen Gespräch treffen könnten, ohne dass einer danach die NZZ mit zugespitzten und aus dem Kontext gerissenen Informationen füttere. Ähnlich tönt es bei Peter Jakob, Verwaltungsratspräsident der Tabellenzweitletzten Langnauer SCL Tigers, der beim kürzlichen Neubau des Stadions die Hälfte der Kosten von 33 Millionen Franken übernahm: «Wir sind ein Verein, der sich stark auf die Nachwuchsförderung konzentriert. Und viel Geld haben wir auch nicht. Trotzdem könnte ich mir eine geschlossene Liga nicht vorstellen. Die Emotionen des Auf- und Abstiegskampfs sind unbezahlbar und ein wichtiger Grund, warum unser Stadion bis Ende Saison ausverkauft ist.»

Marc Lüthi, als Geschäftsführer des SC Bern verantwortlich für den einzigen Klub, der dank eines breiten Gastronomiekonzepts und mit einem Budget von etwa zwanzig Millionen Franken schwarze Zahlen schreibt, möchte sich zu der angekündigten «Revolution» ebenfalls nicht äussern, sagt aber, wo für ihn eines der Probleme liegt dafür, «dass die Klubs Geld ausgeben, das sie nicht haben»: im Spielermangel. «Hätten wir für eine Position mehrere Bewerbungen, dann hätten wir kein Problem. Leider kommt pro Position eine halbe Bewerbung. Die Spielerlöhne sind in den letzten Jahren massiv gestiegen, insgesamt um etwa dreissig Prozent.» Was tun? «Die Klubs müssen versuchen, die Saläre in vernünftigen Grössen zu halten. Doch das ist nicht so einfach. Eishockey ist ein sehr emotionaler Sport. Man hat das Gefühl, den Fans, der Region etwas schuldig zu sein. Wenn ein Klub Angst kriegt, abzusteigen oder die Playoffs zu verpassen, können Sie die Vernunft vergessen.»

Spieler wollen mitdiskutieren

Derzeit macht in der Liga das Gerücht die Runde, dass Raphael Diaz für seine Rückkehr aus der renommierten nordamerikanischen Profiliga NHL in seine Heimatstadt Zug ab kommendem Sommer eine Million pro Jahr verdienen soll – das wäre ein neuer Rekord in der sich nach oben drehenden Lohnspirale im Schweizer Eishockey. Der EV Zug will das weitverbreitete Gerücht nicht kommentieren.

Während die Bosse über Lösungen diskutieren, die offenbar mit der emotionsgeladenen Realität nicht vereinbar sind, haben die Spieler der Liga unter Federführung von ZSC-Captain Mathias Seger, Ambrì-Captain Paolo Duca und Victor Stancescu, bis vor kurzem Captain der Kloten Flyers, eine Spielervereinigung gegründet, so Stancescu gegenüber der WOZ. Er studierte neben seiner Profikarriere Jus und legte die Anwaltsprüfung ab. Als Erstes stellt er klar: «In den Medien war in den letzten Jahren immer wieder von einer Spielergewerkschaft die Rede. Das ist falsch. Wir haben kein Tarifrecht. Unser Ziel ist nicht der Arbeitskampf. Unser Ziel ist es, im Verband eine Stimme zu erhalten, eine Repräsentation. Bisher waren wir als Sportler in die Diskussion über Änderungen in der Liga nicht einbezogen.»

Man erhoffe sich, dass letztlich alle aktiven Spieler der Liga dem Verein beitreten.

Dringenden Gesprächsbedarf gibt es derzeit im Verhältnis zu den Schiedsrichtern (ZSC-Sportchef Edgar Salis bezeichnete an Weihnachten im «Blick» die Leistung eines Schiedsrichters als «scheisse», wofür ihn der Verband mit 1750 Franken büsste). «Das Verhältnis zu den Schiedsrichtern ist sehr schlecht», sagt Stancescu. «Der Vorwurf: Sie pfeifen schlecht. Das Verbandsreglement untersagt es den Spielern, mit den Schiedsrichtern nach einem Spiel zu reden. Das ist einerseits verständlich. Man kann nicht alles ausdiskutieren. Aber das aktuelle miserable Verhältnis schadet dem Sport. Es bräuchte dringend einen Dialog.»

Dringenden Gesprächsbedarf gibt es natürlich auch bei den Löhnen. Irgendwie. Und irgendwie überhaupt nicht, sagt Stancescu. «Die Situation ist aus Sicht der Spieler delikat: Wir sind ja die Profiteure. Die Löhne sind höher als die Einnahmen.»

Und dann ist da die Sache mit den Agenten und der Spielerknappheit: «Jeder Spieler hat einen solchen Agenten, der ihn den Klubs anbietet. Seine Aufgabe ist es, das beste Angebot rauszuholen. Und er kriegt dann vier bis sieben Prozent Provision. Bei diesen Darbietungen werden die Klubs knallhart gegeneinander ausgespielt: Bern bietet 200 000 pro Jahr? Also geht der Agent zum EV Zug. Die sagen: «180 000.» Er sagt: «Wie bitte? Wisst ihr, was Bern bietet?» Also gehen die rauf auf 230 000. Also ruft er den HC Lugano an. Und so weiter. Wenn es in einer Liga mit zwölf Mannschaften bloss zwanzig Topverteidiger gibt, sind das knapp zwei pro Mannschaft. Und die unterschreiben Dreijahresverträge. Pro Jahr laufen vier oder fünf aus. Und dann beginnt der Run auf diese Spieler.»

Mit 35 Jahren pensioniert

Aber wäre es letztlich nicht auch im Sinn der Spieler, wenn die Liga nicht am Lohnrad drehen würde? «Das ist schon so. Die Spieler wollen einerseits möglichst viel verdienen, andererseits in einer Liga spielen, die nachhaltig ist. Die Liga ist aber aufgrund der Löhne, die sie selbst befeuert, defizitär. Das ist ein unlösbarer Widerspruch.» Warum ist das Geld so wichtig? «Eine Sportlerkarriere dauert nicht lang. Ich verstehe es, wenn die Leute auf das Geld schauen. Wenn du 30 bist und keine Ausbildung hast und weisst, das ist dein letztes Engagement: Welchen Vertrag unterschreibst du dann? Man will das Maximum herausholen, weil man nicht mit 65 pensioniert wird, sondern mit 35. Oder viel früher. Die drohende Sportinvalidität ist ein Thema, das viele Spieler beschäftigt. Wenn man über Löhne diskutiert, muss man auch darüber diskutieren, wie man versicherungstechnisch die Risiken besser in den Griff bekommt.»

Victor Stancescu weiss, wovon er redet: Der Dreissigjährige mit kommender Zweitkarriere als Anwalt musste seine Sportlerkarriere kürzlich nach 585 Einsätzen für die Kloten Flyers wegen einer kaputten Hüfte beenden. Vergangenen Freitag wurde er in Kloten mit stehenden Ovationen verabschiedet.