Literatur: Knüppel im Gemeinschaftshaus

Nr. 2 –

«Ich bin wie meine Mutter» – so fängt Sandras Kampf an. Sie kämpft als Mutter eines Sohnes und einer Tochter, als Ehefrau, Schwester, Tante. Sandra kämpft als Freundin von anderen Müttern, als Bewohnerin eines Gemeinschaftshauses mit noch mehr Müttern und Vätern. Der Kampf findet in Sandras Kopf statt, sie sieht die Zustände und kämpft um das Ideal der toten Mutter, das sich als Lebenslüge herausstellt. Sandra wohnt in Berlin, Prenzlauer Berg, kommt aus Süddeutschland.

Anke Stellings dritter Roman, «Bodentiefe Fenster», verlagert den Kampf um Zustände und Ideale in die zunehmend neurotische Gedankenwelt ihrer Ich-Erzählerin. Denn Sandra ist von ihrer Mutter mit dem Auftrag ausgestattet worden, die Welt zu verbessern. Das Losungswort dafür war «Gemeinschaft».

Dann aber, zwei Kinder, ein generationenübergreifendes Gemeinschaftshaus und einen Spielplatz im Hinterhof später, stellt sie fest: «Meine Gruppe ist nicht meine Gruppe, wir haben keine gemeinsame Utopie, wir haben ein Haus mit bodentiefen Fenstern, und das Einzige, was von den Slogans meiner Kindheit übrig bleibt, ist die Behauptung, dass ‹Gemeinschaft› etwas Positives sei, dabei hindert sie uns daran, überhaupt etwas zu tun.»

Und unter dem Gesäusel vom «Dorfleben mitten in der Stadt» werden im Gemeinschaftshaus Knüppel geschwungen: Es geht ums Rechthaben auf Hausplenen, ums Rechthaben auch gegenüber der Art, wie NachbarInnen ihre Kinder erziehen. Im Grunde geht es um die angestrebte moralische Überlegenheit. Nur redet eben keiner darüber, Reden hiesse das Ideal gegen Freundschaft, gegen Nachbarschaft, gegen die Gemeinschaft zu stellen.

Stellings manchmal etwas schwatzhaftes Mütterlamento kann nerven, das Nervende hat aber Qualität.

«Bodentiefe Fenster» ist ein Roman über eine Mutter am Rand des Nervenzusammenbruchs. Oder ein romangewordener Nervenzusammenbruch und ein um Fiktionalisierung erweiterter Bericht: Anke Stelling, mehrfache Mutter, lebt in Berlin, Prenzlauer Berg. In einem Gemeinschaftshaus.

Anke Stelling: Bodentiefe Fenster. Verbrecher Verlag. Berlin 2015. 249 Seiten. 30 Franken